Hamburg. Der Sänger und Schauspieler hat seine Pleite verarbeitet. Jetzt spielt er in „Komödie mit Banküberfall“ erstmals am St. Pauli Theater.
Im Innenhof des Hamburger Rathauses tummeln sich an diesem sommerlichen Frühnachmittag viele Menschen von nah und fern. Jendrik Sigwart könnte in seinem legeren Outfit hier auch als – mit Verlaub – jugendlicher Tourist aus der Provinz durchgehen. Verglichen mit seinem Auftritten im Vorjahr ist er kaum wiederzuerkennen.
Der Hamburger ist mit dem Fahrrad aus Eilbek gekommen – nicht jedoch mit seiner Ukulele im Gepäck. Mit dieser sowie mit seinen blondierten und toupierten Haaren hatte er als „Jendrik“ im Mai vergangenen Jahres Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) in Rotterdam vertreten. „I Don’t Feel Hate“ hieß sein inzwischen schon fast vergessener Titel.
Theater Hamburg: Jendrik auch Schauspieler
Jedoch ist Sigwart eben nicht nur Sänger und Songschreiber, sondern auch ausgebildeter Tänzer und Schauspieler. Als solcher hat er von diesem Wochenende an sein erstes festes Bühnen-Engagement in seiner Heimatstadt. Er spielt in der „Komödie mit Banküberfall“, die am 9. August am St. Pauli Theater Premiere feiert. Das überrascht ebenso wie Sigwarts veränderte, glattere Frisur. Zumal das Theater am Hechtplatz, aus Zürich, welches das Stück mit der Shake Company und dem St. Pauli Theater produziert hat, fast nur mit Schweizer Schauspielern arbeitet.
Wie kommt ein gescheiterter ESC-Kandidat zu diesem Job, fragt man sich. Taugt ja nicht unbedingt für einen PR-Gag – schließlich landete Jendrik mit seinem Ukulele-Song und drei Pünktchen 2021 beim europäischen Musik-Spektakel auf dem 25, und damit vorletzten Platz. Doch es gibt ein Leben vor und nach dem ESC.
„Mit mir saßen nur fünf Leute im Flugzeug"
Sigwart erzählt von der Audition im St. Pauli Theater, die nicht nur ein Vorsprechen, sondern auch ein Vorsingen war. Regisseur Dominik Flaschka suchte für das zwölfköpfige Ensemble der „Komödie mit Banküberfall“ noch einige wenige lokale Darsteller, als er im September 2019 für eine Wiederaufnahme von „The Play That Goes Wrong“ in der Hansestadt gastierte. Ebenfalls ein verrücktes, von Slapstick geprägtes Schauspiel des Theaters am Hechtplatz. Es hatte bereits fünf Jahre zuvor mit dem „Spamalot“-Musical auf komische Art bei Monty Python im St. Pauli Theater geräubert.
Vergangenheit. Sigwart freut sich noch heute, dass er vor drei Jahren ausgewählt wurde – er hatte schon damals die Ukulele dabei. Und reiste dann Mitte März 2020 nach Zürich, wo das Stück im Mai Uraufführung feiern sollte. „Mit mir saßen nur fünf Leute im Flugzeug, das war echt gespenstisch“, erinnert sich der 27-Jährige. Kaum in Zürich gelandet, begann wie in Deutschland der erste Corona-Lockdown. Sigwart saß in der Banken-Metropole sechs Wochen lang fast nur in seiner Künstlerwohnung; für die „Komödie mit Banküberfall“ blieb es bei ersten Proben über das Videokonferenz-Portal Zoom.
Jendrik schaffte sich seinen eigenen Waschsalon
Mit zwei Jahren Verspätung hat Jendrik Sigwart in diesem Frühsommer bei seinem zweiten Zürich-Aufenthalt mit dem turbulenten Unfug à la Monty Python Premiere gefeiert. Zwei Jahre, in denen auf den Bühnen großteils nichts, jedoch einiges mit ihm passiert ist. Im ersten Corona-Sommer 2020 entstand in der Zwangspause die Idee, sich für den deutschen ESC-Vorentscheid zu bewerben.
