Hamburg. Der Ludwigshafener Rapper und Udo-Lindenberg-Kumpel eilt von Erfolg zu Erfolg – Porträt eines Unporträtierbaren.
„Du musst unbedingt nachher ins Gruenspan, da spielt einer, der wird ein Großer“, hört man im September 2019 bei vielen Gesprächen auf dem Reeperbahn Festival. Europas größter Showcase-Marathon steht bekanntlich für die Entdeckungen der Stars von morgen, von Ed Sheeran über Bon Iver bis Cro. Viel öfter aber sieht und hört man die auf dem Kiez empfohlenen vermeintlichen zukünftigen Supersängerinnen und Rap-Könige nie wieder. Aber der junge Gruenspan-Newcomer aus Ludwigshafen kam wieder. Bei seinen nächsten Besuchen in Hamburg im Oktober 2022 und Januar 2023 feierte er gigantische Hip-Hop-Spektakel in der ausverkauften Barclays Arena: Sein Name ist Apache 207. Und dieses Jahr wird wohl erst recht sein Jahr.
Schon kurz nach seinem Auftritt beim Reeperbahn Festival erscheint im Oktober 2019 Apaches erste EP „Platte“ mit acht Songs, die ihn zusammen mit der bereits im Gruenspan mitgesungenen Vorabsingle „Roller“ direkt in die Top Ten der Albumcharts und an die Spitze der Singlecharts katapultieren. Für manche ist er eine Überraschung aus dem Nichts, aber für Apache scheint es die logische Konsequenz eines kurzen, aber gewitzten und fast schon schamlosen Weges nach oben zu sein. Als er im Sommer 2018 seinen ersten, noch ziemlich platten und sexistischen Song „Kleine Hure“ veröffentlicht, ist nichts über ihn bekannt, und viel mehr soll auch nicht bekannt werden als das: Geboren als Volkan Yaman 1997 in Mannheim, aufgewachsen in Ludwigshafen, Abitur. Alles andere versteckt der zwei Meter große, langhaarige „Gangster, der ab und zu das Tanzbein schwingt“ hinter seiner Sonnenbrille.
Apache packt alles an: Eurodance, Synthie-Pop, Elektro, Italo-Disco, 80er-Schmalz, R’n’B
Aber von Beginn an weiß Apache 207 (auch die Bedeutung seines Pseudonyms liegt im Dunklen), worauf es ankommt: Abwechslung in Sound und Arrangement, in Erscheinung und Aussage, in Bild und Selbstbild. Viel Selbstironie, wenig Straßenmuskelspiel, Gucci-Sandalen trägt er zwar aus Trotz, kauft aber lieber ein Fahrrad als einen Maybach. „Sie sehen mich live, sie fliehen, sind Gangster nur auf Beats“, reimt er über die im lyrischen Kreislauf von Kokain, Karren und Knarren gefangene Konkurrenz und vermengt in seinen Produktionen völlig ohne Berührungsängste neben genretypischen Zutaten wie Trap und Autotune-Stimmverfremdung auch Referenzen an Eurodance, Synthie-Pop, Elektro, Italo-Disco, 80er-Schmalz, R’n’B. Die Musikalität und Hingabe an Pop und seine Geschichte sind deutlich. Auch ein herzschmerzender Lovesong wie „Nie mehr gehen“ darf nicht fehlen. Er ist sicher nicht der erste Rapper, der von der alles dominierenden Jugendkultur Hip-Hop auch in den Mainstream einsteigt. Marteria, Sido, Cro, Casper und weitere gingen den Weg vor ihm.
