Von schweren Zeiten und Menschen im Ausnahmezustand: Matthias Luthardts „Luise“ ist ein Film, der von Anfang an ganz Auge und Ohr ist.
Ein kleiner Bauernhof im Elsass, unweit der französischen Grenze, Oktober 1918. Der Erste Weltkrieg geht seinem Ende entgegen, und obwohl er sich hier fast vor der Haustür abspielt, ist er doch zunächst nur wie ein entferntes Grollen wahrnehmbar. Andere Geräusche spielen hier die Hauptrolle, während sich der Morgennebel über die dichten Wälder legt und der Tag erwacht: das Knacken der Zweige im Unterholz, wenn sich ein Fuchs seien Weg bahnt, das Gluckern eines Bächleins, das Krächzen der Krähen und das leise Summen der Bienen.
„Luise“: Eine Bäuerin nimmt eine Verfolgte auf, aber deren Verfolger gleich auch
„Luise“, dieser so sehenswerte Film von Matthias Luthardt, verfügt über eine seltene und hochsensible Wahrnehmungspräzision, er ist von Anfang an ganz Auge und Ohr – authentischer könnte man nicht zurückversetzt werden in die mehr als 100 Jahre vergangene Zeit des Lebens auf dem Land, als mit dem Krieg das 20. Jahrhundert an die Türen schlug und alles einriss und umkrempelte.
Dabei hat Luise (Luise Aschenbrenner) gerade erst einen schmerzhaften Lebenseinschnitt hinnehmen müssen. Nach dem Vater ist nun auch ihre Mutter gestorben, und sie muss den kleinen Hof mit den wenigen Kühen und Hühnern allein bewirtschaften. Bis eines Tages die Französin Hélène (Christa Théret) an ihrer Tür steht. Sie wird von dem deutschen Soldaten Hermann (Leonard Kunz) verfolgt.
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Luise erfährt, dass Hélène von Hermanns Vorgesetztem bedrängt wurde und ihn daraufhin erstach, weshalb Hermann, der sich im Handgemenge am Bein verletzte, sie verfolgte. Luise beschließt, beide bei sich aufzunehmen und Hermann gesund zu pflegen. Wodurch er zum Deserteur wird – dem seine Verfolger in Gestalt des Hauptmanns (Aleksandar Jovanovic) schon auf den Fersen sind.
Luise Aschenbrenner verleiht ihrer Figur eine umwerfende Glaubwürdigkeit
Es entwickelt sich eine Dreieckskonstellation, die motivisch auf D. H. Lawrences Novelle „Der Fuchs“ (1923) aufbaut. Zwischen Luise, Hélène und Hermann gibt es Sprachbarrieren: Nur Luise, die Französisch und Deutsch spricht, kann mit beiden kommunizieren. Das fällt umso mehr ins Gewicht, als sich zwischen Hélène und Luise bald mehr anbahnt als nur freundschaftlicher Umgang und weibliche Solidarität.
Überzeugend ist daran neben der atmosphärischen Intensität und der perfekten Ausstattung vor allem die schauspielerische Leistung. Luise Aschenbrenner verleiht ihrer Figur einer ebenso frommen wie aufrichtigen Frau, die sich von unbekannten Gefühlen auf die Probe gestellt sieht, mit klugem Minimalismus eine umwerfende Glaubwürdigkeit. Auch der Rest des Ensembles ist herausragend besetzt. „Luise“ ist ein stiller Film, der vom großen Drama der Liebe handelt. Davon, warum wir sie suchen und davon, was sie anrichten kann.
Drama, Deutschland 2023, 99 min., von Mathias Luthardt, mit Luise Aschenbrenner, Christa Théret, Leonard Kunz