Zwischen Orangenhaut und Liebeslust: Ildikó von Kürthys neuer Roman „Sternschanze“ erzählt von einer Mittvierzigerin, die zwar alles hat, sich aber langweilt – und noch mal bei null anfängt.

Hamburg. Nicki ist 43 und seit zehn Jahren verheiratet. Ihr Mann Oliver hat einen gut bezahlten Job, der Nicki ein Luxusleben in Harvestehude gestattet – wenn shoppen, schwimmen gehen und schnattern mit Freundinnen als Luxusleben durchgeht. Nicki langweilt sich, nimmt sich einen Liebhaber, ihr Mann schmeißt sie raus, Nicki zieht in die Schanze, muss noch mal bei null anfangen und am Ende ... aber das wollen wir hier nicht verraten. Schließlich soll auch der neue und neunte Roman der Hamburger Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy noch ein wenig Überraschung bereithalten. Obwohl man ja spätestens nach dem ersten Viertel der Lektüre ahnt, wie die Sache ausgehen wird. Da hat man sich aber schon eingelacht über die Kürthy-eigenen Selbstbeobachtungen ihrer Heldin, über Beziehungsprobleme oder die Frage, wie man eine SMS erotisch auflädt.

Natürlich kann und will die Autorin, die bisher mehr als sechs Millionen Romane verkauft hat, ihr Erfolgsprinzip nicht ändern. Da hadert die Heldin stets mit ihrem Äußeren, ist tollpatschig, gerät in peinliche Situationen, verliebt sich in männliche Mängelexemplare und wartet trotzdem ewig auf ein Lebenszeichen von ihnen. 1999 hat Kürthy „Mondscheintarif“ geschrieben, ihren ersten Roman, in dem ihre Heldin Cora Hübsch gefühlte Jahre auf den Anruf eines Mannes wartet. Dieses Thema beschäftigt auch Nicki noch, ebenso wie Stretchunterwäsche, Kalorienzählen, die Sehnsucht nach einer annehmbaren Frisur oder ihr Aussehen insgesamt. „Mit etwas Wohlwollen könnte man meinen Figurtypus sportlich nennen, zumindest, wenn ich Sport machen würde“, heißt es in „Sternschanze“. „Ich sehe belastbar aus, patent und wohlgenährt. Wie eine westfälische Pferdeart, deren Name mir jetzt nicht einfällt, die sich aber dadurch auszeichnet, dass sie draußen überwintern kann.“

Das ist eines von Kürthys Erfolgsprinzipien: Ihre Heldin ist keine Bedrohung für ihre Leserinnen. Sie ist durchschnittlich in Geschmack, Männerwahl und als Typ. Sie lügt gerne, was ihr Alter und Gewicht angeht. Sie liebt Romane, auf denen Landhäuser abgebildet sind und „Hits, Bestseller und Blockbuster. Jenseits des Mainstreams war ich noch nie unterwegs.“

Jede kann sich mit ihr und ihren Spleens, Unzulänglichkeiten und Ängsten identifizieren. Irgendwie. Mit Frauen, die Augenringe und eine langsame Fettverbrennung von einem perfekten Leben trennen und deren Sehnsucht nach etwas mehr Sünde hemmungsloses Zugreifen bei Hanuta-Schnitten und Chips bedeutet. „Wenn ich mir morgens vornehme, abends weniger zu essen, habe ich den ganzen Tag schlechte Laune“, heißt es in Kürthys Prosa, und viele fühlen sich erkannt. Versuchen nicht auch die Leserinnen gelegentlich, „ihrem bürgerlichen Dasein eine geheimnisvolle und wilde Nuance zu geben“ und zwängen sich in ein Cocktailkleid, unter dem sich dann leider die Stretchwäsche zur Wurst zusammenrollt? Würden sie nicht auch gern mit der Freundin bis morgens um vier eine Schachtel Zigaretten rauchen, um endlich mal dem müsli-veganer-Terror ihrer Zeitgenossen zu entkommen?

