Ein bisschen Krimi, ein bisschen Aliens, Porno und magischer Realismus: Im Schweizer Film „Nachtkatzen“ verschwimmen alle Grenzen.
Von einer verflossenen Liebe singt der Chansonnier Christophe in seinem Hit „Aline“, dazu ergötzen sich zwei Männer unterm Wasserfall am Nass und aneinander, der Farn wird mit Milch aus Krügen begossen. Ironische Wollust vor Waldkulisse in Zeitlupe. Was hier gleich in den ersten rauschhaften Sekunden zu sehen ist, spielt sich an einem Filmset ab, eine Art panerotischer Fetischfilm in historischen Kostümen wird gedreht. „Könnt ihr das mit ein bisschen mehr Spucke machen?“, kommt die Regieanweisung für die Knutschszene.
Aus dem Lüsternen des Anfangs wird eine Lust am filmischen Fabulieren
Sinnlich oder explizit ist es nicht, eher unfreiwillig komisch dank der Besetzung des Films im Film, beschränktes Talent wird durch übertriebenes Schauspiel kompensiert. Kurz darauf ist der Regisseur Valentin spurlos verschwunden. Einem Crewmitglied ist er im Traum als Leiche im Wald erschienen, also wird die Polizei eingeschaltet. Und während die Gendarmerie fahndet und sich zugleich einen Reim auf den entstehenden Film macht, müssen die Dreharbeiten weitergehen.
„Nachtkatzen“, das Langfilmdebüt des Schweizers Valentin Merz, heißt im Original eigentlich „Nachts sind die Katzen grau“. Spanisch, weil der Film bald den Schauplatz nach Mexiko wechselt und sich ohnehin fixen Zuschreibungen entzieht, zwischen Sprachen ebenso wie zwischen Genres, Perspektiven und Metaebenen changiert.
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Aus dem Lüsternen des Anfangs wird eine Lust am filmischen Fabulieren, ein selbstreflexives Spiel zwischen Zombiefilm, Krimisatire und magisch aufgeladenem Realismus. Jede Figur trägt den Namen ihrer darstellenden Person, die eine erfundene Variante ihrer selbst ist, auch Merz als höchst widersprüchlicher Regisseur des Films im Film, Valentin. Die Grenzen, so es sie denn gab, verschwimmen, vor und hinter der Kamera.
„Nachtkatzen“ ist so eine freigeistige Fantasie über queere Liebe und Sex, das Filmemachen und den Tod. Entstanden ohne klassisches Drehbuch, dafür mit möglichst wenig hierarchischen Strukturen und großer Teilhabe des diversen Teams – Asylsuchende, Pornostars, Film- und Theaterprofis sowie Indigene aus Mexiko, die im Film ihre eigenen Sehnsüchte abseits der Konventionen erforschen konnten. Ganz im Sinn Fassbinders habe er einen Film machen wollen, der den Kopf befreie, sagt Merz. Das experimentierfreudige Ergebnis ist ungestüm, verwirrend und immer wieder aufregend. Da ist dann am Ende auch gar nicht so wichtig, was eigentlich mit Valentin passiert ist.
Drama CH 2022, 110 min., von Valentin Merz, mit Alain Labrune, Andoni de la Cruz, Bishop Black