Jackie Thomae ist mit ihrem Debüt „Momente der Klarheit“ ein wunderbares Buch über moderne Zeitgenossen gelungen.
„Es gibt ihn wahrscheinlich, den magischen Augenblick, in dem die Liebe beginnt“ schreibt Jackie Thomae in ihrem Debütroman „Momente der Klarheit“. Und beim Lesen dieses Bu-ches spürt man Ähnliches. Denn der magische Augenblick, an dem man merkt, dass man da ein ernüchternd komisches, unsentimental trauriges, treffend hellsichtiges und ganz und gar gelungenes Buch über moderne Zeitgenossen liest, der stellt sich gleich am Anfang ein.
Jackie Thomae ist Journalistin und Fernsehautorin, 1972 in Halle geboren. Sie kann glänzend beobachten, verblüffend formulieren und wunderbare Szenen entwerfen. Für ihren Roman hat sie sich ein gutes Dutzend Großstädter im besten Alter ausgesucht – ein Regisseur, eine Apothekerin, ein Musiker, eine Künstlerin und jede Menge Ehepartner gehören dazu – die sie dabei beobachtet, wie sie sich ver- und entlieben, wie sie ihren Job machen oder verlieren. Und sie schenkt ihnen so schöne, lakonisch witzige Szenen, dass man „Momente der Klarheit“ zum besten Roman dieses Sommers erklären möchte.
Engelhardt ist Regisseur und mit Susanne zusammen, einer Apothekerin, die aus Schwaben kommt und nichts so sehr hasst wie Spießigkeit. Doro ist seit zehn Jahren mit Bender liiert, einem Musikproduzenten, der ihr per Anwalt mitteilen lässt, dass sie nun wieder Single ist. Ariane ist mit Hendrik verheiratet, aber nicht mehr lange. Sie hat eine Depression, liebt einen anderen, er sucht eine neue Frau, verzweifelt. Und wenn es nicht so schrecklich wäre, was ihm dabei alles passiert, wäre es zum Brüllen. Moderne Partnersuche ist wirklich kein Spaß. Isabel ist eine angriffslustige Künstlerin, die mal mit Engelhardt zusammen war. Maren ist mit Clemens verbandelt, der aber mit Iris verheiratet ist. So gibt es viele, die einen Reigen aus Freunden, Verflossenen und aktuellen Partnern bilden. Sie treffen sich am Flughafen, auf Partys, zu Hause. Worüber sie reden, was sie empfinden, wie sie sich benehmen, das kann Jackie Thomae so zielsicher einordnen und beschreiben, dass man irgendwann glaubt, man kenne diese Menschen persönlich.
Sie alle suchen das Glück. Und die Liebe. Sie glauben daran, auch wenn sie zweifeln und eigentlich enttäuscht sind. „Meinst du, ich könnte mir in irgend einem Hightech-Pharmalabor künstliches Gewebe bestellen und ein Herz daraus bauen lassen?“ heißt es da einmal. Es fallen so viele schöne Sätze, die die Figuren, die sie aussprechen so gut beschreiben, dass man sich wünscht, man könnte seine eigenen Freunde gelegentlich so treffend durch das, was sie sagen, erkennen. Sätze, in denen Menschen plötzlich die Krux oder die Sinnlosigkeit ihres Tuns beschreiben: „Ich bin die Frau, die immer Zigaretten holen geht und immer zurückkommt.“ Oder: „Nach etwa zwei Jahren war ihr aufgefallen, dass es sich bei dem, was sie da besprachen, nicht um eine temporäre Krise handelte, sondern um ihr Leben.“ Oder auch: „Die vielen Blüten und Früchte im Luxusresort werden euch bereits an Tag zwei penetrant erscheinen. Fruchtbarkeit und Paradies sind unglücklicher-weise genau nicht eure Themen.“
Alle tragen ihre Verletzungen, die das Leben eben so mit sich bringt
Die Menschen, die hier miteinander befreundet, liiert oder verheiratet sind, tragen alle ihre Verletzungen, die das Leben so mit sich bringt. Sie leiden an unerwiderter Liebe, an allzu scharfem Verstand, an der Unfähigkeit, sich zu ändern, daran, dass sie älter werden und nichts dagegen tun können (außer das Übliche), daran, dass ihr Beruf sich ändert oder ihre Lebenssituation. Sie überleben Abstürze, Kündigungen, das Verlassenwerden und ungeschminkte Wahrheiten, vor denen man eigentlich davonlaufen möchte.
Was das Buch so aufregend macht, ist der Witz, mit dem Jackie Thomae all das in Szene setzt. Da ist eine Frau verzweifelt und dann sagt sie: „Ich weiß, es gibt Schlimmeres, aber mir fällt im Moment nichts ein. Vielleicht in ein paar Monaten. Mit dieser Aussicht schlafe ich ein.“ Und dann denkt man: Kenne ich. Hab ich auch schon erlebt. Oder gedacht. Empfunden. Mitgemacht. Und es ist tröstlich, dass nichts so bleibt, wie es ist, dass alles weitergeht. Bis zur nächsten Ecke, hinter der vielleicht das Glück lauert. Oder eine Krise. Und dass man irgendwann über alles hoffentlich lachen kann.
Thomae durchschaut ihre Figuren. Einen nicht mehr ganz jungen Mann lässt sie in einer Bar Kokain nehmen. Sie schaut ihm dabei zu, wie er nun sinnengeschärft seine Umgebung aufnimmt: „Knapp nickt er ein paar Gesichtern zu und denkt sich das Gespräch. Ja, ja, geht gut. Geht bald los respektive ist gerade im Kasten. Gratuliere. Danke, und selbst so? Komm doch endlich mal raus zu uns. Klar, wenn das Wetter wieder besser wird. Und sonst so: Boot gekauft, Marathon gelaufen, endlich den richtigen Osteopathen gefunden, Dings ist nach New York gezogen. Hinz hat sich von Kunz getrennt, Projekt läuft, Kinder werden groß, Umzug steht an, Steuern nerven. Next! Verzicht auf Auto, Kohlenhydrate, Cholesterin, Nikotin, Rausch.“
So reden die bürgerlichen Bohe-miens am Abend. Thomae hat diese Typen im Buch zum Leben erweckt. Hat man einmal angefangen, das zu lesen, möchte man ewig so weitermachen.