Hamburg. Der Entertainer Robert Kreis erhält das Bundesverdienstkreuz. Am 2. Mai ehrt er in den Hamburger Kammerspielen vergessene jüdische Künstler.

Auf leisen Sohlen, jedoch sehr zielstrebig kommt er die Treppe herunter. Ohne sein typisches Menjou-Bärtchen und die zurückgekämmten Haare ist Robert Kreis nicht für jedermann sofort erkennbar. Erst vor einer Viertelstunde ist er mit dem Auto in Hamburg angekommen.

Jetzt steht er auf der Zwischenetage des Hotels Mittelweg, einer um 1900 erbauten Patriziervilla im Stadtteil Harvestehude. Die Treppen knarren ein wenig im Hotel garni, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. „Hier bin ich zu Hause“, sagt Kreis, schon bevor im Speisesaal die Getränke serviert werden. Kreis bekommt schwarzen Tee. Der wird an diesem Nachmittag eine ganze Zeit lang ziehen ...

Entertainer Robert Kreis wird besondere Ehre zuteil

Robert Kreis hat einiges zu erzählen – ob im Gespräch oder auf der Bühne. Sein 50. Jubiläum feiert der Kabarett-Entertainer dieses Jahr. Und obwohl er seit 2008 in Berlin lebt – in der Hauptstadt gibt es für ihn einfach noch mehr Auftrittsmöglichkeiten – sei Hamburg für ihn die „absolute Lieblingsstadt. Ich mag die Weltgewandtheit und die Nähe zum Wasser“, erzählt er. Wie in seiner Heimatstadt Den Haag. Das nostalgisch anmutende Hotel Mittelweg hat er erst 2018 auf Empfehlung des Künstlerischen Betriebsbüros der Komödie Winterhuder Fährhaus entdeckt, in der Hansestadt tritt er allerdings schon seit vier Jahrzehnten auf. Jüngst wieder bei einer Matinee in Winterhude mit seinem Jubiläumsprogramm „Unkraut vergeht nicht“.

Am morgigen Mittwoch, 29. März, wird Kreis eine besondere Ehre zuteil: Der Entertainer und Pianist erhält in Berlin von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) das vom Bundespräsidenten verliehene Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Quasi Kreis’ Krönung. Nur wenige Niederländer sind bisher mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden – ein gewisser Rudolf Wijbrand Kesselaar (1934-2006), bekannt als Rudi Carrell, hatte im vorigen Jahrhundert das Bundesverdienstkreuz I. Klasse für seine Verdienste um die deutsch-niederländische Freundschaft bekommen.

Kreis’ Ehrung ist insbesondere eine Würdigung dafür, dass er „bei all seinen öffentlichen Darbietungen unermüdlich den verfolgten und ermordeten jüdischen Künstlerinnen und Künstlern der Weimarer Zeit seine Stimme gibt und diese sowie deren Kunst damit vor dem Vergessen bewahrt“. Der 73-Jährige zeigt das Schreiben stolz auf seinem Smartphone. Einmalig für ein Gastspiel an den Hamburger Kammerspielen am 2. Mai hat der Künstler sein 23 Jahre altes Programm „Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ neu aufgelegt. Das Haus hatte sich bis Anfang der 1940er-Jahre zu einem Zentrum der jüdischen Gemeinde im Grindelviertel entwickelt, war nach der Nazi-Barbarei von der KZ-Überlebenden und später legendären Prinzipalin Ida Ehre wiedereröffnet worden.

Neues Programm hat seinen Namen durch einen Zufallsfund

Den Titel seines Programms hat Kreis dem gleichnamigen Buch von Ulrich Liebe entliehen. „Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ hatte Kreis Mitte der 1990er-Jahre in einem Antiquariat in Mainz entdeckt, Wann immer er in einer Stadt gastiere, dann sei er als „Trüffelschwein“ unterwegs, um die versunkene Kunst des Kabaretts und der Unterhaltung der 1920er- und 30er-Jahre aufzuspüren, sagt er lachend. Perlen der Kleinkunst, die nie oder selten auf Schellack oder in anderen Zeitdokumenten erschienen sind. „Das Meiste stammt aus der Zeit zwischen 1925 und 1932“, grenzt es Kreis, dieser emsig-eigenwillige Konservator und Präsentator, exakt ein. Davor sei es noch recht wenig gewesen, und danach seien mehr zwei Drittel des jüdischen Kulturguts in Deutschland vernichtet worden, schätzt er.

