Hamburg. Sonntag ermittelte Maria Furtwängler als „Tatort“-Kommissarin Lindholm im Hotel Atlantic – auch der echte Udo Lindenberg spielt mit.
- Tatort mit Maria Furtwängler: Kommissarin Charlotte Lindholm singt "Hinterm Horizont"
- Tatort-Folge „Alles kommt zurück“ spielt im Hamburger Hotel Atlantic
- Udo Lindenberg darf im Tatort an Weihnachten zwei Songs singen
Sage niemand, Geschmacksurteile seien viel mehr als eine Sache von Sekunden. Im neuen Niedersachsen-„Tatort“ kommt der Moment der Entscheidung vermutlich in der relativ frühen Szene in einer Karaokebar. Der Ausschenker gibt auf die Frage nach dem Weg zur Toilette dies zu Gehör: „Für Mutige dahinten, der Rest geht zu Hause.“ Und als diese bestenfalls halb originelle Kloparole ausgerufen wird, haben sich Maria Furtwängler und Kida Khodr Ramadan bereits an „Hinterm Horizont“ versucht.
Tatort mit Udo Lindenberg: Kommissarin Charlotte Lindholm ermittelt
Und das muss man als Betrachter beides gut finden: den Spruch und das Gejaule. Entscheidet man sich dafür, ist die „Tatort“-Folge „Alles kommt zurück“ eine feine Sache, ein unterhaltender Film mit Humorverabreichung. Und, na sicher, so richtig gezwungen muss man das alles eh nicht finden.
Kiez-Personal, das hamburgisch durch die Kaschemme kräht, also so trocken schnackt, als wäre es ein Lurch in der Wüste Gobi, schaut und hört man per se gerne zu. Und Udo Lindenberg geht halt immer. Womit der Kern dieser NDR-Produktion umrissen wäre.
Die Göttingen-Kommissarin Charlotte Lindholm ermittelt diesmal in Hamburg, und sie tut es in Hamburgs berühmtesten Hotel, das bekanntlich einen maximal prominenten Gast dauerbeherbergt. Dessen Gastauftritt im Sonntagskrimi ist genau wie dieser selbst ein bisschen drüber und effektvoll stilisiert.
Eben weil diese im Übrigen von Detlev Buck regiemäßig verantwortete „Tatort“-Folge – vor der Kamera ist Buck auch zu sehen, als im Plüschtierreich regierender Puffbetreiber – streng genommen auch ohne Rockstar im Drehbuch funktioniert hätte, liegt der Charme am Ende vor allem im Udo-Überschuss. Einmal heißt es: „Hier sieht man den Lindenberg vor lauter Udos nicht.“
Tatort zeigt Maria Furtwänglers Ermittlerinfigur von anderer Seite
Und das stimmt insofern, als der Impuls, im „Tatort“ mal etwas mit Udo zu machen, in einen nicht unsympathischen Stilmix mündet, der spielerisch Genres verquickt, die Realität neben Surreales stellt und Maria Furtwänglers Ermittlerinfigur von einer anderen Seite zeigt, jedoch nicht zuletzt auch dem Musiker Lindenberg die Möglichkeit gibt, zur besten Sendezeit seine unnachahmliche Liedkunst unter Beweis zu stellen. „Kompass“ und „Wieder genauso“ per Playback aus dem Atlantic, das hat sich insbesondere die diesmal doch wirklich arg beanspruchte Kommissarin Lindholm verdient.
Sie war nach Hamburg gereist, um eine erotische Eskapade zu begehen. Versaute Chats mit einem Unbekannten sollten eine fleischliche Fortsetzung erfahren, doch dann findet sie im Hotelzimmer eine männliche Leiche, deren Blut zu allem Überfluss anschließend auch noch an ihren Händen klebt. Wenig später wabert nicht nur Udos Zigarrenrauch, sondern auch seine Stimme („Netzwerke und Netzstrümpfe, das war sein Ding“) durchs Grandhotel.
Udo Lindenberg und seine Doubles im Hotel Atlantic
Lindenberg ist unzweifelhaft ein Unikat, weshalb Lindholm („Träume ich?“) gemeinsam mit den Zuschauerinnen und Zuschauern an der Echtheit dessen, was da geschieht, zweifelt. Ist er es wirklich, und wieso laufen im Atlantic eigentlich so viele schlechte Doubles des Meisters herum?
Also, die Kommissarin unter Mordverdacht. Weil mindestens ein Teil des polizeilichen Hamburger Aufklärkommandos – wer hat den schönen Roy nackend im Edelbett gemeuchelt? – erkennbar nicht an ihrer Unschuld interessiert ist, ermittelt Lindholm lieber selbst, inoffiziell natürlich.
Was ihr recht zügig klar wird, ist: Jemand will ihr aus Rache etwas anhängen. Roy, der tote Karaokebarbetreiber, ist nur Mittel zum Zweck. Die Schatten der Vergangenheit, sie reichen bis nach Hamburg, diesen so glamourösen wie bewusstseinseintrübenden Ort, an dem einen Rockstars um Mitternacht an der Bar zu einem Gläschen Eierlikör einladen wollen.
Horror, Krimi, Liebe – und durchaus ein Spaß
Die neue „Tatort“-Episode ist so spielerisch wie plakativ, sie wartet mit einigen Ideen auf und ist, das muss diesmal so sein, einigermaßen albern. Anne Ratte-Polle darf als sinistre, herablassende Ermittlerinnenzicke einen bösen Kasernenton anschlagen. Noch besser aber ist Ifflandring-Träger Jens Harzer als versoffener Kommissar Ruben Delfgau, der melancholisch, aber gekonnt und mit dem Ehrgeiz eines Künstlers Fahndungsbilder anfertigt. „Alles kommt zurück“ ist ein bisschen Horror, etwas mehr Krimi und vielleicht am meisten ein Liebesfilm, oder etwa nicht?
Die arme, emotional und körperlich bedürftige Lindholm hat jedenfalls auch mit dem Kollegen aus Hamburg dramatische Momente durchzustehen. Da wiederum reicht ein Udo allein nicht für den Soundtrack, es muss dann auch Bach sein. Beim großen Finale steht Lindholm ihrem endlich sein Gesicht zeigenden Widersacher im Ballsaal gegenüber. Der Kampf um Leben und Tod wird zum Pas de deux, ehe endgültige Rettung in Person des zusehends romantisch überwältigten Kollegen naht. Harzers Ermittler Delfgau würde man glatt einen festen Platz im „Tatort“-Figurenensemble wünschen.
Auch interessant
Auch interessant
Udo-Lyrik („Geile Ecke hier oben, Weltkugel, Fernweh“), Halbweltkolorit, Gaga-Dialoge und die Lust am dezent Experimentellen: Der „Tatort“ ist ja meist dann am besten, wenn er die sattsam begangenen Pfade verlässt und etwas wagt. Die Weihnachtsfolge ist deswegen, sagen wir es frei heraus, durchaus ein Spaß.
„Tatort: Alles kommt zurück“Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste