Hamburg. Die Deutschpopper Juli stellten bei „Draußen im Grünen“ nur kurz die Gießen-Frage – und ließen dann alte Zeiten aufleben.

„Draußen im Grünen“ ist wahrscheinlich die sommerlichste Konzertreihe der Stadt. Vor dem Musikpavillon in Planten un Blomen schaut man romantisch in den Abendhimmel, trinkt Bier, hört Musik in sanfter Lautstärke und lässt sich von Mücken die nackten Beine zerstechen. Schön. Und dann das: „Der Sommer ist vorbei!“

„So bitter es ist, ich muss es euch sagen: Der Herbst steht vor der Tür!“, kündigt Eva Briegel den Titelsong des jüngsten Albums ihrer Band Juli an. Ist dann freilich halb so schlimm: „Der Sommer ist vorbei“ mag als Aussage harsch klingen, musikalisch erweist sich der Song aber als typische Juli-Komposition, die mit Schrammelgitarren, treibendem Rhythmus und einem im Ungefähren tastenden Text eine Auguststimmung beschwört.

Juli in Hamburg: „Sommer ist vorbei“ – Band bei Konzert peinlich berührt

Allerdings im Wissen, dass im August die Tage wieder kürzer werden – Musik für den frühen Herbst. „Fröhliche Melancholie“ beschrieb jemand mal dieses „Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?“-Gefühl, das Briegel so gut beherrscht wie kaum jemand anders im zeitgenössischen Deutschpop.

Als Juli bekannt wurde, Anfang der Nullerjahre, war das Quintett Teil einer Bewegung tendenziell ähnlicher Bands: Sängerin am Mikro, Jungs an den Instrumenten, deutsche Texte mit Betonung aufs Gefühlige. Bands wie Jennifer Rostock oder Silbermond waren das, aus Sachsen, Brandenburg, von der Ostsee.

Juli in Hamburg: Im August ist der Sommer fast vorbei

Bald nach den ersten Erfolgen zogen diese Bands nach Berlin, allerdings ohne ihre leicht provinzielle Anmutung ganz abzulegen – und wenn Briegel den Trennungssong „2004“ als Abschied von ihrer Heimatstadt Gießen ankündigt, dann hat das auch etwas von einer Entschuldigung an das mittelhessische Städtchen: „Wenn man eine Stadt verlässt, ist das so ähnlich wie Schlussmachen. Man redet den anderen dann auch ein bisschen schlecht.“

Sorry. Dann fragt sie, ob Gießener im Publikum seien, und als Zustimmung kommt, ist sie ein bisschen peinlich berührt. Sympathisch.

Draußen im Grünen: Mit Juli gastierte eine der Sängerin-Musiker-Gefühle-Bands

Anders als diese übrigen Sängerin-Musiker-Gefühle-Bands waren Juli aber von Beginn an weniger Deutschpop, mehr Indierock, eine Band, der ihre großen Hits mehr aus Versehen passierten: die Rockhymne „Die perfekte Welle“ (2004), die melancholische Ballade „Geile Zeit“ (2004), der Mutmachsong „Dieses Leben“ (2006), in dem die Verschattung gleich mitgedacht ist.

„Ich liebe dieses Leben“, heißt es da, aber darauf folgt unvermeidlich „Ich liebe den Moment, in dem man fällt.“ Wer in Briegels Texten immer nur die gnadenlose Positivität entdeckt, der hört nicht richtig hin, die Sommerstimmung dieser Songs heißt immer auch Frühherbst, wenn Briegel von Liebe singt, dann denkt sie immer auch an die Trennung.

Der überragende Erfolg aus den Nullerjahren hielt nicht, die Aufenthaltsdauer in den Charts wurde von Platte zu Platte kürzer, die Hallen kleiner. Auch vor dem Musikpavillon in Planten un Blomen hätten noch ein paar Zuschauer mehr Platz gefunden – egal.

2010, mit dem Album „In Love“, brachen die Verkäufe ein, dem Publikum waren die elektronischen Ansätze zu experimentell, und es zeugt vom Vertrauen der Band in ihre Songs, dass sie gleich als zweite Nummer die „In Love“-Single „Elektrisches Gefühl“ spielt, mit pochenden Beats und sparsamen Gitarren.

Juli in Hamburg: Bei „Wolke“ stellt sich Briegel selbst hinters Keyboard

Man soll es sich nicht zu einfach machen, man soll nicht auf Nummer sicher gehen – und diese Experimentierfreude wird vom spärlichen Publikum auch mit freundlichem Applaus belohnt.

Einmal, bei „Wolke“, stellt sich Briegel sogar selbst hinters Keyboard und spielt einzelne, sparsame Akkorde: „Man soll ja immer mal wieder seine Comfortzone verlassen. Also spiele ich jetzt vor mehreren Hundert Leuten ein Instrument, das ich nicht beherrsche.“ Nicht schlimm: Nach ein paar Strophen versinkt „Wolke“ dann ohnehin im Feedback.

Juli-Fans vor dem  Musikpavillon in Planten un Blomen
Juli-Fans vor dem Musikpavillon in Planten un Blomen © Marcelo Hernandez

Briegel weiß, was sie an ihren Zuschauern hat: Wer 19 Jahre nach „Die perfekte Welle“ noch bei Juli ist, der zählt tatsächlich zu den engen Fans, auf die sich bauen lässt. „Wir wissen schon, dass wir nicht die beständigste aller Bands sind“, bedankt sich die Sängerin und spielt damit auf die langen Pausen zwischen ihren Veröffentlichungen an, neun Jahre lagen zwischen „Der Sommer ist vorbei“ und dem Vorgänger „Insel“.

Planten un Blomen: Wer hier dabei ist, wird in zehn Jahren noch dabei sein

Aber die Band kann sich auf den harten Kern des Publikums verlassen, wer in Planten un Blomen dabei ist, der wird auch noch in zehn Jahren dabei sein. Zumal er hier ein einerseits grundsympathisches, andererseits musikalisch überraschend vielschichtiges Konzert erlebt hat, mit alten Hits, mit neuen Liedern wie dem federnden Popsong „Fahrrad“ oder dem rhythmisch vertrackten „Die besten Dinge“.

Seit 2000 spielt das Quintett in derselben Besetzung zusammen, trotz langer Pausen, trotz Kritikerschelte, trotz Umzügen. Juli, das sind treue Musiker, und weil sie einander treu sind, dürfen sie auch zu Recht eine Treue des Publikums erwarten, auf dass man gemeinsame Erinnerungen teile.

„Du liegst in meinen Armen, und wir singen die alten Lieder“, heißt es in „Die besten Dinge“, „Sportis und Everlong, und die Zeit hat uns wieder.“ Sportfreunde Schiller und Foo Fighters, cool ist das nicht, aber wenn man ehrlich ist, darf man sich auch mal wehmütig an die eigene Uncoolness damals in Mittelhessen erinnern.

(Der Autor dieser Zeilen übrigens hat einst in Gießen studiert, er weiß, wovon Briegel singt.)