In Hamburg hat Kreis immer wieder ein inzwischen geschlossenes Antiquariat für Theater-Literatur im Schanzenviertel besucht. Dort legte ihm der Betreiber in einem Schrank immer Bücher zurück, wenn Kreis in der Hansestadt war. In Hamburg kennt sich der Kabarettist bestens aus, seit er 1981 im kleinen Café Magot vor gut 60 Leuten erstmals hier auftrat, erinnert er sich. 1983/1984 bei seinem ersten längeren Gastspiel stand am ersten Abend jedoch der Gerichtsvollzieher im Macadam Theater – es war maßlos überschuldet, sollte sofort geschlossen werden. „Ich habe dann 17 Wochen dort gespielt, sechs Tage die Woche“, erzählt Kreis. Er hatte sich mit den damaligen beiden Betreibern auf den üblichen Einnahmeschlüssel von 60:40 geeinigt – seine Auftritte brachten die Rettung. Auch wenn das legendäre Kleinkunsttheater an der Deichstraße 1989 endgültig schloss.

Kreis spielt fast allen Bühnen Hamburgs

Thalia Theater, St. Pauli Theater, Hansa Varieté Theater, in dem Kreis in diesen Winter insgesamt wieder drei Wochen lang den Conférencier gab, Komödie Winterhude und demnächst Kammerspiele – Kreis hat fast alle Bühnen der Stadt be- und erlebt. Und die Vorstellungen seien fast immer ausverkauft. Kreis schwärmt: „Die Leute in Hamburg lieben mich.“

Manchmal überaus offensichtlich. Als er das erste Mal zum St. Pauli Theater ging, wurde er von einer Dame des horizontalen Gewerbes abends an der Davidstraße angesprochen und antwortete „Ich muss arbeiten“. Die war verdutzt, doch Kreis lud sie in die nächste Vorstellung ein – und sie war begeistert. Im Laufe seines mehrtägigen Gastspiels kamen Abend für Abend neue Damen zu Besuch. Am Ende der letzten Vorstellung erschrak Kreis: Auf der Bühne erschien eine Dame in Latex. „Sie hieß Irene“, erzählt er freimütig. Sie überreichte ihm einen großen Karton. Als der Künstler ihn öffnete, erblicke er einen süßen Flügel aus Schokolade mit der Aufschrift: „Robbie, we love you!“

Erinnerungen an Maria Callas

Kreis liebt und lebt derlei Anekdoten. Erzählt auch, wie ihn als junger Mann die Opern-Diva Maria Callas beeindruckt und beeinflusst habe. Und wie viel Bammel er vor seinem Debüt im St. Pauli Theater hatte: Der damalige Chef Kurt Collien, Großvater des heutigen Eigentümers Thomas, war der deutsche Konzertveranstalter der Callas. Als Kurt Colliens Sohn Michael zur Pause in Kreis’ Garderobe rief „Er sitzt noch!“ und Senior Kurt nach der Vorstellung zu ihm sagte „Kreis, weiter so!“, stand der Karriere des Niederländers in Hamburg nichts mehr im Wege.

Mit „Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ schlägt Kreis bei seinem ersten Auftritt in den Kammerspielen ein neues altes Kapitel auf. Wenn er das Publikum mit auf eine literarische Reise durch die kreativ-verrückte Welt der jüdisch-deutschen Unterhaltungskunst vor fast 100 Jahren nimmt, erinnert er an Männer wie Kurt Gerron, Paul O´ Montis, Fritz Grünbaum und andere. „Miese Zeiten“ heißt ein Lied Willy Rosens von 1926, doch Kreis betont, dass es dennoch ein fröhlicher Abend werde.

Nur Kreis’ populären „Lachfoxtrott“, den er stets auch gern fürs Theaterpublikum im „Gepäcknetz“ spielt, wie er die billigen Plätze im Rang ironisch nennt, sollte dann niemand erwarten. „Die Leute wollen ihn immer wieder hören. Er sichert mir Gas, Elektrizität und Miete“, sagt er. Und versichert glaubhaft, dass es in seiner Wohnung in Berlin, mit Flügel, so aussieht wie im nostalgisch anmutenden Hotel Mittelweg. Die Welt des Robert Kreis.

„Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ Di 2.5., 19.30, Kammerspiele, Hartungstr. 9-11., Karten ab 34,-: Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32,, T. 30 30 98 98; www.hamburger-kammerspiele.de