Hamburg. Der neue Film von M. Night Shyamalan ist verstörend. Und kann auch als Kommentar zur Klimakatastrophe gesehen werden.

Anfangs sehen wir einen Grashüpfer im Wald. Dann ist da ein kleines Mädchen, das ihn fängt und in ein Einweckglas steckt. „Schon gut“, sagt es, „ich tu dir nicht weh.“ So weit, so harmlos. Doch dann steht wie aus dem Nichts ein fremder Mann vor dem Kind. Will es kennenlernen, will sein Freund werden, fängt ihm einen zweiten Grashüpfer – und zwingt es, mit ihm zu der Blockhütte zu gehen, wo es mit seinen zwei Vätern das Wochenende verbringt. Plötzlich sind da noch drei andere Fremde. Und der Kleinfamilie geht es wie dem Grashüpfer im Glas: Sie werden in dem Blockhaus eingeschlossen und kommen nicht mehr raus.

Als Ort für ein Wochenende auf dem Lande erfreuen sich Blockhütten in den USA großer Beliebtheit. Wenn aber Filme in den sogenannten Cabins spielen, sind das meist Horrorfilme, in denen die Urlauber aus der Stadt ein besonders leichtes Ziel für Psychopathen sind, so allein da draußen, weit entfernt von jeglicher Hilfe und ohne Handynetz. Da wird der Kurzurlaub zum Albtraum. Siehe die „Cabin Fever“-Filme, „The Cabin in the Woods“. Oder jetzt auch „Knock at the Cabin“, der neueste Streich von Thriller-Meister M. Night Shyamalan. Aber der variiert nicht nur die immer gleichen Genreklischees. Er setzt verstörend neue Akzente.

Wieder wird eine bürgerliche Kleinfamilie vom Grauen heimgesucht

Das fängt mit den Heimgesuchten an. Wieder wird eine bürgerliche Kleinfamilie vom Grauen heimgesucht. Aber diesmal ist es eine Patchworkfamilie: das Schwulenpaar Eric (Jonathan Graf) und Andrew (Ben Aldridge) sowie ihre Adoptivtochter Wen (Kristen Cui). Und auch die vier Fremden, die die Familie gefangen nehmen – darunter Dave Bautista, das Muskelpaket aus „Guardians of the Galaxy“, und Rupert Grint, einst der beste Freund von Harry Potter –, wollen nicht das Übliche: schnelles Geld, Rache nehmen oder einfach sadistische Triebe ausleben.

Nein, sie alle reden von denselben Visionen: dass die Welt in wenigen Stunden untergeht. Und dass diese Kleinfamilie auserwählt ist, , dass sie das Ende der Welt verhindern kann – aber nur, wenn die drei einen von ihnen opfern. Ist das ein besonders grausames Spiel? Ist die Patchworkfamilie Opfer einer irren Massenpsychose? Aber mit jeder Stunde, die verrinnt, geschehen Katastrophen auf der Welt: riesige Flutwellen, Infernobrände, die live im Fernsehen gezeigt werden. Die Zeit drängt, drohen die vier, die sich als Jünger der Wahrheit gerieren. Und ihre Verzweiflung demonstrieren sie schlimmstmöglich: indem sie nach und nach einen von sich töten.

M. Night Shyamalan erzählt in seinen Filmen immer abstrusere Geschichten

Als abgeklärter Kinozuschauer, der mit den Konventionen des Genrekinos vertraut ist, wartet man geduldig auf den überraschenden Wendepunkt, den sogenannten Plot-Twist, der alles erklärt. Man wartet darauf vor allem bei Shyamalan, der ja seit seinem Erfolgsdebüt „The Sixth Sense“ (1999) ständig mit überraschenden Wendungen arbeitet, die einen Film rückblickend ganz anders ausschauen lassen. Damit ist der Regisseur zum ausgehenden Jahrtausend zu einem Wunderkind Hollywoods geworden. Zu einer Art Fürst des Arthouse-Grusels. Auch wenn seine späteren Filme immer abstrusere Geschichten erzählten – und immer unglaubwürdige Auflösungen fanden. Wie die Kommandozentrale in „Old“, die, wie man erst am Schluss erfuhr, ein zynisches Experiment mit Strandurlaubern durchführte, die dadurch rasant alterten. In der Kommandozentrale aber saß: Mister Shyamalan selbst, der wie Alfred Hitchcock gern Selbstauftritte zelebriert und sich so einmal als Strippenzieher in Szene setzte.

Die einen lieben und verehren Shyamalan als Kinomagier. Ihm werden so auch höchste Ehren zuteil, wie die Jury-Präsidentschaft auf der Berlinale 2022. Die anderen sehen dagegen nur die immer gleiche Masche oder diffamieren ihn gar als „Shyamalamadingdong“, als einen, der einen an der Waffel habe (eine Verballhornung des Songs „Shama Lama Ding Dong“ von Otis Day and the Knights).

Auf den typischen Plot-Twist, auf eine Auflösung also, so absurd sie auch sein mag, wartet man in „Knock at the Cabin“ allerdings vergebens. Die vier Eindringlinge betrachten sich tatsächlich als die vier Reiter der biblischen Apokalypse, die Plagen voraussagen, die dann auch eintreten. Und die am Ende nicht nur im Fernseher dräuen. Da bilden sich düstere Wolken über dem abgeschiedenen Wald. Und, besonders verstörend, überall auf der Welt fallen Flugzeuge vom Himmel. Auch in diesem Idyll. Wie aber damit umgehen? Soll die heile, harmonische Idealfamilie wirklich einen der ihren opfern, um den Rest der Menschheit zu retten? Oder soll sie warten, bis die Jünger sich alle selbst massa­kriert haben, um dann die letzten Überlebenden in einer zerstörten Welt zu sein?

Es ist ein aufreibendes Spiel mit menschlichen Urängsten

Nach seinen letzten, eher enttäuschenden Werken, darunter das thematisch verwandte „The Visit“, kehrt Shyamalan hier zu seinen Wurzeln zurück. Er spielt mit menschlichen Urängsten, mit dem Eindringen des Makrokosmos Welt in den Mikrokosmos Familie. Und kombiniert dies mit durchaus realen Horrorszenarien einer aus den Fugen geratenden Erde. Aber gibt es einen tieferen Sinn hinter alldem? Will der Meister der schrägen Fiktion damit wirklich vor dem Klimawandel warnen? Oder nutzt er das alles bloß als kühl kalkulierte Kulisse für Sensationseffekte? Ist der Film gar eine Aufforderung zur Selbstjustiz, ein Werbefilm im Sinne der Waffenlobby für Selbstverteidigung?

All das kann in den Film hineingelesen werden. Shyamalan lässt es offen. Und das Publikum mit seinen Ängsten allein. Die einen werden sich wieder mit Lust diesem sehr speziellen Gänsehautkino aussetzen. Aber auch die Ding-Dong-Fraktion dürfte sich bestätigt sehen.

„Knock at the Cabin“ 100 Min., ab 16 J., in den Cinemaxx- und UCI-Kinos und im Savoy