Die Vorlage war ein großer Bucherfolg. Doch die Verfilmung ist nicht ganz gelungen. Trotz einer starken Mala Emde in der Hauptrolle.
Es ist ein Schockmoment. Und eins der größten Tabus: Eine junge Mutter lässt im Chaos der ersten Nachkriegstage ihren kleinen Sohn ganz allein an einem fremden Bahnhof zurück. So begann Julia Francks Kultroman „Die Mittagsfrau“, in dem sie die Kindheit ihres eigenen Vaters aufgriff. Und dann das Schicksal ihrer Großmutter erzählte und was diese zu der verzweifelten Tat trieb.
Nun wurde der Roman fürs Kino adaptiert. Aber der Film kommt erst gegen Ende zu der erwähnten Szene. Als hätten Regisseurin Barbara Albert und Drehbuch-Koautorin Meike Hauck Angst gehabt, dass die Zuschauer sonst keine Sympathie mehr für die Hauptfigur aufbringen könnten.
„Die Mittagsfrau“: Die Befreiungsgeschichte einer Frau in schwersten Zeiten
Weshalb die Geschichte ganz aus deren Sicht erzählt wird. Eine fast exemplarische Geschichte. Von einer jungen Frau, deren Mutter den Verstand verloren hat, nachdem all ihre Söhne im Ersten Weltkrieg starben. Weshalb Helene (Mala Emde) zu ihrer Tante ins wilde Berlin der 20er-Jahre flieht.
Hier will sie Ärztin werden. Und lernt ihre große Liebe Karl (Thomas Prenn) kennen. Doch bald wendet sich das Glück gegen sie. Karl wird von den Nazis erschlagen. Die Tante flieht nach Amerika. Und Helene muss ihre jüdische Herkunft verleugnen, um weiter am Krankenhaus arbeiten zu können.
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Eine Leidens- und Martyriumsgeschichte. Zwar verliebt sich der verwundete Wehrmachtspilot Wilhelm (Max von der Groeben) in sie, heiratet sie, obwohl er sich damit strafbar macht, und verschafft ihr einen gefälschten Arierausweis. Aber dafür behandelt er sie wie eine Sklavin, und ist sie nicht willig, so braucht er Gewalt.
Eine erschütternde Geschichte. Aber warum ergreift diese Verfilmung dann nicht?
Die Frucht einer Vergewaltigung ist der kleine Peter, den die Mutter deshalb nicht lieben kann. Und mit dem sie der Gatte allein lässt. Über die ganze Kriegszeit hinweg hält Helene ihre Scheinidentität aufrecht, immer in Angst vor Entdeckung, Denunziation, Deportation. Und als der Krieg verloren ist, ist sie die Einzige, die mit einem Lächeln durch die Trümmer geht. Nur ihr Sohn erinnert sie an die Qualen der Vergangenheit.
Eine erschütternde Geschichte, die viel über die jüngste Vergangenheit erzählt und die Zuschauer tief ergreifen müsste. Aber wieso gelingt dem Film das nicht recht? Die Regisseurin hat schon in Filmen wie „Nordrand“ oder zuletzt „Me, We“ ihr Feingefühl für komplexe Frauenschicksale bewiesen. Und Mala Emde („Und morgen die ganze Welt“) erweist sich einmal mehr als kraftvolle Darstellerin.
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Doch der Film wirkt wie ein großes Epos, dem das Budget ausgegangen ist. Er erzählt nur unter großen Auslassungen. Und fast nur mit Innenaufnahmen. So aber wird die Welt nicht zum inneren Gefängnis – sie ist es ja von Anfang an. Vieles wird nur vage angerissen, da müssen Klischees und Versatzstücke aus anderen Kriegs- und Holocaustdramen genügen.
Das Schlimmste aber ist die Besetzung des Offiziers mit Max von der Groben, der seiner Rolle in keiner Weise gerecht wird. Wenn der großartige Nachwuchsdarsteller Thomas Penn („Große Freiheit“) als Karl stirbt, stirbt irgendwie auch der Film, muss Emde fortan quasi ins Nichts spielen. Die Geschichte ist stark genug, um auch das zu überstehen. Aber dem Roman hätte man doch eine stärkere Adaption gewünscht.
Drama, Deutschland 2022, 142 min., von Barbara Albert, mit Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Penn, Liliana Amuat