Berlin. Der Filmemacher huldigt Anselm Kiefer mit einem poetischen 3D-Dokumentarfilm. Und geht mit einem Spielfilm ins Oscar-Rennen – für Japan
Wim Wenders hat vergangenen Mai ein wahres Kunststück vollbracht. Während das Filmfestival von Cannes dem deutschen Kino ansonsten nicht besonders zugetan ist, konnte er hier gleich zwei Filme vorstellen: „Anselm“, seinen sehr persönlichen und sehr poetischen 3D-Dokumentarfilm über Anselm Kiefer, den wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler. Und den Spielfilm „Perfect Days“, der in Japan entstand. In Deutschland kommen beide Filme etwas entzerrter daher. „Anselm“ startet nächste Woche, „Perfect Days“ am 21. Dezember. Für diesen Film muss der Filmemacher aber jetzt schon kräftig werben: Denn er geht als Oscar-Kandidat ins Rennen um den besten ausländischen Film - für Japan! Wir haben darüber mit dem Filmemacher gesprochen.
Kompliment, Sie haben gleich zwei neue Filme, beide liefen in Cannes. Und für „Perfect Days“ gab es gleich zwei Preise. Wie war das für Sie, 39 Jahre nach der Goldenen Palme für „Paris, Texas“?
Wim Wenders: Ja, zwei Filme gleichzeitig, das gibt‘s wohl nur einmal im Leben. Das war in meinem Lebensplan auch nicht vorgesehen. „Anselm“ war bereits eingeladen. Nicht in den Wettbewerb, aber da wollte ich mit einem Dokumentarfilm auch gar nicht hin. Dann wurde „Perfect Days“ gegen jede Erwartung sehr schnell fertig. Und so fragten die japanischen Produzenten, ob sie den Film ebenfalls für Cannes einreichen dürften. Ich hielt das für ziemlich aussichtslos, ich hatte ja schon einen da! Aber versuchen konnten sie es ja. Und dann kam kurz vor Torschluss die Zusage! Diesmal für den Wettbewerb. Die Japaner waren überglücklich, ich eher besorgt. Das konnte ja auch nach hinten losgehen, wenn die beiden Filme sich in die Quere kämen. Deshalb habe ich das Festival gebeten: Zeigt bitte den einen Film anfangs und den anderen am Ende, damit die beiden sich nicht auf die Füße treten. Der Wunsch wurde erfüllt.
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Wie schaffen Sie das in Ihrem Alter, zwei Filme fast nebenher zu entwickeln? Ihr Schaffensdrang scheint ungebrochen.
Für „Anselm“ habe ich über zweieinhalb Jahre gebraucht. „Perfect Days“ ging hingegen richtig schnell. Eigentlich war dafür gar keine Zeit, außer dass meine Cutterin und ich nach zwei Jahren mal eine Auszeit brauchten. Die habe ich dann genutzt, um für eine Woche einer sehr offenen Einladung nach Japan zu folgen, um mir ein in erster Linie architektonisch motiviertes Projekt anzugucken. Da gab es den Vorschlag, über 15 Architekten und ihre kleinen Wunderwerke – ja, Toiletten! – eine Reihe von dokumentarischen Kurzfilmen zu machen, sofern mich diese Orte inspirieren würden. Das habe ich dann umgedeutet in eine rein erzählerische Arbeit und in einen Spielfilm. Die Frage war nur: Würde das überhaupt gehen, solange ich noch mit „Anselm“ beschäftigt war? Aber weil ich für die Postproduktion (höchst aufwendig in 3D) für lange Zeit nicht gebraucht wurde, habe ich dann einen ganzen Monat frei gehabt. Im Oktober 2022 wurde dann „Perfect Days“ gedreht, in ganzen 16 Tagen. Und so kam es, dass ich Anfang diesen Jahres zwei Filme hatte. Jetzt habe ich allerdings die Konsequenz an der Backe, dass ich für die Kinostarts der beiden zweimal durch die ganze Welt reisen muss.
