Hamburg. Axel Hackes „Ein Haus für viele Sommer“ ist ein Buch wie eine Meeresbrise: Nie wollte man dringender auf ein italienisches Eiland.
Dies ist ein Buch für alle, die außer der gegenwärtig über der norddeutschen Tiefebene erstaunlich stabil stehenden Sonne noch mehr Sendboten des nahenden Sommers brauchen, zum Beispiel in Form von einem sehnsüchtig stimmenden literarischen Vorschmecker. Den wir hier lieber, natürlich, „Antipasto“ nennen! Dies ist ein Buch für die, die Inspiration brauchen und insularisch exakt verortete Pläne für den Urlaub.
Dies ist ein Buch für Fans des behaglich tänzelnden Schreibstils, der Alltagsbetrachtungen so ausstellt, dass sie ihren Gegenständen immer das nötige Quantum Skurrilität abgewinnen. Um damit die ganze Menschenherrlichkeit zu erfassen, und wie könnte diese sich nicht von ihrer glänzendsten Seite zeigen als im Urlaub?
Axel Hackes „Ein Haus für viele Sommer“: Reisebuch der speziellen Art
Wobei Axel Hacke, der Autor des fabelhaften Urlaubsbuchs „Ein Haus für viele Sommer“, tatsächlich vom Alltag berichtet, wenn er von Capoliveri berichte. Dem Örtchen auf Elba, der für den Augenblick der Lektüre mindestens anziehendsten Insel des italienischen Mittelmeers, in das der bekannte Kolumnist seit Jahrzehnten reist. Und zwar Jahr für Jahr, mit Frau, dann mit Frau und Kindern, dann wieder nur mit Frau. Er ist wirklich praktisch immer nach Elba gefahren, nie woandershin. Und in diesen Jahrzehnten der sommerfrischenden Eindimensionalität hat der 1963 in Braunschweig geborene, seit Langem in Bayern lebende Hacke Eindrücke gewonnen und Erlebnisse gehabt, die im Verlaufe jener langen Zeit Literaturreife erlangten.
Wie könnte Hacke nicht ein profunder Kenner der Insel und ihrer Bewohner sein, ein Porträtist des mediterranen Lebens, das auf Elba ein auch vom Tourismus geprägtes Dorfleben in landschaftlicher Schönheit und idyllischer Ruhe ist?
„Ein Haus für viele Sommer“ ist ein Reisebuch der speziellen Art. So wie Hacke, der es auch in seinen Kolumnen versteht wie wenige, ein sympathisches Normalo-Ich als Ausgangspunkt seiner Welterkundungen zu profilieren, kann man es jedenfalls machen. In seiner immerwährenden Sommer-Erzählung – der Schriftsteller ist immer nur in der warmen Jahreszeit auf Elba – ist es die Existenzform des Beinah-Dazugehörens, die den Blick des Dauergasts lenkt.
Es geht auch um die Unterschiede zwischen Einheimischen und Zugereisten
Man lebt im „Torre“, einem alten Türmchen, das der Schwiegervater einst kaufte und das ein zeitweise unergründbar feuchtes Gemäuer war, ein Ort mit Geheimnissen. Und Charme. Letzteres gilt fraglos für die Insel als ganze, auf der Mitteleuropäer Licht und Leichtigkeit suchen. Hackes beiläufige Meditation über das Nichtstun ist apart, vor allem, weil sie verdeutlicht, wie schwer Nichtstun für den gemeinen Teutonen grundsätzlich ist.
Ohne das Thema allzu penetrant zu behandeln, in diesem gänzlich angenehmen, sanft wie Meereswellen anlandenden Text ist nichts penetrant, geht es auch um die Unterschiede zwischen Einheimischen und Zugereisten. Fazit: Der Italiener kann es besser, das untätige Herumsitzen in Garagen und vor Haustüren. Dafür kann der Deutsche (genauso) gut seine Tage in Bars verbringen, bei Hackes ist es immer dieselbe.
