Das literarische Hamburg? Könnte vielfältiger sein – das finden zumindest Kulturschaffende. Das Publikum könnte es aber auch schlechter treffen: Mit Festivals und Lesungen ist es ganz gut bedient.
Hamburg. Braucht Literatur einen Ort? Wie sieht ein guter Literatur-Standort aus? Und ist Hamburg so einer? Man könnte nun erst einmal sagen: Ja, Hamburg ist ein guter Ort für Literatur. Weil Hamburg Leser hat, das klingt banal und ist doch wichtig. Eben, beim Gang durch Planten un Blomen, passierte man eine in die Lektüre eines Buches versunkene Dame mittleren Alters: hingestreckt auf einen Liegestuhl, die Parkkulisse völlig ausblendend. Wie aus einer Image-Broschüre – „Einfach schön lesen“ könnte da doch ein passender Titel sein.
Lesen ist vielleicht die privateste Beschäftigung. Man geht ihr einsam und für sich nach, ohne darüber traurig zu werden. Im Gegenteil, welche Beschäftigung hilft einem Menschen einerseits mehr bei der Sammlung, andererseits bei der Zerstreuung?
Aber selbst dafür braucht es eine gewisse Infrastruktur, ein lektürefreundliches Umfeld, das sich nicht in der Bereitstellung von Open-Air-Leseecken erschöpft. Sondern aus Orten besteht, die einem zum Lesen animieren. Aus Institutionen, die Literatur zum Erlebnis machen und Dichter inszenieren. Gerade die Schöpfer von Texten gehören in den Kontext der Standort-Frage. Wo leben sie gerne, wo werden sie gefördert? In Hamburg?
Das tut sie, aber längst nicht in dem Maße wie in Berlin. Auch wenn Deutschland weit von den Zuständen des Paris-fixierten Nachbarlandes Frankreich entfernt ist, zieht die Hauptstadt gerade auch Schriftsteller in ihren Bann. In Berlin ist Kultur am vielseitigsten, die Lebenshaltungskosten sind niedrig, Inspirations- und Vernetzungspotenziale groß. Man findet schon auch die Namen einiger etablierter Autoren, wenn man die literarische Inventarliste Hamburgs durchgeht: Brigitte Kronauer, Katharina Hagena, Ulla Hahn, Frank Schulz, auch Ildikó von Kürthy und Heinz Strunk. Man weiß von Geheim-Tipps, Sabine Peters zum Beispiel. Oder von aufstrebenden Jung-Autoren wie Andreas Stichmann und Benjamin Maack, von Hamburger Phänomenen wie Tina Uebel und Michael Weins, von Allzweckwaffen wie Finn-Ole Heinrich. Über allem thront Siegfried Lenz, der große Alte – das literarische Hamburg brüstet sich mit ihm.
Das „Literaturhaus“ ist sein renommiertester Veranstalter. Dessen Chef Rainer Moritz moniert die kleine Zahl Hamburger Publikumsverlage, er sagt: „Von der Verlagsstadt Hamburg sprechen kann man nur, wenn man die Kinder- und Jugendbuchliteratur meint.“ Womit er zweifellos recht hat – Oetinger und Carlsen sind große Player in ihrer Sparte, im breiteren Bereich der Belletristik- und Sachbuchverlage gibt es nur Hoffmann und Campe, in Reinbek Rowohlt. Moritz sieht vieles kritisch, und manche seiner Äußerungen bezüglich der literarischen Strahlkraft sind nicht neu, aber dennoch wahr: Es fehlt grundsätzlich an Vielfalt. „Die Literatur spielt im öffentlichen Bewusstsein Hamburgs keine zentrale Rolle“, sagt Moritz, „obwohl es Stiftungen und Mäzene gibt, die Literatur aktiv fördern, und viel für die Leseförderung getan wird, spielt die ‚stille‘ Literatur im Vergleich mit den auffallenderen anderen Künsten selten die erste Geige, Literatur wird zu oft marginalisiert.“ Die Förderung der Literatur durch die Kulturbehörde sei enttäuschend niedrig. Man müsse sich finanziell engagieren, wenn man sich auch in Zukunft mit Autoren wie Ralph Giordano und Wolf Biermann schmücken wolle – „Kunst entsteht nicht nur in Museen, Opern und Theatern“.
Der Literaturmensch als armer Poet: Klischees treffen manchmal einfach zu. Für das Auskommen von Autoren sorgen oft Preise und Stipendien. Von denen gibt es, findet auch Moritz, in Hamburg zu wenig. Aber manchmal ist Literatur auch einfach nur Spaß, Anarchie, frei von Geld- und sonstigen institutionellen Zwängen. Eine Gegenmaßnahme zur gediegenen Anmutung der bildungsbürgerlichen Literatur-Abteilung ist der Ort, an dem es eng und ausgehmäßig zugeht. Literatur in Hamburg, das ist zum Beispiel auch: Poetry Slam im Molotow. Oder im Uebel & Gefährlich. Da stellen sich zumeist junge Nachwuchsdichter auf Bühnen und spielen mit Sprache, mal konventioneller, mal experimenteller. Die Slam-Szene in Hamburg ist nach wie vor vital, auch wenn es den legendären Macht-Club nicht mehr gibt.
