Hamburg. Für Edelfedern in ganz Deutschland sind die Auszeichnungen die fünfte Jahreszeit. Dieses Jahr wurden sie in einer Gleishalle vergeben.

Dass die Vergabe der prominentesten Journalistenpreise Deutschlands ausgerechnet auf einem ausgemusterten Abstellgleis stattfand (und bei fast eisigen Temperaturen), hat hoffentlich niemand als Anspielung der Organisatoren auf den rabiaten Umgang des RTL-Konzerns mit dem „STERN“ und anderen ehemaligen „Gruner + Jahr“-Magazinen gedeutet.

Im letzten Jahr wurden die „STERN“-Preise im dekorativ verlebten Oberhafenquartier, im Restaurant Hobenköök verliehen und nicht wie zuletzt im Hamburger Schauspielhaus mit reichlich Lametta. Es war eine demonstrativ tiefer gehängte Premiere nach Debatten über die NS-Vergangenheit des Namensgebers Henri Nannen und den Namen des Preises gewesen, an einer eindeutig weniger zentralen Adresse.

„STERN“-Preise: Ausgezeichneter Journalismus

Diesmal feierte man sich und die anderen Anwesenden unmittelbar daneben, in einer nicht winddichten Gleishalle mit Kühltruhen-Charme und bei sattem Durchzug. Vereinzelt glühende Heizpilze, schnell von der Garderobe zurückgeholte Mäntel und Notwehr-Heißgetränke halfen gegen diese Rahmenbedingungen nur sehr bedingt. Aber: egal. Das sei eine „supercoole Location, wir wollen heute den Journalismus feiern“, begrüßte Gregor Peter Schmitz, Vorsitzender der „STERN“-Chefredaktion, seine Gäste, Kolleginnen und Mitbewerber um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

„STERN“-Preise sind für die Edelfedern und Schönschreib-Ressorts des deutschen Journalismus nach wie vor und einen durchinszenierten Abend lang die fünfte Jahreszeit, da wird souverän vor den anderen gepost und gelobt, was man hat, was man kann und wie viel Herausragendes man in Wort, Bild und Bewegtbild geleistet hat. Vor wie neben der knallroten Fotowand mit dem Magazin-Logo wurden prominente Fachkräfte aus Chefetagen begrüßt. Hier und da war von Branchenthemen-Klassikern wie „stabile Auflage“ und „Wer wo warum mit wem oder doch nicht“-Medienklatsch zu hören.

„STERN“-Preise: Ein kleiner Fauxpas bei der Gewinner-Bekanntgabe

Das amtliche Eklat-Niveau einzelner früherer Preisverleihungen wurde an diesem Abend nicht erreicht. Es blieb bei einem kleinen Fauxpas, bei der Verkündung des Siegers in der ersten Kategorie „Lokal“. Diese Auszeichnung für hartnäckiges Bohren in der Nähe der eigenen Haustür erhielt Joachim Frank („Kölner Stadt-Anzeiger“/ksta.de) für die Recherche um den Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln mit Kardinal Woelki in einer tragenden Hauptrolle. „Das Erzbistum bietet Stoff nicht nur für 97, sondern für 970 Geschichten“, kommentierte Frank das bislang Erlebte.

Auf großen Monitoren kurz und gut sichtbar eingeblendet war allerdings bereits der Sieger der nächsten Kategorie, „Investigation“: Jan C. Wehmeyer, der für „Business Insider“ hinter den Kulissen des RBB viel Unschönes – Stichwort „Massagesitz“ - und noch mehr Überteuertes aus der Intendanz-Zeit von Patricia Schlesinger ans Tageslicht gebracht hatte. Und alle taten mehr oder weniger geglückt kurz, als hätten sie es ganz bestimmt noch nicht gesehen. Interessante Fußnote dazu: 2022 war ein aufsehenerregendes Feature über Aufstieg und Fall des jetzt ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt als „Geschichte des Jahres“ ausgezeichnet worden - in diesem Jahr ging der Investigativ-Preis an ein Magazin aus dem Springer-Konzern, das sich mit systemischen Missständen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigte.

Nanna Heitmann erhielt den Preis für die „Fotogeschichte des Jahres“

Wieder zurück im Preis-Portfolio ist die für Magazine unverzichtbare Kategorie „Fotogeschichte des Jahres“. Ausgezeichnet wurde Nanna Heitmann für die eindrucksvolle Bildstrecke „War is Peace“ mit Aufnahmen aus dem Ukraine-Krieg, die in der „Zeit“ erschienen war; für Heitmann war diese Würdigung ihrer Arbeit der 26. Fotopreis innerhalb der letzten acht Jahre. Dieser Preis wurde, wie vier andere auch, von einer Fach-Jury vergeben, den Empfänger des „Republik“-Sonderpreises jedoch bestimmt einzig und allein die „Stern“-Chefredaktion, als Anerkennung für eine publizistische Leistung, „die Umwälzendes zur Folge hat“.

In diesem Fall wurde, so Schmitz, „verständlich gezeigt, warum das eine Riesenschweinerei war“. Die Rede in dieser kurzen Rede war von der Recherche und der Aufdeckung der Cum-Ex-Affäre durch die beiden Journalisten und Buch-Autoren Oliver Hollenstein und Oliver Schröm. Jene Affäre, in der auch die Hamburger Warburg Bank und der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder genannt werden. In seiner Dankesrede erwähnte Hollenstein seine große Verblüffung bei der Arbeit daran, „wie eng verflochten die Eliten in einer Stadt wie Hamburg sind“.

„STERN“-Preise: Mit Journalismus Wirkung entfalten

Eine „genau und still beobachtete“ Langzeit-Reportage über das Thema Transidentität, veröffentlicht im „Zeit magazin“, räumte den traditionell besonders begehrten „Egon Erwin Kisch-Preis“ ab. Rudolf Novotny ist für „Ich will eine normale Frau sein. Einfach so“ über den Zeitraum von sieben Jahren das „besondere Reporter-Kunststück“ gelungen, trotz seiner Anwesenheit als Beobachter „zu verschwinden“. Als „Geschichte des Jahres“ wurde die ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf – Coming Out in der Katholischen Kirche“ ausgezeichnet. Einfühlsame Nahaufnahmen mutiger Menschen, „ohne inszenatorischen Firlefanz erzählt“, so die Jury-Begründung. Und damit ein weiteres herausragendes Beispiel dafür, wie man „mit Journalismus Wirkung entfaltet“.