Berlin. Gleich zwei Filmproduktionen handeln von der Mätresse Ludwigs XV. – und zeichnen ein ganz unterschiedliches Bild von Jeanne du Barry.
Das Urteil über Marie-Jeanne du Barry ist längst gefällt. Als bürgerliche Mätresse des Königs Ludwig XV. hat sie Schande über das Königshaus gebracht, den Regenten um den Finger gewickelt, sich in Staatsangelegenheiten eingemischt und skrupellos ihre Macht missbraucht. Freilich sollte man sich vergegenwärtigen, woher dieses Bild stammt: vom französischen Hof, von der Königsfamilie selbst und all den Hofschranzen, die ebenfalls um die Gunst des Königs buhlten.
Sicher, Jeanne du Barry genoss ihre Privilegien. Und verschwendete Gelder im großen Stil, während das Volk hungerte. Ihr Einfluss aber war deutlich geringer, als es die Gerüchte wollten. Sie war zwar am Sturz des Finanzministers, Herzog de Choiseul, einem ihrer größten Feinde, beteiligt.
Mal Haupt-, mal Nebenfigur, mal Vorbild, mal Feindfigur
Doch ansonsten war ihr Einfluss bei weitem nicht so groß wie der etwa der ihrer Vorgängerin Madame Pompadour. Und sie litt sehr unter der Ablehnung und dem Intrigenspiel. Immer wieder wurde ihr schmerzlich bewusst gemacht, dass sie nicht in diese Kreise gehörte. Am Ende aber kam sie ebenso um wie ihre Neider und Konkurrenten: unter der Guillotine der französischen Revolution.
Es ist nicht uninteressant, dass – im Zuge der derzeitigen Royal- und Kostüm-Besessenheit der Streamingdienste, nach Erfolgen von „The Crown“ bis „Bridgerton“ – nun gleich zwei Produktionen zeitnah starten, die diese Zeit am französischen Hof beleuchten. Aber dabei zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen.
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In der französischen Serie „Marie Antoinette“, die bereits seit Ende Juni auf Disney+ läuft und in der die Deutsche Emilia Schüle die Titelpartie spielt, ist die Dubarry, dargestellt von Gaia Weiss („Vikings“), die große Konkurrentin. Und hier wird das gängige Klischee bedient: eine machtbesessene Femme fatale, die ihren Willen durchsetzt, eigenen Günstlingen zu Positionen verhilft und den König mit Trotz und Liebesentzug zu beeinflussen weiß.
Ganz anders dagegen der Film „Jeanne du Barry“, der im Mai die Filmfestspiele in Cannes eröffnete und nun in die deutschen Kinos kommt: Hier steht die Mätresse im Mittelpunkt. Und wird einmal ganz anders gezeigt: als arme Waise, die von Anfang an lernen muss, dass sie in der Gosse landen wird, wenn sie nicht den Männern willfährig ist. Und das zumindest ein wenig zu ihren Gunsten zu lenken versucht.
Regie, Drehbuch, Titelrolle: Ein absolutes Wunschprojekt für Maïwenn
So steigt sie in der Gesellschaft auf. Stets umworben von brunftigen Herren und stets verdammt von dessen eifersüchtigen Frauen. Aber immer nur als Mätresse. Bis sie schließlich mit Baron du Barry verheiratet wird. Ein Arrangement, um des königlichen Bettes würdig zu sein.
Für die Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn war dieser Film ein langgehegtes Wunschprojekt, bei dem sie nicht nur Regie führte und das Drehbuch schrieb, sondern auch gleich noch die Hauptrolle übernahm. Für größtmögliche Publicity sorgte nicht nur, dass diese Produktion – im Gegensatz zu „Marie Antoinette“ – im Palast von Versailles gedreht werden durfte. Sondern auch, weil ihren königlichen Partner dabei Johnny Depp spielt.
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Seine erste Filmrolle nach der langen Schlammschlacht vor Gericht mit seiner Ex-Frau Amber Heard. Was viele denn auch als sein Comeback betrachten. Eine Rolle, in der er überraschend einmal ganz zurückgenommen agiert. Was böse Kritiker indes nur damit begründen, dass er genug zu tun hatte, sein Französisch halbwegs passabel herüberzubringen.
Sie beide geben ein irres, irrlichterndes Paar: Maïwenns Jeanne findet die Etikette des Hofes albern und bekundet von Anfang an, dass sie die Vorschrift, sich nur rückwärts in Trippelschrittchen vom König zu entfernen, nie befolgen wird. Woraufhin Depps Louis ironisch selbst solche Trippelschrittchen vor ihr macht.
