Eine 14-Jährige freundet sich mit einem Heimkind an und entdeckt das Leben: das kraftvolle Spielfilmdebüt „L’amour du monde“.
Mit großen Augen blickt Margaux (Clarisse Moussa) auf die herumtobenden Jungs, das brüllende, sich auf dem Boden wälzende Mädchen und das andere Durcheinander. Alles ist neu und ungewohnt für die 14-jährige, als sie im Kinderheim Des Pins am Genfer See ihr Praktikum beginnt. Sonst ist die Halbwaise meist allein mit sich in diesen Sommerferien, vom umtriebigen Vater vernachlässigt, die Freundinnen weit weg. Doch hier lebt sie sich schnell ein.
„L’amour du monde“: Drei verwaiste Menschen finden sich
Vor allem freundet sie sich mit der kleinen Juliette (Esin Demircan) an, der aufmüpfigen Siebenjährigen, für die sie bald zu einer Art großen Schwester wird. Gemeinsam streifen sie durch die Natur und begegnen dabei dem introvertierten Joël (Marc Oosterhoff), einem Fischer um die 30, der lange in Indonesien gelebt hat und nach dem Tod der Mutter in die alte Heimat zurückgekehrt ist.
So unterschiedlich die drei sind, eint sie, neben den fehlenden Müttern, eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit und einem Platz in dieser Welt. Und für einen kurzen Sommer werden aus den einsam Suchenden Verbündete. Margaux wohnt mit ihrem Vater im Hotel, er ist zu sehr mit der neuen Freundin beschäftigt, um sich um seine Tochter zu kümmern.
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Der Hitze und Langeweile entflieht sie ins Kino, wo sie sich allein unter Fremden alte Stummfilme anschaut, wie G.W. Pabsts „Herrin von Atlantis“, in dessen von Brigitte Helm gespielten Heldin sie sich wiedererkennt. Selbstvergessen ahmt sie später deren verführerischen Anmut nach. So findet der Film immer wieder berührende Bilder für die Gefühle und Wünsche der Jugendlichen.
„L’amour du monde“ Ein wunderbares Plädoyer der Zuversicht
Die 1989 in Lissabon geborene und am Genfer See aufgewachsene Schauspielerin und Regisseurin Jenna Hasse siedelt ihr Spielfilmdebüt „L’amour du monde“ in ihrer Heimat an, die Vertrautheit mit Landschaft und Menschen ist dem Film anzumerken. Sie inszeniert die flirrenden Sommertage unaufgeregt und naturalistisch zu einem bewegenden Porträt eines Mädchens auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Der Titel bezieht sich dabei auf den gleichnamigen Roman des Schweizer Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz, aus dem sie auch ein Zitat vorangestellt hat. „Wie konnten wir so klein leben, wo doch alles so groß ist und es so viel gibt?“ Auch in Hasses Film passiert oberflächlich nicht viel, dafür rumort die Sehnsucht umso stärker. Ein wunderbares Plädoyer der Zuversicht.
Drama, Frankreich/Schweiz/Portugal 2023, 76 min., von Jenna Hasse, mit Clarisse Moussa, Esin Demircan, Marc Oosterhoff