Aber wie kein Zweiter kennt Apache 207 die verschlungenen Pfade, sich nicht anzubiedern, nicht allzu plump auf maximale Verbreitung zu setzen. Als wäre seine Popularität reiner Zufall, hoppla. Nicht wenige Hip-Hopper gehen bei allem Erfolg nicht den Schritt aus ihrer Spotify- und Social-Media-Blase hinaus. Sie werden nicht im Radio gespielt, nicht in den bürgerlichen Medien beachtet und außerhalb des Zielpublikums kaum beworben. Warum auch, es funktioniert auch auf eigenen Füßen, mit eigenem Label, mit eigenen Konzertagenturen, unabhängig von den überlieferten Mechaniken und Netzwerken des Musikgeschäfts. Der Mikrokosmos der 187 Strassenbande ist das populärste Beispiel. Apache hingegen verweigert zwar ebenso Interviews und blieb auf dem Plattenlabel Two Sides von Kumpel Bausa (das allerdings mit Sony kooperiert), macht sich aber interessant genug, um zum Konsenskünstler zu werden, zu „Deutschraps Miro Klose“, wie er sagt. Nahezu jede Altersgruppe, jeder Musikgeschmack findet auf dem ersten Album „Treppenhaus“ 2020 etwas nach seinem Geschmack. Der Nachfolger „2sad2disco“ floppt zwar 2021, es ist unausgegoren und überstürzt, zu gewollt schräg, mangelt an eingängigen Hits. Aber das Prinzip Album gehört sowieso der Vergangenheit an. Apache 207 setzte andere Schwerpunkte.
Seine Liveshows sind exakt durchgeplante Spektakel
Mit der Amazon-Prime-Doku „Apache bleibt gleich“ fläzt er sich plötzlich im September 2022 mit auf den Sofas der deutschen Couch-Kartoffeln und erzählt erstmals mehr aus seiner Vergangenheit, von seiner Schulzeit, den ersten Tracks und Videos und wie „2sad2disco“ auf Mallorca entsteht. Als Zugabe gab es noch sein erstes Interview überhaupt – mit Comedian Kurt Krömer. Bemerkenswert und perfekte reichweitenstarke Werbung für seine erste Live-Tour, die ihn im Oktober 2022 nach Hamburg führt. Und der Typ, der noch drei Jahre zuvor nervös und überdreht nur mit DJ im Gruenspan auf der Bühne stand, fährt ein irrsinniges Spektakel auf.
Einerseits ist es eine Hip-Hop-Party mit 10.000 tobenden Fans, Spezial- und Knalleffekten, einer Bootsfahrt in die Menge und Hits am Stück, aber gleichzeitig „von der ersten bis zur letzten Minute durchgeplant“ wie eine „musikalische Theaterperformance“, wie das Abendblatt beobachtet. Aufwendige Vorbereitung, maximaler Wirkungserfolg, Disziplin und Kreativität und das ganze auch noch wie einen Heidenspaß aussehen lassen, das ist das Ethos von Apache 207. „Vier Uhr morgens, ich rauch’, zu viele Gedanken, muss mich ablenken … muss husten, keiner wird mir was schenken … Arbeit, Arbeit, kein Schlaf, wenig Zeit.“ So füllt man große Hallen und auch den Kühlschrank, der in seiner Jugend all zu oft leer war: „2002, Mama holt für ihre Söhne essen. Ihre Tischhälfte steht leer, denn sie will sich nichts kaufen“, war damals, jetzt heißt es: „Heute haben meine Schuhe denselben Preis der Miete, die Mama nicht zahlen konnte.“
Im August 2022 lernten sich Apache 207 und Udo Lindenberg kennen
Klar, dass das jemandem auffällt, der seine Shows genauso inszeniert, und der sich ebenso gern hinter seiner Sonnenbrille versteckt. „Apache fiel mir gleich auf, weil er sich doch sehr vom Normalo-Gangsta-Rap unterscheidet. Cooler schlauer Junge, sehr geflashte Texte, Trademark-Stimme – und singt auch noch meeega-geschmeidig“, sagt Udo Lindenberg über seinen „neuen Kumpel“, den er im August 2022 beim Konzert in der Mannheimer SAP Arena besucht und kennenlernt. Der Panikrocker, immer am Puls der Zeit und mit Lust auf Duette mit Jan Delay, Clueso, Marteria und vielen weiteren Künstlerinnen und Künstlern, und der Tanzbeingangster, der ungewöhnlicherweise bislang wenig im Genre so genannte Features hatte (Bausa, Sido), stecken die Köpfe zusammen – und stellen im Januar 2023 bei Apaches Konzert in Berlin die gemeinsame Single „Komet“ vor. Der angesagteste deutsche Rapper und der populärste Deutschrocker zusammen, was kann schief gehen? Der Song, nachdem bereits ein Stern benannt wurde, ist aktuell immer noch auf Nummer eins – Udos erste. Und für Apache ist dieser Song nicht nur ein „Ritterschlag“, sondern auch ein weiterer Schritt zum Konsensphänomen.