Sie kennen Anselm Kiefer seit seiner großen Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie 1991. Ab wann gab es die Idee, einen Film über ihn zu machen?
Das stand schon früh im Raum. Als er die Ausstellung vorbereitet hat, haben wir wochenlang im selben Restaurant, im Exil in Kreuzberg gegessen, uns dabei kennengelernt und viel geredet. Er wusste dann, dass ich gern Maler geworden wäre, und verriet mir, dass er gern Filme machen würde. Wir fanden, damit seien wir doch geradezu prädestiniert füreinander, das konnte eigentlich nicht schief gehen. Glücklicherweise ist es doch schief gegangen. Damals wären wir beide noch nicht soweit gewesen. Außerdem ist er dann bald nach Frankreich gezogen und ich nach Amerika. Aber die Idee haben wir immer bewahrt. Wann immer wir uns sahen, kam sie auf. Und dann rief er eines Tages an: „Komm mich doch mal in Barjac besuchen, Du kennst das Atelier ja noch gar nicht.“ Ein paar Wochen später stand ich auf diesem Wahnsinngelände, einen großen Plan in der Hand, und hab mich umgeguckt, unterirdisch, überirdisch, in den 40 Hallen, der Krypta, dem Amphitheater und und und. Da kann man sich echt verlaufen. Ich war hin und weg. So was hatte ich noch nie gesehen! Und dann hab ich Anselm am Abend gesagt: „Okay, it’s now or never“.
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Man wartet bei Dokumentarfilmen immer auf Talking Heads. Die kommen aber nie. Stattdessen setzen Sie die Kunstwerke in Szene, lassen die Kunst für sich sprechen. War das von Anfang an das Konzept?
Das war mein Konzept: die Werke sprechen zu lassen und nicht den Maler. Als ich Anselm versprach, keine Interviews zu machen, fiel ihm geradezu ein Stein vom Herzen. Er musste sich dennoch tagelang Löcher in den Bauch fragen lassen, aber ohne Kameras, nur mit einem Tongerät, über alle Themen, die der Film aufwerfen würde. Am Schluss hatte ich nur eine letzte Frage: „Was erwartest du eigentlich von mir und dem Film?“ Nach kurzem Zögern sagte er dann: „Dass er mich überrascht.“ Da fiel auch mir ein Stein vom Herzen. Das habe ich ihm gern versprochen. Ich durfte dann drehen, was und wo ich wollte und hatte völlig freie Hand.
Ich hatte bei „Anselm“ manchmal ein Gefühl wie bei Ihrem „Himmel über Berlin“. Sie sind der Engel und lauschen den Gedanken von Kiefer.
Die Engel waren für mich in diesem Fall eher die namenlosen weißen Frauenfiguren, seine „Frauen der Antike“, die Anselm in der Natur und mehreren Hallen ausgestellt hat. Das waren quasi meine Verbündeten. Die erzählen viel, ohne dass man sie immer verstehen würde. Sie flüstern vor sich hin. Ich wollte mit dem Film ja keine „Meinungen“ zu Kiefer und seinem Werk verbreiten, sondern den Zuschauer ganz in dieses Reich eintauchen, wirklich eine Erfahrung darin machen lassen. Manchmal hat Anselm unerwartet doch was gesagt, ohne dass ich das forciert hätte. Das habe ich hie und da auch verwendet. Aber er sollte nie von heute aus etwas erklären. Aus seiner Frühzeit als junger Maler habe ich einiges Material gefunden, wo er sich durchaus dezidiert äußern oder seine Positionen verteidigen musste. Diese Zeitzeugenschaft über sich selbst fand ich aus dieser Distanz hochinteressant.
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Erneut haben Sie das wunderbar in 3D gedreht. Entfaltet diese Technik bei Kunst erst ihre ganze Kraft? Bei Ihrer Edward-Hopper-Arbeit, die kürzlich in der Galerie Bastian zu sehen war, und erst recht bei Kiefers Gemälden mit den rauen Oberflächen?
