Hamburg. Das Bucerius Kunst Forum blickt 2022 auf die neue Lust am Bild in der Antike und ehrt den bekannten Hamburger Fotografen Herbert List.

Gleich die erste frische Ausstellung des Jahres 2022 könnte einen wunderbaren Streit (sagen wir es professioneller: Diskurs) entfachen: Ab 12. Februar feiert das Bucerius Kunst Forum die berühmte Minimal Art des 1960er-Jahre-Amerikas. Und damit eine Kunst, die als Gegenreaktion auf den Abstrakten Expressionismus, so direkt und ohne Vorkenntnisse zu verstehen sein sollte, dass sie als bis heute demokratischste Kunstform bezeichnet wird.

Es sind Objekte, die mal aus Leuchtstoffröhren oder Blechkisten, aufeinandergestapelten Aluminiumplatten oder Plexiglas bestehen und mit Lichteinwirkung und Raumgefühl arbeiten. Ist das nun Kunst oder Dekor, oder kann es gar ganz weg? Diese Fragen dürfte sich so manch einer im Publikum dieser Ausstellung, die mit Leihgaben aus bedeutenden deutschen Museen und Privatsammlungen punktet, stellen. Zu Recht: Kunst darf und soll irritieren. Genau mit diesem Effekt spielt die Minimal Art.

Ausstellung Hamburg: Spiel mit der Wahrnehmung

Zum Beispiel das Spätwerk „Untitled (Stacks)“ von Donald Judd, einem der Mitbegründer der Strömung. Die zehn übereinandergelegten Leuchtkästen erschaffen für die Betrachter einen eigenen Raum, indem sie sich in verschiedenen Farben gegenseitig spiegeln.

Flavins „Untitled (to Barnett Newman) four“.
Flavins „Untitled (to Barnett Newman) four“. © © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Auch Dan Flavins „Untitled (to Barnett Newman) four“ von 1971 spielt mit der Wahrnehmung; dabei werden sogar die Betrachtenden ins Farbspiel einbezogen, wenn sie sich den Leuchtstoffröhren nähern. In „45 Degree Swipe“ (1969) von Carl Andre formen sich sieben auf dem Boden gelegte Stahlplatten zu einem langgezogenen Rechteck. Betreten erwünscht oder verboten – das ist hier die Frage.

In Männerakten eigene Homosexualität ausgedrückt

Am 14. Mai folgt die internationale Gesamtschau des bedeutenden Hamburger Fotografen Herbert List (1903-1975). „Das magische Auge“ ist die erste Retrospektive in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten und zeigt 220 Originalaufnahmen zwischen 1930 und 1965. Vor 1945 war Lists Arbeit geprägt von Surrealismus und der metaphysischen Malerei; ebenso wie René Magritte und Giorgio de Chirico interessierte sich der Künstler für das Hintergründige und Mehrdeutige der Wirklichkeit.

Seine Fotografien, die in Hamburg, Paris und Athen entstanden, verströmten eine Aura des Rätselhaften, Geheimnisvollen. In Griechenland und Italien ließ er die Antike wiederaufleben. Nach 1945 porträtierte List das durch den Krieg zerstörte München und arbeitete verstärkt an Fotoessays; seine Reportagen über Mexiko und die Karibik wurden in Illustrierten wie „Life“ oder „Heute“ veröffentlicht. Neben Künstlerporträts, etwa von Pablo Picasso und Marc Chagall, Paolo Pasolini und Ingeborg Bachmann, machten ihn seine Männerakte berühmt. In Letzteren drückte Herbert Liste seine eigene Homosexualität aus.

Herrschaft von Kaiser Augustus markierte Wendepunkt

Parallel zu „Das magische Auge“ wird im Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung „Präuschers Panoptikum. Ein Bilderbuch von Herbert List“ gezeigt. Beide Schauen laufen im Rahmen der 8. Triennale der Photographie.

Statue des Kaisers Augustus.
Statue des Kaisers Augustus. © © Archivio dell’arte pedicini fotografi

Mit einem Paukenschlag wird das private Ausstellungshaus dann am 8. Oktober den Herbst einläuten: In „Die neuen Bilder des Augustus“ steht der regelrechte Bilderboom im Fokus, der sich während der Herrschaft von Kaiser Augustus (27 v. Chr.-14 n. Chr.) Bahn brach. Mit dessen Herrschaft vollzog sich im römischen Reich nicht nur eine politische Wende von der Republik zum Prinzipat. Der mächtigste Kaiser der Antike, der damals erst 19 Jahre alte Kaiser Octavian, der später den Titel Augustus verliehen bekam, bediente sich auch erstmals neuartiger Kommunikationsstrategien.

Wie mit Bildern im alten Rom geworben wurde

Die Ausstellung, kuratiert von Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forums, und Annette Haug, präsentiert anhand von rund 200 Statuen, Büsten, Reliefs, Wandgemälden, Münzen und Keramiken von Leihgebern aus ganz Europa ein neues Verständnis von Bildsprache, -strategien, -medien und -materialien.

Augustus und seine Gattin Livia ließen sich im klassizistischen Stil neu erschaffen. Sein Abbild war in Rom, in der Provinz und überall im Reich sichtbar und diente somit der Kommunikation zwischen Kaiser und Volk. Auch das Bild der Stadt Rom, die zu seiner Zeit einer einzigen Großbaustelle glich, wurde auf Münzen geprägt und im ganzen Reich als Werbung verteilt. Augustus nutzte für seine Selbstdarstellung zudem neue Narrative über die Geschichte der Stadt Rom, die göttliche Herkunft seiner Familie, seine Erfolge oder die Sieghaftigkeit des Kaisers. Die berühmteste dieser Geschichten ist Vergils „Aeneis“, in der der trojanische Prinz aus dem brennenden Troia flieht und später zusammen mit anderen Geretteten Alba Longa gründet, die Mutterstadt Roms.

Auftragsarbeiten auch im Bürgertum verbreitet

Die „neue Lust am Bild“ war das Resultat gesellschaftlichen Wohlstands. So waren Auftragsarbeiten nicht nur Herrschern und der Elite vorenthalten. Auch im Bürgertum war es weit verbreitet, die Häuser mit Gemälden, Skulpturen und Reliefs zu schmücken sowie Alltagsgeschirr und Tonlampen mit Landschaftsmotiven und mythologischen Themen künstlerisch gestalten zu lassen.