Michele Placido erzählt das Leben des Malers erfrischend anders – als eine Kette von Zwangsverhören: „Der Schatten von Caravaggio“.

Ein Zufall will’s, dass gleich zwei sehr unterschiedliche Filme über große Maler am selben Tag im Kino starten: Wim Wenders’ poetische 3D-Doku „Anselm“ über Anselm Kiefer, einen der größten Gegenwartskünstler, und „Der Schatten von Caravaggio“, ein epischer Historienfilm über den Meister des Frühbarock, der die Kunstgeschichte revolutionierte.

Michele Placido wacht doppelt über seine Figur: als Regisseur und als Kardinal im Film

Über den gibt es bereits einen kongenialen Film: „Caravaggio“ von Derek Jarman, der 1986 dessen üppige Bilderwelt in minimalistische Dekors verknappte. Und seine Homosexualität hervorhob. Der Maler als Verbündeter: Caravaggio hatte sich im 16. Jahrhundert gegen die Kirche und deren engstirnige Kunstauffassung aufgelehnt, Jarman protestierte offen gegen Thatchers schwulenfeindliche Politik in der Aids-Krise.

„Der Schatten von Caravaggio“ erscheint auf den ersten Blick wie ein Gegenentwurf: ein üppiger Historienfilm mit Breitwand, viel Statisterie und malerischen Kulissen. Aber auch dieser Film ist kein klassisches Biopic. Michele Placido, bekannt als Schauspieler aus der Serie „Allein gegen die Mafia“, stellt seinen Caravaggio (Riccardo Scarmacio) allein gegen die Kirche. Ein Maler der Entrechteten und Verdammten, der zwar Madonnen und Heilige malt, aber Huren, Diebe und Bettler dafür Modell stehen lässt. Der das Heilige profanisiert und das Alltägliche säkularisiert. Und dafür der Blasphemie bezichtigt wird.

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Der Film setzt 1609 ein, als Caravaggio vor einer Mordanklage flieht. Nur der Papst kann ihn begnadigen. Der weiß um dessen Meisterschaft, aber auch um sein zügelloses Leben. Und lässt deshalb einen Agenten des Vatikans, Ombra (Louis Garrell), heimlich ermitteln. Der buchstäbliche Schatten, der in Archiven gräbt, Gemälde aufsucht und studiert.

Eine Filmbiographie als Verhör, dessen Aussagen ein Puzzle ergeben

Und alle Weggefährten Caravaggios aufspürt, von seinem Modell Lina (Micaela Ramazzotti) bis zu seiner adeligen Gönnerin (Isabelle Huppert). Und mit Foltermethoden immer neue Informationen aus seinen Opfern presst. Er hat zwar keine Ahnung von Kunst, lernt aber, welche Macht Caravaggios Kunst ausübt. Und bekämpft sie dann doch, stur der strengen Kirchendoktrin folgend.

Ein Biopic als Verhör, dessen Aussagen, in Rückblenden erzählt, ein Puzzle ergeben, das der Zuschauer zusammensetzen muss: Das ist erfrischend neu. Placido wacht hier gleich doppelt über Caravaggio: als Regisseur und als Darsteller des ihn protegierenden Kardinals Del Monte. Am Ende deutet er den bis heute rätselhaft frühen Tod des Meisters drastisch um. Und auch sein Film ist mehr als Historienbild. In der engen Auffassung, was Kunst ist, darf man Analogien zum heutigen Italien ziehen, wo Giorgia Meloni einen brachialen Kulturkampf führt, der die Kunstfreiheit radikal beschneiden könnte.

Filmbiographie, Italien 2022, 118 min., von Michele Placido, mit Riccardo Scarmacio, Louis Garrel, Isabelle Huppert, Micaela Ramazzotti