Und so bricht Apache 207 dieses Jahr Rekorde. Bereits 2020 und 2021 ist „Roller“ der erfolgreichste deutschsprachige Song in der Kombination aus Verkäufen, Streams und YouTube-Aufrufen und ist seit mittlerweile 163 Wochen in den Charts – zwei Wochen länger als der bisherige Rekordhalter „Last Christmas“ von Wham!, aber auch dicht gefolgt von Tom Odells „Another Love“, das als Solidaritätslied für die Ukraine zehn Jahre nach Veröffentlichung wieder in den Charts ist. Weihnachten ist zwar bald wieder „Wham!“-Zeit, aber auch Apache 207 hat noch Eisen im Feuer.
Im Juni rappt Apache bei „Rock am Ring“ und veröffentlicht ein Album
Von Juni bis September geht Apache auf seine erste, weitgehend bereits ausverkaufte Open-Air-Tour von der Expo Plaza in Hannover bis zur Waldbühne in Berlin, unterbrochen von Auftritten bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“. Größer geht es kaum, und mit der dort zu erwartenden Anhängerschaft von Foo Fighters, Limp Bizkit, Die Toten Hosen und Rise Against gibt es auch viele bislang Apache-skeptische neue Fans zu gewinnen. Eine Woche nach den Auftritten vor 90.000, die wahrscheinlich auch noch live gestreamt und im TV übertragen werden, erscheint am 9. Juni das neue Album „Gartenstadt“, benannt nach dem Stadtbezirk von Ludwigshafen, in dem Apache 207 aufwuchs. Schamlos gutes Timing, geniales Marketing, gepaart mit Talent und unkonventioneller Ausstrahlung. Es wird sein Jahr.
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Und wofür das Ganze? Für den „Fame“? Für 29 Gold-, 29 Platin- und eine Diamantplatte? Für zehn Flaschen Dom Pérignon im Eisfach des Daimlers? Es gibt Tausende Rapperinnen und Rapper in Deutschland mit diesem Anspruch, von den großen Namen bis hin zu den absoluten Anfängern, die gerade ihre ersten stümpferhaften Reime bei Soundcloud hochladen. Seit mehr als 20 Jahren ist Hip-Hop auch hierzulande das Maß aller Popdinge, sozusagen ein zweiter Mainstream neben dem Mainstream mit vielen Überschneidungen. Aber niemand stieg so schnell und kometenhaft in einem Genre auf, das eigentlich weitgehend auserzählt und frei von großen Überraschungen schien, wie Apache 207. Das will schon was heißen in Zeiten, in denen die meisten Nummer-eins-Erfolge und Chartplatzierungen einem Berliner Rapper wie Capital Bra gehören, der aber im Gegensatz zu zu Apache kaum live auftritt – da wo wirklich die dicken Scheinbündel verdient werden.
Wofür also? Apache 207 gibt verschiedene Hinweise in seinen Texten, aber vielleicht passen die Zeilen am Besten, die er 2019 im Gruenspan rappt: „Und Mama, bin ich einmal wieder nicht daheim, will ich, dass du bitte keine Träne weinst. Denn ich bring’ Brot nach Hause.“