Hamburg. Bei der Ausstellung im Kraftwerk Bille fehlen Erklärungen zum Hintergrund der interessanten Werke. So bleiben sie erstmal verschlossen.
Ben Nurgenç steht vor dem Inkubator und schaut skeptisch. Pilze mögen sommerliche Hitze gar nicht. Sollten die Temperaturen weiter ansteigen, dann dürfte die sorgsam gezüchtete Pilzkultur absterben. Und dann wäre Nurgençs Kunstwerk kaputt: Der HfBK-Absolvent hat für die Ausstellung „Futureproof“ ein funktionsfähiges Pilzlabor im Kraftwerk Bille aufgebaut, noch wachsen hier auf Substratplatten beunruhigend schöne Schimmelkulturen. Andererseits: Diese Kunst lebt, und was lebt, kann auch sterben.
2019 erhielt Nurgenç eine Förderung der Claussen-Simon-Stiftung für ein Ausstellungsprojekt. Sein Konzept sah vor, dass er eine gemeinschaftliche Präsentation mit mehreren Kollegen zum Thema „Zukunftsvisionen“ realisieren wollte, nicht zuletzt auch zur Vernetzung verschiedener Positionen – wobei er als Teilnehmer und künstlerischer Leiter dabei sein wollte, als Kuratorin fand er mit Anthi Argyriou eine Sparringspartnerin.
Ausstellung Hamburg: Projekt entwickelte sich weiter
Die Corona-Pandemie machte diese Pläne erst einmal zunichte, gleichzeitig entwickelte sich das Projekt weiter: Mit dem Untertitel „Ein Dialog über die Zukunft und Spekulation“ fokussierte sich das Projekt immer mehr auf den erzählenden Charakter des Prinzips „Zukunft“, als gedanklicher Ausgangspunkt fungierte der fantastische Roman „Morels Erfindung“ des argentinischen Schriftstellers Adolfo Bioy Casares. Um am Ende in sieben künstlerischen Positionen untersucht zu werden.
Sieben Positionen, die formal extrem unterschiedlich daherkommen. Desiree Ding etwa zeigt ein schon einige Jahre altes Video, in dem sie ihre verschiedenen Wohnorte in China und den USA aus Lehm nachbaut. Dazu gibt es neue Fotografien, großformatige Prints, auf denen Bruchstücke des getrockneten Lehms eigenartige Zeichen an den Betrachter aussenden. Zwischen den beiden Arbeiten entsteht so eine Lücke, die ähnlich wie Nurgençs lebende Pilzkulturen einen Verweis gibt auf das Verstreichen von Zeit.
„Futureproof“ hat eine Achillesferse
Oder: digital erzeugte Zeichnungen von Thomas Pfeffer, kaum durchschaubare Gespinste aus Graphen und Verbindungslinien, die vergleichbar den Schimmelpilzen in der Petrischale aus einem verdichteten Zentrum nach außen streben. Starke Arbeiten, die hinter ihrer ästhetischen Schönheit eine inhaltliche Kraft vermuten lassen, die sich nicht sofort erschließt.
Vielleicht ist das die Achillesferse von „Futureproof“: Viele der gezeigten Arbeiten sind zunächst einmal hermetisch, benötigen eine Handreichung, die die Ausstellung nicht mitliefert. Die Installation „Mia“ von Kirstin Burckhardt etwa: im Raum verteilte, gelbe Acrylglasplatten, beschriftet mit Kreide, was mal an Gekrakel erinnert, mal an Zeichen in einer unbekannten Schrift. Dass Burckhardt einen psychotherapeutischen Hintergrund hat und mit ihrer Arbeit das Verhältnis von Körper (die lagernden, stehenden, fast tänzelnden Platten) und Sprache (die Schrift) auslotet, versteht man nicht. Und wenn einem nicht zufällig die Künstlerin über den Weg läuft, bleibt diese Kunst erst einmal verschlossen.
Schwäche könnte auch eine Stärke sein
Andererseits liegt hier auch eine Stärke der Präsentation: Zu sehen ist Kunst, sonst nichts. Ermöglicht wird das durch den spektakulären Raum des Zählerwerks im dritten Stock des Kraftwerks Bille, in dem jede Arbeit Platz hat, zu wirken. Dass die (vergleichsweise traditionelle) Malerei von Judith Kisner einem Video von Pranjal Trivedi nicht ins Gehege kommt, liegt auch daran, dass Fläche zwischen den Werken bleibt, die nicht mit Erklärtafeln vollgestellt wird.
Nur erfährt man dabei eben nicht, dass Trivedi im Hauptberuf Astrophysiker ist, der zu Dunkler Materie forscht, und dass die über seinen Bildschirm flimmernden Grafiken mit Daten zur Klimaerwärmung gefüttert sind. Man sieht nur Farbflächen. Die freilich künstlerisch einiges hergeben.
Ausstellung Hamburg schwingt in höhere Sphären
Ziemlich von selbst erschließt sich ein Video von Mark Gens: Zu sehen sind apokalyptische Landschaften, Folterungen, Müllberge, dazu dröhnen dumpfe Sounds, und Emojis flackern auf dem Bildschirm auf. Platziert hat Gens das Video auf einer Schulbank, in die typische Botschaften eingeritzt sind: „Maike + Frederik“, aber auch „Team Headless“. Die Welt geht den Bach runter, sagt diese Arbeit, aber in ihrer radikalen Eindeutigkeit ist sie kurzzeitig erfrischend. Zumal Gens noch ein zweites Werk zeigt, Bildcollagen, die (im Wortsinn) deutlich vielschichtiger daherkommen und die, so Nurgenç, auf Gewalt, mediales Dauerfeuer und Gens’ queere Identität verweisen.
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Malerei, Video, Konzeptkunst, Installation: „Futureproof“ deckt viele Bereiche der aktuellen Kunstproduktion ab, ist interessant kuratiert und findet in einer reizvollen, klug in das Konzept eingesetzten Off-Umgebung statt. Dass die Schau dabei manchmal in höhere Sphären verschwindet, eine Tendenz zum Überkomplexen hat, ist verschmerzbar – man muss eben miteinander reden, um einen Zugang zum Gezeigten zu erhalten. Und miteinander zu reden, das ist gar nicht das schlechteste Vorhaben für die Zukunft.
„Futureproof“ bis 31. Juli, täglich von 16 bis 20 Uhr, Eintritt frei, Kraftwerk Bille, Zählerwerk, Bullerdeich 12-14, Infos: futureproof.cargo.site