Hamburg. 20 Jahre Charlotte Lindholm: Furtwängler feiert „Tatort“-Dienstjubiläum. Das Abendblatt sprach mit ihr – auch über den Drehort Hamburg.

2002 hieß der Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Bundespräsident Johannes Rau. Im selben Jahr richten die USA auf Kuba das Gefangenenlager Guantanamo ein. Bei Überlingen stoßen zwei Flugzeuge zusammen: 71 Tote. Die IRA entschuldigt sich für die Toten infolge ihrer Terroraktionen. Johannes Paul II. ist Papst, und Brügge und Salamanca sind europäische Kulturhauptstädte. Im April ermittelt erstmals Charlotte Lindholm im „Tatort: Lastrumer Mischung“.

An diesem Sonntag (20.15 Uhr, Das Erste) feiert ihre Darstellerin Maria Furtwängler 20. Dienstjubiläum. Länger als sie auf sonntäglicher ARD-Verbrecherjagd sind nur Lena Odenthal (seit 1989) und das Kölner Duo Max Ballauf und Freddy Schenk. Aber auch die Münsteraner Boerne und Thiel haben schon 20 Jahre auf dem Tacho. Gefeiert wird das aber erst im Dezember.

Hamburger Abendblatt: Wie geht es Ihnen?

Maria Furtwängler: Jetzt wieder ganz gut. Corona habe ich hinter mir. Es hat bei mir Magen und Darm angegriffen. Tagelang mochte ich gar nichts mehr essen. Aber ich habe jetzt wieder alle Kilos zugenommen.

Wir haben 20 Minuten, in denen wir uns über 20 Jahre unterhalten sollen. Wie wird man in dieser kurzen Zeit Maria und Charlotte gerecht?

Probieren wir es mit meiner Sicht: Maria fühlt sich immer wieder berufen, Charlottes Anwältin zu sein. Insbesondere, wenn in Drehbüchern oder in Gesprächen mit Regisseurinnen oder Regisseuren Dinge aufkommen, von denen ich weiß: Das würde sie so nicht sagen, machen oder fühlen. Trotzdem darf man Charlotte auch mal in die Bredouille bringen, dahin, wo sie nicht mehr souverän ist und keine Kontrolle mehr hat. Das ist das, was Maria für Charlotte tun kann. Umgekehrt freue ich mich, wenn ich von Charlotte einmal im Jahr immer wieder an die Hand genommen werde. Gerade, wenn ich die Geschichten selbst mit entwickeln kann. Ich mag die Figur. Für mich ist sie immer wieder eine Freude.

Am Fundort: Lindholm (Furtwängler, l.) und Schmitz (Kasumba).
Am Fundort: Lindholm (Furtwängler, l.) und Schmitz (Kasumba). © NDR/Christine Schroeder | NDR/Christine Schroeder

Es kennt sie ja auch niemand so gut wie Sie, oder?

Genau. Ich erlebe übrigens immer wieder, gerade von Frauen in meinem Alter, dass sie eine große Nähe zu dieser Figur haben. Sie hat ein Eigenleben, eine eigene Seele.

Würden Sie sagen, dass diese Rolle eher Frauen als Männer anspricht?

Ja. Ich denke, Frauen identifizieren sich eher mit Frauen, Männer mit Männern. Lange mussten wir Frauen uns mit den männlichen Figuren identifizieren, weil es einfach zu wenige tolle Frauenfiguren gab. Die Heldenfiguren waren fast immer männlich. Was war das für ein Aha-Erlebnis, als ich aus dem Film „Wonder Woman“ rausgegangen bin und dachte: Ach, so fühlen sich die Jungs nach solchen Filmen ...

Und doch hat Warner gerade den Superheldinnen-Film „Batgirl“ einkassiert. Was da wohl hinter den Kulissen los gewesen ist?

Irgendwie ist es erleichternd, dass auch bei dem vielen Geld und Talent in Hollywood mal ein Film misslingt ...

Können Sie sich noch an Ihren ersten Fall erinnern?

Ja klar.

Kennen Sie noch einen Satz aus dem Drehbuch?

Nein. Ich weiß aber noch, dass ich damals mit meinem Coach für eine bestimmte Situation einen sehr bedeutungsschwangeren Blick erarbeitet hatte. Als ich nachher den fertigen Film sah, dachte ich: was? Wo ist denn dieser unglaublich tiefe Moment, der ohne Zweifel in die Filmgeschichte eingehen würde?? Leider war davon im Film nichts zu sehen. Im Ernst, ich bin immer wieder überrascht, wie anders Situationen im fertigen Film wirken, als ich es während des Drehs empfunden habe. Da kann durchaus mal eine Szene, die ich sehr schwach fand, im Film durchaus gut rüberkommen.

Was waren die Hoch- und die Tiefpunkte Ihrer „Tatort“-Arbeit?

