Mieter haben Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Daraus entsteht ein Klima der Angst: Aslı Özges hochaktueller Film „Black Box“.
Mit der Black Box fängt es an. Mit einem Kran wird der Glaskubus mitten in den schmalen Hinterhof des Berliner Altbaus gewuchtet. Ein Störfaktor. Nicht nur, weil die Mülleimer nun vor die unteren Wohnungen geschoben werden.
Sondern auch, weil sich in dem mobilen Büro Johannes Horn (Felix Kramer) niederlässt, der Mann von der Hausverwaltung, die den maroden Bau grundsanieren und in Eigentum verwandeln will. Das treibt manche Mieter auf die Palme. Zumindest die, die sich das nicht leisten können. Bald kommt es zu ersten Auseinandersetzungen, es fliegt auch mal ein rohes Ei.
„Black Box“: Das Misstrauen greift um sich, Stockwerk für Stockwerk
Aber dann ist das ganze Haus im Ausnahmezustand, als die Straße wegen eines Polizeieinsatzes abgeriegelt wird. Die Anwohner sollen brav zu Hause bleiben. Über Stunden hinweg. Ohne dass man ihnen sagen würde, was los ist. Was sich, so kurz nach Corona, wie ein neuer Lockdown anfühlt. Und die Leute aufbringt.
Da hält es die Nachbarn nicht länger in ihren Wohnungen. Sie treffen sich an der Haustür, vor der sich die Polizisten scharen. Sie tauschen ihre Sorgen und Ängste aus. Dabei fallen auch Andeutungen, einige wissen schon mehr als andere. Dass bereits Gespräch mit Käufern geführt werden, dass Wohnungen zur Disposition stehen, deren Mieter noch gar nichts davon ahnen.
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Und während manche offen rebellieren wie der ewige Querulant des Hauses (Christian Berkel), taktieren andere eher vorsichtig, um sich Vorteile auszuhandeln. Doch je länger die Mieter gefangen sind, desto mehr liegen die Nerven blank.
Als klar wird, dass der Polizeieinsatz mit den Ausländern im Haus zu tun haben könnte. Und erst recht, als durch Zufall entdeckt wird, dass eine tragende Säule im Keller zerstört wurde: um eine Zwangssanierung zu beschleunigen?
Ein bedrückender Film, geht es doch um Gentrifizierung und Verdrängung
„Black Box“ ist ein unangenehmer Film. Weil er ein Thema aufgreift, das leider viele betrifft. Und vor dem noch mehr Angst haben. Geht es doch um Gentrifizierung und Verdrängung in Berlin, wo die Mieten immer teurer werden und der Wohnraum immer knapper. Zuletzt hat sich, besonders tragisch, ein Mann während einer Zwangsräumung selbst getötet.
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In vielerlei Hinsicht also ist Aslı Özges Drama ein Film zur Stunde. Ihr Mietshaus ist ein Mikrokosmos, der den Makrokosmos Bundesrepublik spiegelt. Denn hier wohnen Vertreter aus fast allen Schichten, die Angst vor Mietteuerungen oder gar Zwangsumsetzungen haben. Und nicht nur gegen den Mann im Glaskasten Sturm laufen, sondern sich bald auch gegenseitig misstrauen, verdächtigen und denunzieren. Ein Klima der Angst, von der letztlich nur die Hausverwaltung profitiert.
Ein leider hochaktueller Film
Die Regisseurin konnte einen hochkarätigen Cast gewinnen für ihr Mietshaus, das zum Brennspiegel unserer Gesellschaft wird. Ihr klaustrophobisches Kammerspiel legt dabei die Finger in mehrere offene Wunden. Vorurteile, Argwohn und Fremdenfeindlichkeit treten immer offener zutage.
Und die Situation eskaliert schließlich derart, dass es nicht bei verbalen Auseinandersetzungen bleibt. Özge zeigt das alles nüchtern, ohne moralischen Zeigefinger. Und umso eindringlicher. Ein beklemmender und leider hochaktueller Film.
Drama Deutschland/Belgien 2023, 119 min., von Aslı Özge, mit Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Anne Ratte Polle, Anna Brüggemann, Inka Friedrich, Jonathan Berlin