Die Geschichte ist bekannt – und sein YouTube-Video zum selbst geschriebenen zuckrigen Lied „I Don’t Feel Hate“ in einem vermeintlichen Waschsalon manchen womöglich mehr im Gedächtnis geblieben als sein Auftritt in Rotterdam. Obwohl ihm dabei mehr als 100 Millionen Menschen zusahen, darunter rund acht Millionen Fernsehzuschauer in Deutschland. 18 Waschmaschinen waren es, die Jendrik fürs Video mithilfe von Freunden und seinen Eltern, zwei Brüdern und zwei Schwestern in einen leer stehenden Keller der St.-Gabriel-Kirche in seinem Heimat-Stadtteil Volksdorf transportiert hatte.
Jendrik Sigwart arbeitet jetzt auf der Reeperbahn
Im St. Pauli Theater haben jetzt Profis die Kulisse gebaut. „Ich bin Dominik Flaschka so dankbar, dass er mich engagiert hat“, sagt Sigwart, „Diese Produktion ist einer der Gründe, weshalb ich diesen Beruf ergriffen habe. Durch ihn und das ganze Team kommt das Stück richtig zum Glänzen“, schwärmt der Hamburger Künstler. Vier Jahre lang hatte er vor seiner Bühnen-Laufbahn am (staatlichen) Institut für Musik der Hochschule Osnabrück mit nur acht weiteren Kommilitonen Musical und Vokalpädagogik studiert – eine umfassende Ausbildung, wie sie nur wenige Darsteller erfahren.
Als Mitwirkender des Wolfgang-Petry-Musicals „Wahnsinn“ (im Mehr! Theater am Großmarkt) und in der Goldene-20er-Jahre-Revue „Berlin, Berlin!“ Anfang 2020 auf Kampnagel hat Jendrik Sigwart vor Corona zweimal auf Tournee-Abstechern in Hamburg gastiert; damals lebte er noch nicht wieder in seiner Geburtsstadt. „Jetzt kann ich mich hier direkt aufs Fahrrad schwingen und auf der Reeperbahn arbeiten“, freut er sich. Und im Vergleich zum „gemütlichen und schnuckeligen“ Theater am Hechtplatz in Zürich sei das St. Pauli Theater hinter der Bühne wie „purer Luxus“.
Jendrik Sigwart fiel nach dem ESC in ein Loch
In „Komödie mit Banküberfall“ spielt er einen Kleinkriminellen und Taschendieb namens Sam Truelove. Sigwart bewundert seinen Schweizer Kollegen Fabio Romano, denn der hat gleich 14 Rollen in dem überdrehten Stück. Es bietet auch komödiantische Seitenhiebe auf Genres vom Ausbrecher-Drama bis zum Action-Film sowie einige groovende Songs im Stil der 60er-Jahre.
Was aber hat sich für Jendrik Sigwart abgesehen von der Arbeit im Ensemble noch getan? Wie sehr hat er sich verändert in diesen zwei Jahren? Nach dem Eurovision Song Contest sei er schon „in ein kleines Loch“ gefallen, sagt er. Trotz des Songtitels „I Don’t Feel Hate“ bekam er nach seinem vorletzten Rang in den Untiefen und Weiten des Internets mit den sogenannten sozialen Netzwerken eben doch eine Menge Hass und Häme zu spüren. Jendrik hat gelernt, damit zu leben, und Hass-Mails, die direkt an ihn gerichtet waren, sogar beantwortet, erzählt er.
Theater Hamburg: Jendrik darf auf der Bühne Ukulele spielen
Während der ganzen ESC-Zeit habe er sehr den „Happy-Deppi-Schneppi-Peppi-Typen“ gespielt, benennt es Sigwart im Rückblick fast kunstvoll. „Ich hätte mehr ich selbst sein dürfen“, meint er heute.
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Die Enttäuschung aus dem Vorjahr ist anno 2022 einer gewissen Entspannung gewichen. Am St. Pauli Theater reichen ihm und den Kollegen nach dem mehrwöchigen Spielen in Zürich zwei Probentage bis zur ersten Vorpremiere. Während seines sechswöchigen Engagements auf dem Kiez wird Jendrik Sigwart Ende August in der Heimat auch seinen 28. Geburtstag feiern können. Wie es scheint, ist das Multitalent nicht nur richtig in Hamburg angekommen, sondern auch ganz bei sich. Und die Ukulele, sein erklärtes Lieblingsinstrument, darf er auf der Bühne auch spielen.
„Komödie mit Banküberfall“ Vorpremieren Sa 6.8., 19.30, und So 7.8., 18,30, Premiere Di 9.8., 19.30, bis 18.9., St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29/30, Karten zu 19,80 bis 66,90 unter T. 47 11 06 66; www.st-pauli-theater.de