Autor Wolfgang Schorlau hat mit „Die schützende Hand“ einen Krimiroman geschrieben, der rechtsterroristische Verbrechen thematisiert.

Wolfgang Schorlau zählt hierzulande fraglos zu den ambitioniertesten Autoren von Kriminalromanen. Wobei die Geschichten, die Schorlau um seinen Ermittler Georg Dengler, einen ehemaligen Zielfahnder des Bundeskriminalamts, spinnt, eher in die Kategorie Politthriller fallen. Das ist auch und in ganz besonderem Maße so in „Die schützende Hand“, Denglers mittlerweile achtem Fall, nachdem der ehemalige IT-Manager Schorlau 2003 mit „Die blaue Liste“ im Krimigenre debütierte.

Nun ist der in Stuttgart lebende Schorlau dafür bekannt, aktuelle gesellschaftspolitische Debatten aufzugreifen und soziale Brennpunkte zu beleuchten – sei es der Mord an Treuhand-Chef Detlef Carsten Rohwedder 1991 und die noch immer ungeklärten Vorkommnisse auf dem Bahnhof von Bad Kleinen („Die blaue Liste“), der Kampf um die Privatisierung des Trinkwassers („Fremde Wasser“), die Massentierhaltung („Am zwölften Tag“) oder das Attentat 1980 auf dem Münchner Oktoberfest („Das München-Komplott“). Immer streut Schorlau Fakten in seine brisante Fiktion, was der Spannung und der Authentizität seiner Geschichten ungemein zugute kommt.

Die Mordserie der NSU mit all ihren ermuttliungstechnischen Widersprüchen

In „Die schützende Hand“ verhandelt Schorlau die Mordserie des NSU und die unglaublichen ermittlungstechnischen Widersprüchlichkeiten. Alles beginnt damit, dass Dengler, wie immer finanziell am Abgrund stehend und damit dem Krimigenre klischeehaft verpflichtet, eines Tages per Post ein Päckchen zugestellt bekommt, in dem sich ein Prepaid-Handy befindet. Weiter nichts. Kein Absender. Kurz darauf erhält Dengler eine weitere Postsendung, ein Umschlag mit 15.000 Euro in bar. Wieder kein Absender. Dann kommt der Anruf: „Der Auftrag lautet: Wer erschoss Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt?“, sagt eine Dengler unbekannte Stimme.

Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Kiepenheuer & Witsch, 382 Seiten, 14,99 Euro
Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Kiepenheuer & Witsch, 382 Seiten, 14,99 Euro © Kiepenheuer & Witsch | Kiepenheuer & Witsch

Dengler zögert. Schließlich haben sich die beiden NSU-Attentäter doch selbst umgebracht. Weiß jeder, oder? Egal, er nimmt den Fall an. Das ist schnelles, leicht verdientes Geld. Genau das also, was Georg Dengler, der mal wieder mit seiner Miete einige Monate im Rückstand ist, jetzt braucht. Es soll, natürlich, alles ganz anders kommen.

Finanziell wieder auf festem Boden stehend begibt sich der Privatermittler auf die Suche nach einer Wahrheit, die für ihn offenkundig ist, stößt dabei allerdings auf haarsträubende Ungereimtheiten. Warum, zum Beispiel, wird von den Behörden mehr im Umfeld der Opfer ermittelt als in dem der Täter? Nur eine der Fragen, die Dengler vor Rätsel stellen. Hinzu kommt die augenscheinliche Verflechtung von neonazistischen Kreisen mit dem Verfassungsschutz. Auch dabei soll es in dieser Geschichte jedoch nicht bleiben. Denn schnell wird Dengler klar: Die staatliche Version, wie Mundlos und Böhnhardt in ihrem Wohnwagen zu Tode gekommen sind, hält einer Überprüfung nicht stand.

Was Schorlaus aktuellem Roman von seinen vorherigen unterscheidet: Das Fleisch an der Geschichte ist nicht die spannend erzählte Fiktion, sondern es sind die akribisch recherchierten Fakten, die das Fiktive zu erdrücken drohen. Schorlau zitiert aus Ermittlungsakten, aus Berichten des Verfassungsschutzes, aus Vernehmungsprotokollen, aus Zeitungsberichten, Magazinen, toxikologischen Gutachten, Brandgutachten und vielem mehr. Es scheint, als traue er seiner eigenen Geschichte nicht so recht über den Weg, ein ums andere Mal scheint Schorlau auch die Fiktion mit Fakten belegen zu wollen, wechselt allzu rasch Zeit- und Handlungsebenen, worunter am Ende dann die Spannung leidet.

Ambitioniert aber weniger wäre durchaus mehr gewesen

„Die schützende Hand“ ist Schorlaus bislang ambitioniertestes und insofern durchaus auch lobenswertes Projekt, ganz dem Geiste politischer Aufklärung verpflichtet. Was diesem Roman aber fehlt, das ist neben dem konsequenten Spannungsbogen vor allem dieser Dengler-Thrill: Das Atmosphärische, das Private, sodass der lässige Fluss des Erzählens versiegt angesichts der Dominanz des Faktischen.

Gleichwohl lesenswert ist dieser fast als Dokuthriller zu bezeichnende Roman durchaus. „Dieses Buch ist eine Erzählung“, schreibt Schorlau im Nachwort. „Es bietet eine Möglichkeit der Deutung tatsächlicher Ereignisse.“ Wolfgang Schorlau ist und bleibt einer der besten deutschen Autoren von politischen Kriminalromanen. Allein in dieser Geschichte wäre weniger weitaus mehr gewesen.

Das Thema NSU jedoch beschäftigt auch andere deutsche Krimiautoren. So hat es Oliver Bottini – allerdings weniger explizit, eher literarisch überhöht – in seinem jüngsten Louise-Boní-Roman „Im weißen Kreis“ aufgegriffen. Und Horst Eckert, der in Düsseldorf lebende Autor von Politthrillern, wird es neben der Debatte um die Flüchtlingspolitik als Folie für seinen im September erscheinenden Thriller „Wolfsspinne“ nutzen. Man darf gespannt sein.