Hamburg. Das Museum der Arbeit zeigt als Triennale-Beitrag die Ausstellung „Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen“. Die Geschichten.

Bilder sind eine Währung für sich. Sie können gesellschaftliche Prozesse nicht nur begleiten und dokumentieren, sie können sie auch beeinflussen, Menschen mobilisieren, auf Missstände hinweisen, Veränderungen beschleunigen. Und wichtige Ereignisse im Bewusstsein verankern.

Kurator Stefan Rahner präsentiert in der Ausstellung „Streik“ als Beitrag zur Triennale der Photographie im Museum der Arbeit Fotogeschichten von Arbeitskämpfen, die für Aufsehen sorgten, die Bevölkerung zur Solidarität aufriefen, vereinzelt Streikziele durchsetzen konnten, aber oft auch mit Gewalt verbunden waren. Die Werftenkrise in Hamburg 1983 wird dabei ebenso thematisiert wie die Streikaktionen „illegaler“ migrantischer Arbeitskräfte „sans papiers“ in Frankreich Mitte der 1990er-Jahre und der Streik südafrikanischer Bergarbeiter in der Minenregion von Marikana 2012.

Ausstellung Hamburg: Spontaner Streik der Beschäftigten

Eine exemplarische Fotogeschichte aus der Ausstellung: Am 24. August 1973, einem Freitagnachmittag, legte die Spätschicht der Endmontage bei Ford in Köln-Niehl spontan die Arbeit nieder. In der Halle Y, aufgrund der hohen Bandgeschwindigkeit auch als „Vorhölle“ bezeichnet, arbeiteten mehr als 3000 Beschäftigte, fast alle aus der Türkei. Anlass für den Streik war die Kündigung von 300 türkischen Ford-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die verspätet aus ihrem Urlaub zurückgekommen waren. Dies war bei türkischen „Gastarbeitern“ ein oft praktiziertes Verhalten, um die überlangen Reisezeiten über den Autoput, die von München bis nach Istanbul führende Europastraße 5, in die Heimat auszugleichen.

Dem spontanen Streik schlossen sich viele der insgesamt 11.000 türkischen Angestellten an, die deutschen Beschäftigten und der Betriebsrat reagierten mit Unverständnis bis Ablehnung. Die wichtigsten Forderungen der Streikenden waren sechs Wochen Urlaub, eine D-Mark pro Stunde mehr Lohn und regelmäßige Pausen am Fließband.

Gernot Huber war hautnah am Streikgeschehen dabei

Die Fabrik wurde für eine knappe Woche lahmgelegt, mehrere tausend Streikende waren jeden Tag im Werk anwesend und übernachteten zum Teil auch dort. An der Spitze der gewählten Streikleitung stand der charismatische Baha Targün. Nach einer Woche wurde der Streik von Polizei, Werkschutz und einer Gruppe von deutschen Fordarbeitern gewaltsam beendet, Mitglieder der Streikleitung wurden verprügelt.

In den Medien, angeführt von „Bild“ und „Kölner Express“, wurde der Streik schnell als „Türkenterror“ verunglimpft; es gab aber auch viele Solidaritätsaktionen und Spenden von der Kölner Bevölkerung. Einige Fotografinnen und Fotografen begleiteten den Streik über mehrere Tage und waren auch abends im Werk. Die bekanntesten Bilder stammen von Gernot Huber, damals Fotograf beim „Kölner Volksblatt“, der an den ersten Tagen vor Ort war und die Dynamik und Entschiedenheit der Streikenden dokumentierte.

Baha Targün kehrte in die Türkei zurück

Auf seinen Bildern ist immer wieder Baha Targün zu sehen, wie er eines der zwei verfügbaren Megafone in der Hand hält und die Menge der Streikenden durch das Werk anführt. Seine Aufnahme von Targün, auf der dieser am Werktor die draußen stehenden Kollegen auffordert, sich den Streikenden anzuschließen, bekam ikonischen Charakter für das Aufbegehren der migrantischen Arbeiter vor fast 50 Jahren.

Baha Targün wurde damals festgenommen und der türkischen Botschaft überstellt. Er lebte allerdings noch einige Jahre in Deutschland, kehrte aber Ende der 1970er-Jahre in die Türkei zurück und arbeitete als Journalist und Autor. Im Juli 2020 verunglückte er bei einer Bergtour und erlag kurz darauf seinen Verletzungen.

„Gastarbeiter“ oft an Streiks beteiligt

Insgesamt gab es zwischen 1969 und 1974 mehrere hundert spontane, von den Belegschaften selbstorganisierte Streiks in westdeutschen Betrieben. An sehr vielen Arbeitsniederlegungen waren „Gastarbeiter“ beteiligt, die gegen die miserablen Arbeitsbedingungen, die schlechte Bezahlung und die fortwährenden Diskriminierungen am Arbeitsplatz protestierten.

Während der Streik bei Ford 1973 erfolglos blieb und mit Hunderten von Entlassungen endete, war der Arbeitskampf migrantischer Frauen bei dem Autozulieferer Pierburg in Neuss wenige Wochen zuvor erfolgreich gewesen. Hier gelang aufgrund des gemeinsamen Vorgehens aller Beschäftigten die Abschaffung der diskriminierenden Leichtlohngruppen für Frauen.

Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen sorgte für Entsetzen

John Harris’ Fotografie „Bergleute sammeln Kohlereste auf einer Abraumhalde“ wurde im Winter 1984/85 während des britischen Bergarbeiteraufstands aufgenommen.
John Harris’ Fotografie „Bergleute sammeln Kohlereste auf einer Abraumhalde“ wurde im Winter 1984/85 während des britischen Bergarbeiteraufstands aufgenommen. © John Harris /reportdigital.co.uk | Unbekannt

Eindrucksvoll ist auch eine Fotografie von John Harris, die Bergleute zeigt, die im Winter 1984/85 Kohlenreste von einer Abraumhalde sammeln. Sie entstand während des britischen Bergarbeiterstreiks (auch Miners‘ Strike oder Coal Strike genannt), einem der erbittertsten Arbeitskämpfe, die Großbritannien je erlebt hat. Von Südwales bis Schottland kämpften knapp ein Jahr lang Bergbaugemeinden im Mutterland der Industrialisierung um den Erhalt der örtlichen Zechen.

Auslöser für den Streik war die Ankündigung des National Coal Board (NCB) vom 6. März 1984, dass die nationale Förderkapazität um vier Millionen Tonnen Steinkohle gesenkt werde und man 20 unwirtschaftlich arbeitende Zechen schließe. Dies bedeutete den Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen, was in den britischen Revieren für Entsetzen sorgte. Denn die Arbeit im Bergbau war für viele die einzig mögliche Einnahmequelle. In der besonders unwirtschaftlich arbeitenden und auf hohe Zuschüsse angewiesenen Zeche Cortonwood in South Yorkshire traten die Bergleute bereits am Tag nach der Ankündigung in den Streik.

Arbeitskampf war mit Entbehrungen und Gewalt verbunden

Es folgte ein einjähriger, heftiger Arbeitskampf, der mit Entbehrungen und Gewalt verbunden war. Er wurde auch deshalb so unerbittlich geführt, weil die konservative Regierung unter Margaret Thatcher um jeden Preis den Widerstand der Gewerkschaften, insbesondere der Bergarbeitergewerkschaft NUM unter Arthur Scargill, gegen ihre neoliberale Privatisierungspolitik brechen wollte („The enemy within“).

Sie hatte die Konfrontation gezielt vorbereitet und riesige Kohlevorräte bei Kraft- und Stahlwerken anlegen lassen, das Streikrecht mit mehreren Gesetzesveränderungen stark eingeschränkt sowie die Polizei aufgerüstet. Bis Mitte 1984 Juli waren zwei Tote, mehr als 1000 verletzte Bergleute und 4000 vorübergehend Festgenommene zu beklagen.

Die streikenden Bergarbeiter litten selbst am allermeisten

Der Streik provozierte zwar Versorgungsengpässe, doch litten die Bergleute selbst am meisten. Staatliche Unterstützung blieb den Streikenden verwehrt, ihre Kinder wurden von der kostenfreien Schulspeisung ausgeschlossen und Hilfen für Schuluniformen nicht genehmigt, weshalb sie oftmals auf karitative Wohlfahrt angewiesen waren. Neben dem Verlust des Lohnes, den das geringe Streikgeld nur unzureichend ersetzen konnte, fielen auch die Lieferungen an Deputatkohle für die Streikenden weg.

Spud Marshall mit seinem Enkelkind Carla wurde von Michael Kerstgens im Januar 1985 fotografiert.
Spud Marshall mit seinem Enkelkind Carla wurde von Michael Kerstgens im Januar 1985 fotografiert. © Unbekannt | Michael Kerstgens

Sie suchten auf den Abraumhalden zwischen dem tauben Gestein nach Kohleresten, einige Jugendliche wurden hierbei auch verschüttet und starben. Sympathie und Solidarität erfuhren die Streikenden besonders durch marginalisierte Gruppen wie ethnische Minderheiten, Feministinnen, Schwule und Lesben. In vielen Ländern gab es umfangreiche Spenden- und Hilfsaktionen zur Unterstützung der britischen Bergleute.

Ausstellung Hamburg: Kertsgens fotografierte die Bergleute

Nach 362 Tagen wurde der Streik beendet, ohne dass eines der Streikziele erreicht werden konnte. Trotzdem begleiteten die Angehörigen an vielen Orten die Bergleute solidarisch zurück in die Zechen. In den Folgejahren konnte die Regierung den gesamten Kohlesektor ohne nennenswerten Widerstand privatisieren. Viele Zechen wurden geschlossen, Arbeitslosigkeit und Armut nahmen in der Region enorm zu.

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Der Fotograf Micheal Kertsgens war als Fotostudent im Herbst 1984 in South Yorkshire und wohnte als Gast bei Marsha und „Spud“ Marshall, die beide eng in den Streik involviert waren. Als „lad“ (Kumpel) eingeführt, fotografierte er in dem persönlichen Milieu der Zechensiedlungen den Alltag der streikenden Bergleute.

„Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen“ bis 3.10., Museum der Arbeit (U/S Barmbek), Wiesendamm 3, Mo 10.00-21.00, Mi-Fr 10.00-17.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 8,50/5,- (erm.), www.shmh.de