Hamburg. Prominente lasen in Hamburg aus Briefen des vor einem Jahr verstorbenen bärtigen Originals. Mit einem Lacher über Helmut Schmidt.
Was haben der Schauspieler Olli Dittrich, der Linke-Politiker Gregor Gysi und die Autoren Gerhard Henschel, Eva Menasse, Tina Uebel, Frank Schulz und Tilman Spengler gemeinsam? Sie alle waren Freunde und Weggefährten von Harry Rowohlt. Dem höchst originellen, subversiven, bärig-bärtigen Übersetzer, Vorleser, Sprecher, Verfasser der „Zeit“-Kolumne „Pooh’s Corner“ und Darsteller des Obdachlosen Harry in der WDR-„Lindenstraße“, der im Sommer 2015 mit 70 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg starb.
Harry Rowohlt hatte es geschafft, mit seinen Übersetzungen angelsächsischer Literatur so berühmt zu werden, dass ihn „jeder Tankwart in Deutschland“ kannte, wie am Montagabend in der Hamburger Freien Akademie der Künste deren Präsident Ulrich Greiner erklärte.
Zahlreiche Rowohlt-Fans sind gekommen
In der mit 400 Fans prall gefüllten Institution, deren Mitglied Rowohlt gewesen war, belegten die Freunde auf einer Buch-Vernissage, dass der uneheliche Sohn des legendären Verlegers Ernst Rowohlt (1887-1960) zudem ein begnadeter Briefschreiber gewesen war. Unter größtem Amüsement aller Anwesenden lasen sie aus dem von Anna Mikula herausgegebenen Band „Und tschüs ... Nicht weggeschmissene Briefe III“, der am Freitag (7. Oktober) im Verlag Kein & Aber (Zürich und Hamburg) erscheint.
Verleger Peter Haag betonte zuvor, wie sehr Rowohlt es verstanden hatte, in den Episteln scharfe Gedanken in fein ziselierte Komik zu verwandeln. Und gerade dann zu Hochform aufzulaufen, wenn ein Adressat seinen Unwillen spüren sollte – dem der nichts entgegen zu setzen hatte.
Um die Persönlichkeiten trauerte Hamburg 2015:
Dittrich liest Zeilen über Schmidt
„Außerdem, sehr geehrter Herr F. K., sprach, redete, schwatzte, plauderte, schnatterte, gackerte, babbelte, quasselte, näselte, brabbelte, lallte, blubberte, nuschelte oder kläffte Helmut Schmidt nicht, nein, er bellte, weshalb ich geschrieben habe, dass er bellte. Nicht ohne Grund nannte ihn die Frankophonie „le Feldwebel"“, schoss Rowohlt etwa in einem Schreiben vom Oktober 2010 in Richtung der gerade in Hamburg verehrten SPD-Ikone. „Dittsche“ Dittrich trug unter anderem diese Zeilen fein prononciert vor.
Gysi hatte sich passenderweise eine Textstelle zum Thema „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zum Vortrag ausgesucht. Im Brief vom April 2011 an eine Leserin schildert Rowohlt schlicht, wie ahnungslos ein kubanischer Botschafter in Unterhose und Pulli eines Nachts mit ihm in der Konsulatsabteilung alle Visumstempel durchprobierte. „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, nannte Rowohlt dieses liebenswerte Chaos.
In Ergänzung zu den Briefen rezitierte am Ende der Schriftsteller, Journalist und Sinologe Spengler von Rowohlt übertragene Gedichte des Amerikaners Shel Silverstein (1930-1999). „Nach Hause lief Pinocchio, es qualmten seine Sock-io“ hieß es dabei, den Sinn des Übersetzer-Genies für höheren Blödsinn auf den Punkt bringend.