Der Doppelfall mit „Wegwerfmädchen“ und „das goldene Band“ sind bei mir in besonderer Erinnerung. Das Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel hatte ich selbst mit in die Redaktion eingebracht. Es war ein sehr intensiver Fall. „Der Fall Holdt“ war für mich schauspielerisch besonders fordernd. Da geriet die sonst so souveräne Charlotte durch eine eigene Gewalterfahrung in einen Ausnahmezustand. Das waren Leuchttürme. Und dann natürlich der Fall mit Udo Lindenberg. Da habe ich zum ersten Mal produziert, Detlev Buck hat Regie geführt. Das war alles sehr farbig und abgedreht. Charlotte war darin ein Anker des Realismus. Das hat viel Spaß gemacht.

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  • Wie finden Sie Buck als Regisseur?

    Die Arbeit mit ihm ist fantastisch und macht wahnsinnigen Spaß. Seine Filme sprühen vor Kreativität, aber auch vor Unberechenbarkeit. Das ist für manche Zuschauer wohl schwer, die nicht wissen, worauf sie sich bei ihm einlassen, ist es eine Komödie, ein Drama oder ein Thriller? Das wird manchmal nicht ganz klar. Ich finde, das ist eine Stärke, denn ich mag als Zuschauerin gern verwirrt werden. Er selbst hat sich sein inneres Kind bewahrt.

    Hat sich die deutsche Fernsehlandschaft sehr stark verändert?

    Ich glaube schon. Gerade im Krimibereich mutet man den Zuschauern heute mehr zu, konfrontiert sie häufiger mit nicht vollständig aufzuklärenden Fällen. Wir erzählen auch moderner und schneller.

    Sie kann auch rockig: Udo Lindenberg und Maria Furtwängler im Duett beim Konzert 2019 in Hamburg in der Barclays Arena.
    Sie kann auch rockig: Udo Lindenberg und Maria Furtwängler im Duett beim Konzert 2019 in Hamburg in der Barclays Arena. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

    Es gibt Menschen, die sagen, es gebe zu viele Kochsendungen, zu viele Quiz-Sendungen, zu viele Krimis. Wie empfinden Sie das?

    Es sind schon verdammt viele Krimis. Aber der Hunger nach Spannung scheint sogar international zu sein. Kochen und Quiz scheint das zu sein, was die Leute gern gucken. Ich gucke gern gut gemachte Krimis und Komödien. Für mich ist Komödie übrigens die Königsdisziplin.

    Sie sind ja auch seit kurzer Zeit Produzentin. Was haben Sie da auf dem Zettel?

    Die kurze, schräge komödiantische Serie für Warner „Ausgebremst“, in der ich eine lebensmüde Fahrschullehrerin spiele, war ein großartiger Einstieg. Für die Degeto entwickeln wir eine Weihnachtskomödie und mit dem NDR ein Fernsehenspiel, in dem es um eine Vergewaltigung geht, die provokante Fragen aufwirft.

    Bei den Comedys ist für Sie noch Platz nach oben, oder?

    Viel Platz! Bitte gern! Ich möchte das auch gerne spielen!

    Sie haben mit Ihrer Tochter die Stiftung MaLisa gegründet. Hat sich das gelohnt?

    Sie hat viel für die Sichtbarkeit der Frauen geleistet.

    Man hat mittlerweile schon eine Schule nach Ihnen benannt?

    Ja. Das ist sehr lustig. Es ist sehr schmeichelhaft, und zudem handelt es sich um eine Haushaltsschule. Passt also perfekt zu mir.

    Sie haben eine Ausbildung als Medizinerin gemacht. Haben sie damit noch etwas im Sinn?

    Nein, ich kann daher aber sehr gut meine beiden Tiere verarzten. Fäden ziehen bei der Hündin, und die Katze wurde kas­triert. Und dann musste auch noch meine Mutter am Knie operiert werden. Da kommt kurz noch mal die Ärztin in mir hoch, aber nein, das überlasse ich Profis.

    Welches Verhältnis haben Sie zu Hamburg?

    Meine „Tatort“-Folgen werden aus Kostengründen großteils hier gedreht, nur jeweils wenige Tage in Niedersachsen. Der Hafen ist beeindruckend schön, sowohl an sich als auch als Symbol für Weltoffenheit. Aber nach ein paar Wochen Hamburg fange ich als Münchnerin schon an, die Berge sehr zu vermissen.

    Wissen Sie noch, dass wir vor drei Jahren schon einmal miteinander gesprochen haben?

    Was wollten Sie damals wissen?

    Wollen Sie mit der Lindholm-Rolle alt werden?

    Was habe ich geantwortet?

    Bin ich doch schon.

    Was, und das habe ich so stehen lassen? Sie haben hoffentlich ergänzt: Sagte sie mit glockenhellem Lachen.

    Habe ich damals nicht, aber vielleicht können wir das jetzt nachholen. Wie wäre es mit: Sagte sie mit einem glockenhellen, die Falten glättenden Lachen, während sie ihr jugendlich wirkendes blondes Haar zurückwarf?

    Das nehmen wir!