Hamburg. Im Kunsthaus Hamburg präsentiert der künstlerischen Nachwuchs der Stadt seine Werke – und entlarvt dabei unter anderem kulturelle Stereotype.

Dumpfe Bässe wummern wie im Club aus einer hinteren Ecke des Ausstellungsraums. Stimmen sind mal lauter, mal leiser zu hören, ein Projektor, der einen 35-Millimeter-Film in Dauerschleife abspielt, rattert unaufhörlich – Reminiszenz ans Ende des 20. Jahrhunderts und für die heutige Generation technisch gesehen wohl schon Lichtjahre entfernt. Nahezu jeder der 22 künstlerischen Positionen sind Kopf­hörer beigelegt, oft auf dem Boden (Achtung: Perspektivwechsel!). „Diese vielen, unterschiedlichen Arbeiten zu einer Ausstellung zusammenzufügen, ist jedes Mal eine große Herausforderung“, sagt Anna Nowak, die „Nominees“ kuratiert hat.

Die Nominierten sind Bewerberinnen und Bewerber für das Arbeitsstipendium für bildende Kunst der Stadt Hamburg, das jährlich vergeben wird, um den Nachwuchs auf dem Weg in eine künstlerische Existenz zu unterstützen. Rund 400 Stipendien wurden schon vergeben. Voraussetzung dafür ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium und ein Wohnsitz in Hamburg.

Kunsthaus Hamburg: Von kulturellen Missverständnissen

Besonders auffällig sei in diesem Jahr die große Menge an Videomaterial, die der künstlerische Nachwuchs produziert habe, so Anna Nowak. Manches davon sperrig wie Laura Sophia Zieglers Puppen-Fernsehshow „die-arbeit.info“, mit der sie die Arbeit der Münchner Redaktion um Helmut Draxler und Katja Diefenbach für die Zeitschrift „Hilfe“ im heimischen Wohnzimmer nachgespielt hat (das nötige Hintergrundwissen liefert ein Magazin, das ihre Alma Mater, die Hochschule für bildende Künste Hamburg, finanziert hat).

Anderes ist faszinierend eingängig, so wie Hien Hoangs Videoperformance „Asia Bistro – Made in Rice“. Darin entlarvt die ehemalige HAW-Studentin Klischees und Stereotypen, die mit asiatischer Kultur, respektive mit dem Thema Essen, verbunden sind: „Wenn man hier auf die Speisekarte eines sogenannten Asia Bistros guckt, sieht man, dass alle asiatischen Speisen durcheinandergewürfelt werden, Hauptsache Frühlingsrollen und Sushi sind dabei“, sagt die Vietnamesin.

Verarbeitet hat sie diese Beobachtung in drei Filmen: In einem davon führt die Protagonistin einen Tanz auf einem Berg Reisnudeln auf, eine andere hat sich ein Netzkostüm übergezogen, an dem Reissäckchen hängen.

Besonders eindrucksvoll ist die Vorführung einer Künstlerin, die sich nach und nach mit Lagen von Reispapier beklebt, bis sie unter einem Schleier verborgen wird – als Metapher einer verdeckten Identität. „Asiaten werden von Europäern häufig als ruhig, höflich und zurückgenommen wahrgenommen. Dieses Missverständnis möchte ich in meiner Arbeit sichtbar machen“, sagt Hien Hoang.

„Nominees“: Kunstausstellung in Hamburg eröffnet

Bei der feierlichen Eröffnung der Ausstellung am Wochenende, die zur großen Freude von Kunsthaus-Direktorin Katja Schroeder sehr gut besucht war, gab es auch Live-Performance. Absolvent Florian Bräunlich hatte den über 80 Jahre alten schwedischen Trommler Sven-Åke Johansson eingeladen, bei „Safe Crash“ aufzutreten: Dabei wurden aus Ton gefertigte Schlagstöcke auf Trommeln und Becken gespielt, bis sie kunstvoll und lautmalerisch zerbrachen (die Relikte sind im Foyer sichtbar).

Wie viel Zeit, Arbeit und Material die Kreativen in ihre Kunst investiert haben, ist beachtlich. Manche schaffen gar ganze Räume in der Ausstellung: Zum Beispiel das „Kabuff“ von Jil Lahr, ein Sammelsurium aus alltäglichen Gegenständen, aufgereiht auf Holzregalen à la Hobbykeller – von Pralinen über Muscheln vom Strand bis Zigarettenschachteln – und dazu der weise Spruch: „Was du erlebt hast, hat dich geprägt und dir deine unauswechselbare Sicht gegeben.“ Das Kunstwerk als Zwischenstand über bisher Erlebtes und Gelebtes.

Die Gewinner der Stipendien stehen Anfang Januar fest

Einige der Nominees sind schon im Kunstbetrieb angekommen: Mika Sperling war mit ihrer Fotoserie „Mother Tongue“ im Rahmen des Olympus Fellowship in den Deichtorhallen zu sehen, Gesa Troch wirkte am Skulpturengarten des Easterfield Festival vom Kunstverein mit.

Miriam Zadil (hier vertreten mit Stickarbeiten, die das Figurenrepertoire der großen griechischen Tragödiendichter darstellen) hat bereits in der Galerie von Carolyn Heinz ausgestellt. Wer das Rennen um die Stipendien am Ende macht, verkündet eine Jury Anfang Januar 2022.

„Nominees“ bis 9.1.2022, Kunsthaus Hamburg (U Steinstraße), Klosterwall 15, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 5,-/3,- (erm.), www.kunsthaushamburg.de