Zwei Außenseiter, die von der Umwelt ausgegrenzt sind und sich gerade darin treffen
Damit ist in ein schönes Bild gesetzt, was den König an ihr so fasziniert. Als Regent ist er gefangen in einem Kokon erstarrter Vorschriften und gelangweilt von speichelleckenden Höflingen. Die Dubarry dagegen gibt sich ganz natürlich und unbezwungen. Dass sie damit den Hof schockiert und in seinen Grundfesten erschüttert, amüsiert den König wohl auch. Zwei Außenseiter, auf unterschiedlichste Weise vom „normalen“ Leben ausgegrenzt, die sich gerade darin treffen.
Die du Barry genießt die Vorzüge, die ihr dieses Leben bringt. Die teuren Kleider, die sie tragen darf und mit denen sie eine Zeitlang auch die Mode prägt. Und all die Geschenke, mit denen sie der König überhäuft. Sie muss freilich auch viele Launen des Regenten und manche Konkurrentin um seine Gunst überstehen.
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Und bleibt ihm doch bis zum Ende ergeben, weicht nicht von seinem Bett, als er elendig an den Pocken stirbt, während der Res des Hofs vor der ansteckenden Krankheit zurückschreckt. Selbst dieses Verhalten am Sterbebett wird in der Serie „Marie Antoinette“ noch so ausgelegt, dass die Mätresse bis zum letzten Augenblick verzweifelt an ihrer Macht festzuhalten versucht. In „Jeanne du Barry“ erweist sie dem König einen letzten großen Liebesdienst und schert sich nicht darum, ob sie sich dabei selber den Tod holen könnte.
Jeanne du Barry aus feministischer Sicht: Das wäre einmal ein spannender Ansatz. So weit freilich geht Maïwenn nicht. Das fängt schon damit an, dass die Erzählerstimme aus dem Off keine weibliche, sondern eine männliche ist. Und dann scheint sich Maïwenn einfach auch einen Mädchentraum erfüllt zu haben: einmal Prinzessin sein.
Persönliche Bezüge: „Ich wollte diese Ungerechtigkeiten herausschreien“
Einmal in grandiosen, ausladenden Garderoben, eigens angefertigt vom Modehaus Chanel, durch die Flure von Versailles wandeln dürfen. Weshalb der Film übrigens immer nur montags gedreht werden konnte, dem einzigen Schließtag in Versailles. Maïwenn geht sogar so weit, dass ihre Dubarry einmal an der Seite des Königs in gleichem Gewand auftritt wie dieser.
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Um historische Genauigkeit ging es Maïwenn nicht. Darum geht es freilich in den wenigsten Kostümfilmen. Die 46-Jährige suchte eher Ähnlichkeiten mit ihrem eigenen Leben, wie sie in Interviews zu ihrem Film gestand. „Wie sie hatte ich das Gefühl, meine soziale Klasse zu verleugnen“, bekannte die Französin mit algerischen Wurzeln.
Und dann sieht sie auch viele Ähnlichkeiten zu ihrer Beziehung mit dem Filmregisseur Luc Besson, mit dem sie im Alter von 15 Jahren eine Liebesbeziehung begann und den sie mit 16 Jahren geheiratet hat: „Eine junge Frau, die sich in einen mächtigen Mann verliebt, wird immer als eine selbstsüchtige Person, die dem Geld nachläuft, verunglimpft werden. Ich wollte diese Ungerechtigkeiten herausschreien.“ Sie sei überzeugt davon, „ dass ich diese Frau in meinem tiefsten Inneren kenne, sowohl in ihren schönsten als auch in ihren dunkelsten Seiten.“
Eine überzeugende Darstellung von Jeanne du Barry steht immer noch aus
So ganz rund und überzeugend wird die Deutung der du Barry dadurch aber nicht. Der Film bleibt atmosphärisch unentschlossen. Und der Versuch, sie gar als eine Art frühe Menschenrechtsaktivistin darzustellen, weil sie einen schwarzen Sklaven geschenkt bekommt, ihn erzieht und gegen den rassistischen Hof verteidigt, krankt schon daran, dass in den Revolutionsjahren eben jener Louis-Benoit Zamor sie anschwärzte, weshalb sie vor das Revolutionstribunal gestellt wurde.
So viele Filme haben sich schon mit der berühmt-berüchtigten Favoritin des Königs befasst, von Ernst Lubitschs frühem Stummfilm „Madame Dubarry“ (1919) mit Pola Negri bis zu Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ (2006) mit Asia Argento in dieser Rolle. Aber eine echte, überzeugende Annäherung steht immer noch aus.