Kürthys Nicki jedenfalls hatte ein angenehmes Leben mit Oliver, bis er Assistent eines schwerreichen Hamburger Reeders wurde und sie sich von nun an in Kreisen „nutzloser, wohlstandsverwahrloster Maniküre-Pediküre-Existenzen“ herumtreiben soll. Was Kürthy da an Hohlbratzen-Personal auffährt, an tussigen Töchtern, keifenden Freundinnen, dummen Kalorien- und Kohlehydratzählerinnen, an geistlosen Ehefrauen und hinterlistigen Schnepfen ist arg viel. Selbst für eine Satire, die nach dem guten alten Komikprinzip „Dezenz ist Schwäche“ gebaut ist. Hat wirklich schon mal jemand gesagt: „Du brauchst übrigens keine Angst um deinen Mann zu haben. Er ist für mich nur ein Zeitvertreib, bis ich was Besseres gefunden habe“? Undenkbar. Hier gehen alle nur ins Clubschwimmbad um aneinander Problemzonen zu beäugen und sich anzugiften. Die betrügen ihre beste Freundin oder legen der armen Nicki ein Handy in die Badetasche und behaupten, sie habe es geklaut. Wahrer Irrsinn ist subtiler.

Nicki geht bald die Luft aus: „Ich war alleine und pleite, arbeits- und wohnungslos und hatte noch dazu in der vergangenen Woche erste Spuren von Orangenhaut an meinen Oberarmen entdeckt.“ Das ist Kürthy-Komik, die gut funktioniert, weil sie wirkliche Probleme mit absolut lächerlichen kontrastiert. Nach demselben System fragt Woody Allen, „gibt es ein Leben nach dem Tod – und wenn ja, sind sie dort in der Lage einen 20-Dollar-Schein zu wechseln?“ Das Erhabene neben dem Lächerlichen ist immer komisch.

Wo Kürthy draufsteht, ist immer Kürthy drin

Manche Menschen verändern sich ja ständig. Es gibt Schauspieler, die sind so wandelbar, dass man sie in jeder neuen Rolle kaum wiedererkennt. Und es gab Marilyn Monroe. Die war immer MM. Auch wo Kürthy draufsteht, ist immer Kürthy drin. Jede Leserin bekommt, was sie erwartet. Kürthys Heldinnen sind meist so alt wie die Autorin selbst, sie lieben ihren Vater, wie Kürthy es tat, und sie erleben Geschichten, die so oder so ähnlich auch in Harvestehude vorkommen könnten, wo Kürthy lebt. Und was treibt man da so? Nicki besucht eine Kochschule, in der man Portionen zubereitet, deren Größe nach Anstandsrest aussieht. Denn was will die Harvestehuderin vor allem? Dünn sein. Nicki geht in eine Schminkschule und weiß danach, dass auch Menschen mit dunkelblau lackierten Zehennägeln schön aussehen können. Nicki hat die patente Freundin Birgit, eine Anwältin mit drei Kindern, die das Leben super meistert und immer gut gelaunt ist. Ebenso Freundin Rona, eine Holländerin, die alles von der leichten Seite nimmt, den schwulen Freund Erdal, Vater zweier Söhne, der alles sagt, was er denkt, und dabei auch noch Erfolg hat.

Kürthy lässt ihre Heldin über Frauen lästern. Und über Männer natürlich auch. Ein Penis ist immer hässlich, und über die Geburt eines Sohnes können sich Eltern höchstens mit den Worten „wenigstens gesund“ trösten. Männer sind struppige Wesen, unsensibel und unaufmerksam, die Krach und Schmutz machen. „Das Bier-Bike bietet ernst zunehmende Hinweise dafür, wie Männer funktionieren, wenn sie unter ihresgleichen sind. Sie sind weitgehend schmerzfrei, was ihre Außenwirkung angeht, freuen sich an dem erhebenden Gefühl, sich sportlich mit ihren Kumpels betätigen und gleichzeitig betrinken zu können.“ Am allerschlimmsten sind Typen mit „Tigerprint-Unterhosen“, schlechten Essmanieren und Geiz. Stimmt ja. Aber dass ein Mann, dem sich Nicki lustvoll präsentiert, sie in die Seite pikst und „Kuckuck“ ruft, ist ganz und gar unwahrscheinlich. Hoffen wir mal, dass keine von Kürthys Freundinnen sie zu dieser Szene inspiriert hat.

Ildikó von Kürthy kennt nicht nur Lieder, die man bei Liebeskummer hört. Sie weiß auch, dass man sich schneller an ein leeres Bett gewöhnt als daran, die Lieblingspizza des Ex-Partners nicht mehr im Tiefkühlfach zu finden. Kleinigkeiten lösen die größten Weinkrämpfe aus. Und sie lässt Nicki, die in die Zukunft schaut, sagen: „Wie lange muss man zusammen sein, bis man die Liebe mit wirklich bequemer Nachtwäsche belasten darf“? Aber, und das weiß die erprobte Kürthy-Leserin, Rettung naht. Fast wie im richtigen Leben.