Kurzlesung beim OMR in den Messehallen: Mann mit dem Nummer-eins-Bestseller „Noch wach?“ war da. Überraschungsmoment bei Auftritt.
Beim Abgehen gestand der Autor dem Publikum, dass es sein bisher größtes gewesen sei: die Conference Stage bei der am 9. und 10. Mai stattfindenden Digitalmesse OMR in den Messehallen, da passen halt schon ein paar Tausend Leute rein. Da muss man mit klarkommen. Und auch damit, dass die „Audience“, um gleich mal die OMR-Sprach-Gepflogenheiten zu bemühen, bei der Vorrednerin noch deutlich größer war.
Als Benjamin von Stuckrad-Barre direkt nach Luisa Neubauer die Bühne betrat, um seinen Springer-Diss in Romanform „Noch wach?“ vorzustellen – die allererste Lesung in der Geschichte der Messe –, setzten sich etliche in Richtung Ausgang in Bewegung. Die Klimaaktivistin Neubauer war erstaunlicherweise der Star der Messe. Da kam die Literatur nicht gegenan.
OMR in Hamburg: Philipp Westermeyer hatte Stuckrad-Barre und Neubauer eingeladen
Dem feinnervigen Stuckrad-Barre („Da gibt es jetzt ein paar Wanderungsbewegungen in Richtung Foodtruck“), der den Auftritt in Hamburg zwischen die Lesereisen-Stationen Essen und Wolfsburg gelegt hatte, blieb das natürlich nicht verborgen. Fremdelte er ein wenig mit der ungewohnten Auftrittssituation? Wenn, tat er es unter Umständen allerdings weniger als OMR-Chef Philipp Westermeyer.
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Der stürmte auch zur Überraschung Stuckrad-Barres während der Lesung auf diesen zu, um dem tapfer lesenden Mann einen Kuss aufs Haupt zu drücken. Was war da los? Stand Westermeyer noch unter dem Eindruck des fulminanten Neubauer-Auftritts, bei dem er seine Souveränität ein wenig verloren hatte, als er sich eher für Neubauers Erfolge in Sachen Reichweite als ihr Thema Klimawandel interessierte?
Mit Stuckrad-Barre hatte sich Westermeyer unmittelbar nach Neubauer eine zweite Stimme auf die Bühne geholt, die beim begeisterten Marketing-Aufgalopp so gar nicht mitmachen wollte. Feindumarmung kann da auch eine Strategie sein.
Benjamin von Stuckrad-Barre: In „Noch wach?“ geht es um übergriffige Männer
Stuckrad-Barres in „Noch wach?“ betriebene literarische Abrechnung mit übergriffigen Männern und boulevardjournalistischen Vorgängen findet derzeit viel Anklang, hat allerdings auch hie und da Kritik hervorgerufen. Wo kommt denn die plötzliche Moral her, wo er doch selbst lange für den großen Verlag in Berlin arbeitete, dem nun seine Verachtung gilt? Seine juristische Strategie wurde auch auf der OMR-Bühne zum Running Gag: alles total fiktiv, natürlich.
Der 48-Jährige las das Kapitel, in dem der schönen neuen digitalen Welt so zugeneigte Senderchef seines Romans zu einer Begehung des neuen Firmengebäudes geladen hat. Der Romanteil trieft vor Spott, ironisiert architektonische Zukunftsgeilheit, enthusiastischen Globalsprech und ekstatische Digitalverherrlichung. Der Erzähler des Romans steht dem maximal ratlos gegenüber, ein bisschen Ekel kommt auch dazu: „Ich war das Zukunftsgelalle so leid.“
Online Marketing Rockstars: Charakteristisches Grundlaberrauschen und Kuss-Attacke
Ist Sprach- gleichzeitig nicht immer Realitätskritik? Ist Stuckrad-Barre genauso drauf wie sein Erzähler? Hatte Westermeyer seinen erklärten Lieblingsautor (wie ja auch Neubauer) eingeladen, weil er in die Start-up-Leistungsschau eine prüfende Perspektive implementieren wollte?
Abschließend zu klären war das nicht. Wie alle Branchen-Zusammenkünfte dieser Art ist auch das Online Marketing Rockstars Festival, dessen Namen Benjamin von Stuckrad-Barre mit besonderer Betonung aussprach, eh klar, ein Keynote-Gehetze. Stuckrad-Barre durfte aber etwas länger auf die Bühne als die anderen.
Was auch hieß, dass er das charakteristische Grundlaberrauschen dieser Riesenveranstaltung länger aushalten musste als diese anderen. Vielleicht war Westermeyer („Es war so ruhig bei deiner Lesung“) auch deshalb zwischendurch mit seiner Kuss-Attacke auffällig geworden: Er wollte dem sensiblen, allerlei Beifallsbekundungen gewohnten Autor Zuspruch zukommen lassen.