Es gibt den Hügel, „Ripidello“, und darauf eine Parzelle mit kleinem Gebäude, also noch mal Haus und Grund, die die Familie auf der Insel besitzen, „wo du auf einer uralten Mauer sitzen kannst und zusiehst, wie ein Wind die Olivenblätter leise bewegt und wie die Zeit zusammen mit dem Wind die Bäume streicht und dabei langsam verstreicht“.
Kein Roman, aber ein Werk der Erfindung
Der Erzähler Hacke nimmt die Veränderungen im Dorf sehr bewusst wahr und umspült den leichten, oft beinah komödiantischen Ton (seine Versuche, mit dem ollen Fiat einzuparken; seine Italienisch-Fehlschläge!) mit einer melancholischen Unterströmung. Was wurde aus den alten Männern, die vor vielen Jahren noch im Dorfzentrum saßen? Wie alle anderen segneten auch sie das Zeitliche. Es ist Hacke selbst, der manchen Dorfbewohnern ein Denkmal setzt.
Er tut es auf die literarische Art. Obwohl das Buch nicht als Roman ausgewiesen ist, ist es laut Selbstaussage Hackes im Nachwort ein Werk der Erfindung. Und so dichtet sich der durch die Gassen des Dorfs streifende Schriftsteller die Leben der Männer und Frauen, die er nur flüchtig und vom Sehen kennt, zusammen.
Die, die er besser kennengelernt haben könnte, tauchen in „Ein Haus für viele Sommer“ wiederkehrend auf. Wie viel immer er auch bei den Vorgängen in künstlerischer Freiheit dazugetan hat: Hackes Beschreibungen der Sorgen und Nöte der Urlauber sind hinreißend, vielleicht, weil wer solch einen Zweitwohnsitz sein Eigen nennt, ein gewisses Maß an Kalamitäten verdient. Möwen, die das Bötchen immer und immer wieder mit ihren Exkrementen bedecken. Wildschweine, die sich durch den Garten auf dem Hügel wühlen. Und dann Dantes – nur hier heißen Hirten so – Ziegen, die die Hecken abfressen und ebenfalls ihren Kot hinterlassen.
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Hacke vermeidet Kitsch
Es ist ein durch und durch romantischer, aber jeglichen allzu offensichtlichen Kitsch vermeidender Text, in dem die Einheimischen nie zu umarmend sind. Ein paar touristische Wunschfantasien befriedigt Hacke zwar: der Hobbykünstler, der mit in den Cappuccino getauchtem Pinsel Gemälde anfertigt, die Gedichte, die auch nach dem Ableben eines Wortschmieds noch an den Straßenecken hängen. Aber der Zauber der zusammengemischten Dorfgemeinschaft ist doch auch einer, der auf Unterschieden beruht. Der Mensch auf Elba hat einen anderen Beat als der in München; und manches Rätsel, etwa das des flugs engagierten und dann verschwundenen Handwerkers, als mal wieder eine Mauer auf dem Ripidello erneuert werden muss, lässt sich nicht lösen.
„Ein Haus für viele Sommer“: eine Liebeserklärung an eine Lebensart
„Ein Haus für viele Sommer“ ist, wie soll es anders sein, eine Liebeserklärung an eine Lebensart – und sei es die eigene. Wer keine Pauschalurlaube mag und gerne langsam und stetig mit einem Ort verschmilzt, indem er sein Alltagskorsett mit dem lockeren Freizeitgewand tauscht, wird dieses Buch mögen. Dass es Klischees sind – das Ursprüngliche, das Archaische als Idealvorstellungen –, mit denen es der Betrachter angesichts des einfachen Lebens im Küstendorf zu tun bekommt, ist ganz egal. Als Geschichtenerzähler, der im Allgemeinen das Besondere sucht, entkommt Hacke der drohenden Langeweile. Und ein Mann, der von seinem Bett aus eine Wildsau erschießt, ist dann doch fernab aller Stereotypen. Die Leute auf Elba wissen sich auf ihre eigene Art zu helfen. Und Axel Hacke versteht es, so zu erzählen, dass man die Frage nach Wahrheit und Flunkerei völlig unerheblich findet.
Hätte er mal woandershin fahren sollen? „Was man erlebt, ist immer weniger als das, was man verpasst hat. Da kann man machen, was man will“, schreibt Axel Hacke.