Hamburg. Der Sechsteiler erzählt von Privilegierten an einem Elbhang, kaputten Ehen und gestörten Kids. Kann er mit einem US-Vorbild mithalten?

Weiß der Besserwisserteufel, warum diese Serie „Neuland“ heißt, mit der das ZDF derzeit schon in der Mediathek etwas hermachen will. Zwischen den Jahren läuft der Sechsteiler dann im regulären Fernsehprogramm, aber neues Gebiet wird mit dieser Vorgehensweise nicht erschlossen. Auch der Wille zum Qualitäts-TV ist nicht neu, und der Begriff „Mini-Serie“ auch nicht. Und nicht das (un-)schöpferische Manöver, sich wie Drehbuchautor Orkun Ertener („KDD - Kriminaldauerdienst“) bei internationalen Vorbildern zu bedienen.

In diesem Fall ist das recht klar die Serie „Big Little Lies“, die in Superstarbesetzung, unter anderen mit Reese Witherspoon und Nicole Kidman, an der Westküste die emotionale Kaputtheit von bestsituierten Powermoms und deren Anhang durchspielte. Wobei mit dem Anhang insbesondere die Brut gemeint ist: die Goldschätzchen von Kindern, die unter den Ego-Games und Emo-Desastern ihrer Eltern zu leiden haben und eigene Intrigen spinnen. Gewalt ist eine Sprache, die alle Generationen sprechen.

„Neuland“ im ZDF: Der Ballast des Aufwachsens in der Kleinstadt

Die Grundannahme wird in „Neuland“ nun aus Kalifornien nach Norddeutschland transportiert. In die fiktive Kleinstadt Sünnfleth, in die Berufssoldatin Karen Holt (Franziska Hartmann) nach langen Auslandseinsätzen in Afghanistan, im Kosovo und in Mali zurückkehrt. Ihre Schwester ist verschwunden. Nun muss sie die Nichten Lea (Lene Oderich) und Zoe (Aennie Lade) sitten und wird in die Vorgänge an der Schule hineingezogen. Dort kommt es zu körperlichen Übergriffen zwischen Schülern. Mittendrin ein afghanischer Junge, dessen Existenz die posttraumatisierte Karen triggert. Sie wird gejagt von den Geistern der Vergangenheit. Außerdem trinkt sie und schluckt Pillen. Die Geister von früher sind nicht allein Selbstmordattentäter im Wüstenland, sondern auch die einstigen familiären und sozialen Verstrickungen, der Ballast des Aufwachsens in der Kleinstadt.

Der schwule Vater, der am Sterbebett der Mutter ein neues Leben begann, ist nur eine emotionale Leiche im Keller. Und nur ihre: Die anderen haben ihre eigenen. „Neuland“ ist nicht nur das Porträt einer kaputten Frau an der Heimatfront, sondern auch gedacht als große Erzählung von Privilegierten, die sich zum einen mit Flüchtlingen in der Vorstadtidylle und viel mehr noch mit den eigenen Lebenslügen, Ehe-Katastrophen, Abstiegsängsten, Geheimnissen und dem Horror des Alltags mit Kindern konfrontiert sehen.

„Neuland“: Propellern um den Nachwuchs

Im Verlaufe der geschickt durchökonomisierten Handlung – diese Serie ist nie lahm – offenbart sich die Wohlstandsverwahrlosung der oberen Mittelschicht, die um den Nachwuchs propellert und gleichzeitig die eigene Ambition verwirklichen will. Das ist sehr dramatisch, beinah seifig bisweilen. Wie Sarah Reimers (Mina Tander), die deklassierte Journalistin, die einen lokalen Elternblog betreibt, sich in den Nahkampf mit der mächtigen Verlagschefin Anke Ritter (Anneke Kim Sarnau) begibt. Erst, weil der Sohn der einen auf eine Klassenkameradin losgeht, dann, weil die Frauen längst im Vernichtungskrieg um die eigene Reputation stehen. Sie haben beide etwas zu verbergen. Die eine ist mit dem einstigen Mann der einstigen besten Freundin zusammen, der wiederum eine Metoo-Vergangenheit hat. Die andere hat einen komplexbeladenen, psychisch gestörten Mann, der Frau und Kind zusammenschlägt. Die Menschen hier betrügen einander und sich selbst. Aber für die Kinder wollen sie stets das Beste.

Klingt nach thematischer Überlast? Und wie. Es kommt schon einiges zusammen. Aber „Big Little Lies“ darf das ja auch, und immerhin sind die Figuren in „Neuland“ auch fast so sexy wie die bei den Amis. Die Küchen in den Villen sind verdammt groß, die Autos einigermaßen dick. Das richtige Setting – es gibt ein paar schöne Schwenks über den Fluss – für den Abgrund im Pittoresken fanden die Serienmacher an der Elbe. Komisch fast, dass sie Blankenese, das Drehort für etliche Szenen war, nicht gleich unverstellt mit in die Serie genommen haben. Das hätte dann für ordentlich Aufregung gesorgt. Sind wir wirklich so, oder ist das ein albernes Klischee?

Kinder als Smartphone-verheerte Tyrannen

So wird aus Hamburgs teurem Oberschichtstadtteil ein außerhamburgischer Elbvorort, in dem die Eltern innerlich Amok laufen. „Du hast nicht verstanden, wie gefährlich diese Eltern sind. Um die geht es aber“, sagt die Schulleiterin einmal zur immens beanspruchten und im übrigen schwangeren Vertrauenslehrerin, als die Stimmung an der Schule hochkocht. Am besten ist die Serie dann, wenn sie die Zuschauer selbst stresst: mit dem permanenten Getue der Hauptfiguren um die Kinder, die allerdings tatsächlich Smartphone-verheerte Tyrannen sind. Aber gleichzeitig Opfer der ständigen Projektionen ihrer Eltern.

Die hier anzutreffende Akademikerwelt, die hinsichtlich der Flüchtlingsfrage am Toleranz-Update („Scheiß doch auf Integration, wenn ein Kind nur jeden Tag spüren soll, wie wenig es dazu gehört“) scheitert, ist weiblich geprägt. Die Darstellerinnen sind allesamt stark: Besonders Franziska Hartmann als waidwundes Flintenweib in Uniform, in die sie vor ihrer Familienhölle flüchten musste, überzeugt. Natürlich ist hier aber alles sehr deutsch, diese ständigen Dialoge wie auf dem Theater, in die immer gleich alles reingelegt wird. Das ganze Drama, in denen das explizit erklärt wird, was sich auch dezenter andeuten ließe. Am Ende klärt sich auch das Verschwinden der Schwester und Mutter, aber es liegt auch so alles in Scherben.