Hamburg. Eine Studie zählte in fast 200 Ländern die meistübersetzten literarischen Titel. Diese Werke sind dabei.

Schweifen wir zunächst nur halb in die Ferne und bleiben einstweilen bei „Made in Germany“. Verglichen mit Waschmaschinen und Luxuslimousinen tut sich in Deutschland zusammengeschraubte Literatur in Übersee und fremden Landen eher schwer. Umgekehrt ist das, gerade wenn wir an die vielen süffig zu lesenden literarischen Werke aus den USA denken, ganz und gar nicht so. Das kann man heutzutage leicht überprüfen, indem man etwa auf die einschlägigen Seiten von Internetversandhäusern geht. Gibt man dort deutsche Romantitel ein, ploppen in den meisten Fällen die deutschen Originalausgaben auf. Boring.

Wobei es natürlich trotzdem viele Bücher ins Englische, Französische, Italienische schaffen: Tellkamp, Rothmann, Regener, Kirchhoff, Clemens Meyer, Judith Hermann zum Beispiel. Und auch, gerade erst, der Hamburger Saša Stanišić. „A Bosnian-German wunderkind“, wie „Oprah Daily“ ganz entzückend schrieb und damit den Buchpreis-Siegertitel „Herkunft“ („Where You Come From“) superlativ belobigte.

Bücher: Welche Literatur wo am liebsten gelesen wird

Wobei Sprachherkunft das Stichwort ist. Literatur lebt von Übersetzungen, Literatur ist universal, und gute Geschichten werden überall gelesen. Erzählen die deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zu sperrig, sind ihre Geschichten nicht gut genug? Womöglich. Literaturexport-Weltmeister werden wir jedenfalls nie werden, dafür werden ins Deutsche traditionell besonders viele Titel übersetzt – Deutschland ist kulturell aufgeschlossen. Eine immer wieder gute Nachricht.

Die digitale Lernplattform Preply hat jetzt eine Weltkarte der Literaturübersetzungen angefertigt. Nette Idee: für (nicht wirklich) jedes Land den Buchtitel zu finden, der am häufigsten in andere Sprachen übersetzt wurde. Vielsprachigkeit mal anders. Germanisten dürfte nicht überraschen, dass Preply für Pa­trick Süskinds Bestseller „Das Parfum“ satte 49 Übersetzungen zählte. Staunen dürften die Experten aber darüber, dass Süskind damit an der Spitze der deutschen Literaturwarenausfuhr stehen soll. Für die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm werden stellenweise 160 Übersetzungen gezählt. Streng genommen disqualifiziert sich die Studie damit leider, wie konnte man den germanischen Exportschlager vergessen, bitte?

Aber wo sind den bloß die Märchen der Brüder Grimm?

Wobei die Grimms im Hinblick auf die Liste einen Fingerzeig geben. Es sind, europäisch gesehen, die Stoffe aus dem Kinder- und Jugendbereich, die literarisch durch die Welt gingen und gehen. Das mit Abstand am häufigsten übersetzte Buch ist laut dieser Studie, aber auch laut Guinnessbuch der Rekorde Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ – mit 382 Übertragungen. Für Dänemark werden Hans Christian Andersens Märchen (160), für Schweden „Pippi Langstrumpf“ (70), für die Schweiz „Heidi“ (50), für Belgien Hergés „Die Abenteuer von Tim und Struppi“ (93) und für England Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ (175) gelistet.

Wie ist die Studie entstanden? Laut Preply wurde der Buchbestand von 195 Länder analysiert. Bei Datenmangel sei die Verfügbarkeit der einzelnen Bücher in verschiedenen Sprachen in der WorldCat Library geprüft worden, im größten Bibliothekskatalog der Welt also. Dass eine Recherche, die Publikations- und Editionsgeschichten aus mehreren Jahrhunderten umfasst, nur schwerlich hundertprozentig exakt sein kann und dies den Urhebern dieser umfassenden Studie bewusst ist, äußert sich in einem Detail. Hinter jeder numerischen Nennung steht ein „+“ – es könnten bei Carlo Collodis „Die Abenteuer des Pinocchio“, das auf Gesamtplatz zwei der Liste liegt, also auch mehr als 300 Sprachen sein, eben „300+“.

Spaniens Stolz ist zu Recht Miguel de Cervantes’ „Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha“, der optimalerweise auch noch das meistübersetzte Werk jenes Landes ist (140). Für Brasilien steht dagegen, oje, Paolo Coelhos „Der Alchimist“ (80) zu Buche.

Weltkarte der Literatur-Superspreader ist ein Werk der Völkerverständigung.

Es sind nicht ausschließlich sympathische Titel, die den Weg in die Welt fanden. Amerikas Toptitel ist „Der Weg zum Glücklichsein“, ein Selbsthilfebuch von Scientology-Gründer L. Ronald Hubbard (112).

Aktuell bekannte Autorinnen und Autoren sind auch dabei, etwa Haruki Murakami, dessen „Naokos Lächeln“ 50 -mal übersetzt wurde. In Afrika dominieren neben der Belletristik autobiografische Texte. An der Spitze steht nach Preply-Zählung eine Kurzgeschichte des kenianischen Autors Ngugi wa Thiong’o („The Upright Revolution: Or Why Humans Walk Upright“, 63 Übersetzungen). Ein relativ neuer Text, der häufiger übertragen wurde als J. R. R. Tolkiens „Der Hobbit“ (59). Letzterer durfte in dieser Studie für Südafrika ins Rennen gehen, weil er in Bloemfontein geboren wurde. Er war Engländer.

Im Erdteil Ozeanien ist Colleen McCulloughs „Die Dornenvögel“ das meistübersetzte Buch mit 20 Sprachen, das Werk einer Australierin also. Mit den Menschen und ihren Bewegungen über den Globus verbreitete sich auch die Literatur. Die Weltkarte der Literatur-Superspreader ist also auch: ein Werk der Völkerverständigung.