Der wurde einst von der Kulturbehörde gefördert und half maßgeblich beim Aufbau einer Literaturszene, die einige Autoren aus dem Off-Bereich auch in die Feuilletons spülte. „In Hamburg wurde durch kleinteilige Förderung von Einzelvorhaben ein ungewöhnlich reges literarisches Leben aufgebaut, das viel Eigenleben entwickelt und zahlreiche literarische Talente auf den Weg gebracht hat“, sagt Hamburgs Literaturreferent Wolfgang Schömel. Dabei ist das von Fall zu Fall unorthodoxe Auftreten der Hamburger Literaturentertainer – Sven Amtsberg moderierte immer an der Grenze zum Gaga, Maack las in einer legendären Buch-Schlacht 24 Stunden am Stück – das Gegenteil der statusbewussten Literaturhaus-Veranstaltungen, als deren Gastgeber neben Moritz’ Literaturhaus-Verein, der gemeinhin mit dem Literaturhaus gleichgesetzt wird, auch das Literaturzentrum fungiert.
Aber der anspruchsvolle und auch intellektuell herausfordernde Literatur-Abend („Wasserglaslesung“) wird in Hamburg geschätzt, er macht einen Großteil aller Termine aus: Neben Berlin und München gehört Hamburg zu den Städten mit den meisten Veranstaltungen. Es gibt einige Lese-Orte in Hamburg, an denen die Literatur ihre privaten Gemächer verlässt – viele Buchhandlungen oder Szene-Orte wie der neue Nochtspeicher auf St. Pauli, der im September seine Pforten öffnet und auch eine Lese-Reihe im Programm hat. Isabel Bogdan, Autorin („Sachen machen“) und Literatur-Bloggerin (www.isabelbogdan.de), sieht jedoch eine Lücke hinsichtlich der Auftrittsmöglichkeiten. Auf der einen Seite die vielen Poetry Slams, auf der anderen die großen Festivals – „es fehlt die Mitte, es fehlen Lesereihen wie Macht-Club, Transit und Kaffee.Satz.Lesen“. Eine Literaturszene müsse „nach außen hin sichtbar und aktiv“ sein.
Nach einer Hochphase des lokalen Literaturszene-Gedankens ist sie das in Hamburg derzeit auf niedrigerem Niveau. Trotzdem gibt es weiter verlässliche Orte wie das Ernst Deutsch Theater, wo Jochen Brachmann seit zehn Jahren zum „Seitensturm“ empfängt. Brachmann ist ein steter Arbeiter im Dienste der Literatur, er sagt: „Hamburg ist ein herausragender Ort für Literatur, weil hier Neugier und Interesse groß sind“. Großen Zuspruch erfahren Vattenfall-Lesetage, Krimi-Festival, Harbour Front Festival. Bei letzterem ist Peter Lohmann im Organisationsteam. Er findet naturgemäß große Worte für die Sache, die er verficht: „Literatur ist die Basis aller kulturellen Aktivitäten.“ Weshalb Lohmann nicht nur die saisonale, sondern auch die grundsätzliche Versorgung mit Literatur bewerkstelligt sehen will. „In den Stadtteilen sieht es beim stationären Buchhandel sehr gut aus, es gibt Filialisten und gute, engagierte kleinere Buchhandlungen.“ In diesem Jahr findet die fünfte Ausgabe seines Festivals statt. Das ist durchaus eine Erfolgsgeschichte, weil es ein breites Publikum anspricht, wenngleich es auch nie den Happening-Charakter der Lit.Cologne hat und manchmal zu wenig wagt. Was auch an der Mentalität von Hanseaten liegen könnte. Der Übersetzer Ingo Herzke beschreibt das Publikum als „hamburgisch – also freundlich, aber manchmal reserviert und nicht immer kunstsinnig, eher an gesellschaftlichen Formalitäten interessiert“.
Und manchmal verfängt sich dieses Publikum genau wie jedes andere auch in den Fängen der grassierenden „Eventisierung“, die zu Recht seit langem auch von Leuten wie Schömel und Moritz beklagt wird. Hamburg habe mehrere gut angenommene Literaturfestivals, doch keines, das ein unverwechselbares literarisches Profil aufweise, findet Moritz. „Es wird einseitig Mainstream auf Kosten qualitativ hochrangiger Literatur gefördert.“
Bleibt die Frage, warum Hamburg doch ein guter Wohnort für Literaturschaffende ist. Ingo Herzke schätzt die Zahl der in Hamburg lebenden Übersetzer auf bis zu 80. Die sind, nicht nur dank eines Übersetzertreffs, gut miteinander vernetzt. „Für mich ist beim Übersetzen eine urbane Umgebung wichtig, ich muss den Leuten aufs Maul schauen. In der mecklenburgischen Einöde könnte ich nicht arbeiten.“ Was er noch braucht und in Hamburg findet: Bibliotheken, Buchläden („mit kompetentem Verkaufspersonal“), Auftrittsmöglichkeiten („wichtiges Standbein“), Publikum. Was er nicht findet: genug Förderung, günstige Arbeitsräume. „Warum nicht einfache und unbürokratische Zwischennutzungen leer stehender Büros?“, fragt sich Herzke.
Am Ende ist es vielleicht doch ganz einfach: Hamburg ist verglichen mit Berlin einfach zu teuer für die hehre Sache der Literatur. Das betrifft nur ihr Protagonisten, für Leser ist diese Stadt besser als viele andere.