Man versteht seine Bilder nicht, wenn man sie nur flächig betrachtet, wie in einem Katalog oder Buch. Man braucht auch all die Schichtungen, die Details und das Ganze. Dabei ist die räumliche Darstellung gar nicht das eigentliche Geheimnis von 3D, das ist eher das übersteigerte Sehvermögen. Sie sehen mehr! Der Akt des Sehens wird durch die zwei Kameras quasi ins Quadrat erhoben. Um diese erhöhte Information zu verarbeiten, ist das Hirn ganz anders beteiligt. Deshalb ist der Zuschauer im Kinosessel einfach mehr „da“.
Die 3D-Welle ist beinahe abgeflaut. Kaum einer verwendet Sie noch. Sind Sie sowas wie der letzte Mohikaner?
Ich habe zwischendurch auch wieder ‚flach‘ gedreht. Doch bei „Anselm“ musste ich einfach diese erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit in Anspruch nehmen, um mich in das Kiefersche Universum zu trauen. Ich habe aber auch Verbündete. Ein unerwarteter Verbündeter istJames Cameron, der gerade einen gewaltigen Kampf führt, dass 3D-Filme weiter mit zwei Kameras, also mit zwei Augen gedreht werden. Die hochnäsige Industrie, die nicht an der Physiologie des Sehens interessiert ist, ist ja der Meinung, man kann das auch nachträglich am Computer konvertieren. Aber das tut dem Medium 3D Gewalt an und tut der Birne weh. 3D ist tatsächlich in Gefahr, ein skandalös kurzes Kapitel in der Filmgeschichte zu werden, unter der Überschrift: Wie mache ich eine Sprache zunichte und ein Medium kaputt, indem ich es nur benutze, um mehr Geld zu verdienen? Leider haben die Studios es geschafft, die Independents zu überzeugen, dass sie in diesem Feld nichts zu suchen haben. Aber ich habe hier als, ja, „letzter Mohikaner“ die Stellung behauptet. Weil ich glaube, dass das auch ein sehr poetisches Medium ist.
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„Anselm“ ist ein Dokumentarfilm über einen Bildenden Künstler, „Perfect Days“ ein Spielfilm über einen Toilettenreiniger. Trotzdem sind sich die beiden Filme gar nicht so unähnlich: zwei sehr stille, dialogarme Filme, die ihre Hauptfiguren beobachten und bestaunen. Ist das Zufall?
(lacht) Das war nicht so geplant. „Perfect Days“ war ja überhaupt nicht geplant.
Jetzt geht „Perfect Days“ als japanischer Kandidat ins Oscar-Rennen. Ist das merkwürdig für Sie? Und ist der Oscar ein Preis, den Sie gern mal bekommen würden?
Ich habe schon drei Mal da gesessen, jeweils mit einem Dokumentarfilm, immer mit dem Wissen, dass ich gegen die amerikanische Konkurrenz kaum eine Chance hatte. Es werden ja doch immer sehr konventionelle Filme ausgezeichnet, weil die Academy so viele Fernsehmitglieder hat. Eigentlich hat man keine Chance, „aber man muss sie nutzen“, um Werner Herzog zu zitieren. Und dabei zu sein, hilft der Aufmerksamkeit für die Filme durchaus. Diesmal also mit einem Spielfilm unter japanischer Flagge. Wie sich das anfühlt, habe ich vor zwei Wochen in Leipzig erfahren. Auf der Filmkunstmesse habe ich den Gilde-Preis der Filmkunsttheater bekommen. Den habe ich auch in der Vergangenheit schon mal erhalten, aber diesmal, und da war ich schon baff, war es der Preis für den ‚besten ausländischen Film‘. (lacht) Das war Neuland für mich, ein Vorgeschmack vielleicht.