Spätestens seit dem Anschlag auf die Pariser Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ diskutiert Frankreich über Michel Houellebecqs neuen Roman „Unterwerfung“.

Paris/Hamburg. Es war ausgerechnet der Roman „Unterwerfung“, den „Charlie Hebdo“ in seiner aktuellen Ausgabe auf dem Titel thematisierte. Jenes am Mittwoch in Frankreich erschienene Buch also, in dem der Schriftsteller Michel Houellebecq über eine Komplett-Islamisierung Frankreichs fantasiert – und einen Präsidenten, der der Muslimbruderschaft angehört. Manche Beobachter sahen schnell einen Zusammenhang zwischen dem Terrorakt auf das Satiremagazin und der von einem breiten medialen Echo begleiteten Veröffentlichung des Buchs.

Als literarisches Enfant terrible ist Michel Houellebecq seit Langem etabliert, mit seinem neuen Roman „Unterwerfung“ geht der 56-jährige Franzose derzeit aber so weit wie nie. Was man allein daran merkt, dass selbst Staatspräsident François Hollande im Vorfeld der Auslieferung von „Soumission“, wie der Roman im Original heißt, ein paar Worte über das Buch verlor. Das, was wie eine literarische Kühnheit erscheine, sei letztlich nur eine Wiederholung, sagte der Staatschef nach Medienberichten: „Es gab immer über Jahrhunderte diese Verlockung der Dekadenz, des Niedergangs, dieses zwanghaften Pessimismus.“ Die Franzosen sollten sich nicht „durch die Angst auffressen“ lassen.

Eine Angst wäre das, die sich derzeit nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa in einem Rückzug in nationalstaatliche Denkmuster und rechtskonservative Bewegungen äußert. In Frankreich eilt der Front National von Erfolg zu Erfolg, diesseits des Rheins marschiert Pegida für die vermeintliche Rettung des Abendlands durch die Straßen: Auch vor dem Hintergrund der durch den IS ausgelösten Ängste ist Houellebecqs Zukunftsszenario ziemlich aktuell. Überraschend ist diese Themenwahl überhaupt nicht – Houellebecq griff in allen seiner bisherigen Romane den Zeitgeist auf und verhandelte auf literarische Weise etwa die Vereinzelung des Individuums, die Pornografisierung der Gesellschaft, Sterbehilfe und Genforschung.

Zum Islam hat Houellebecq eine besondere Beziehung: 2001 bezeichnete er ihn einmal als die „dümmste“ Religion. Anlässlich des neuen Buchs allerdings äußerte er sich wesentlich zahmer; nun will der preisgekrönte Autor den Koran gelesen haben – er sei besser, als er gedacht habe, gestand Houellebecq in einem Interview mit „The Paris Review“.

Überhaupt kommen die Muslime in „Unterwerfung“ nicht schlecht weg, eher im Gegenteil: Sie erlösen den dekadenten Westen von seiner Lethargie und seinem Niedergang. Ein Frankreich, das seiner selbst überdrüssig ist, aber auch keine Lust hat, sich den Nationalisten des Front National zu ergeben, wählt in Houellebecqs zwischen Groteske und Utopie changierender Zukunftsversion eine Koalition aus Sozialisten, Konservativen und Islampartei.

Ihr steht dann tatsächlich auch ein Muslim als Anführer vor. Sein Denken ist humanistisch, es verbindet das Beste des Morgenländischen mit dem Besten des Abendländischen. Selbst Houellebecqs Hauptfigur, ein derangierter Geisteswissenschaftler, flirtet am Ende mit dem Islam – allerdings reizt ihn an der Konversion vor allem die Polygamie. Eine von vielen Pointen, die darauf zielen, dass man das literarische Spielkind Houellebecq keineswegs beim Wort nehmen muss.

Houellebecq: „Ich spiele mit der Angst“

Andererseits kommt es in dem Romanszenario zu Ausschreitungen und bürgerkriegsartigen Zuständen. Zartbesaitete erschreckte Houellebecq auch in seinen oft in der nahen Zukunft spielenden Büchern wie „Elementarteilchen“ und „Karte und Gebiet“. Der Zeitenwechsel, den das bereits in der kommenden Woche in der deutschen Übersetzung erscheinende „Unterwerfung“ beschreibt, wirkt als Erregungsbeschleuniger für alle selbst ernannten Retter des Abendlands.

„Ich spiele mit der Angst. Nur weiß man nicht genau, ob man vor den Identitären oder den Muslimen Angst haben soll“, zitiert „The Paris Review“ Houellebecq. Die in Frankreich entstandene identitäre Bewegung beruht auf mehreren lose verbundenen Gruppierungen. Sie sieht die europäische Kultur durch den Islam bedroht, in Deutschland beruft sich vor allem Pegida auf sie.

Weil Vorbehalte und Vorurteile muslimischen Einwanderern gegenüber auch in Frankreich weit verbreitet sind, wird der in „Unterwerfung“ imaginierte Siegeszug des Islams harsch kritisiert. In den Medien wurde Houellebecq unter anderem vorgeworfen, der extremen Rechten mit seinem Werk in die Hände zu spielen und kollektiven Befürchtungen neues Futter zu geben. Was auch daran liegt, dass der Autor in dem Buch bereitwillig und lustvoll Schlüsselreize bedient: Sein fiktiver Muslim-Präsident agitiert für die Verschleierung der Frauen und die Konversion zum Islam. Das Buch verleihe deswegen „den Ideen des (rechtsextremen) Front National den Ritterschlag“, urteilte der Direktor der linken Tageszeitung „Libération“, Laurent Joffrin.

Seine Kritiker stellen nun laut die Frage nach der Verantwortung der Literatur, die muslimische Gemeinde in Frankreich spricht von „Rassismus“ – und Houellebecq selbst räsoniert in vielen Wortmeldungen unverdrossen über den Status quo der französischen Gesellschaft. Es gebe generell „eine machtvolle Rückkehr des Religiösen“, so Houellebecq, und weiter: „Der Atheismus ist tot, die Laizität ist tot, die Republik ist tot.“