Hamburg. Christian Sauer liebt schlechtes Wetter. Seine Leidenschaft hat er in einer Mischung aus Poesiealbum und Sachbuch festgehalten.

Besser kann das Wetter gar nicht sein: Es regnet, aluminiumgrau wölbt sich der Himmel über Hamburg, fahl schimmern die Pfützen. Es ist ein Wetter ganz nach dem Geschmack des Bergedorfers Christian Sauer. Wir sind verabredet zu einem Alsterspaziergang im Novembergrau. „Hamburger Wetter konnte mich nie schrecken“, erzählt er fröhlich unter seinem blauen Regenschirm. „Das gibt es eigentlich viel zu selten. Ich finde königsblauen Himmel langweilig.“ Vielleicht muss er das jetzt auch sagen, denn Sauer hat ein Buch über den Regen geschrieben, eine Hommage an das Schietwetter, eine Mischung aus Poesiealbum und Sachbuch.

Sein letztes Buch „Draußen gehen“, das bereits in der dritten Auflage erscheint, widmete sich dem Wandern – nun geht Sauer einen Schritt weiter. „Mit dem Draußensein befassen sich viele, aber alle denken dabei an Sonnenschein“, erzählt der 58-Jährige. „Die Dinge einmal anders zu sehen – im Regen, das war ein Herzensprojekt.“ Für seine „Liebeserklärung an das Wetter, wie es ist“ hat er seine Erinnerungen durchkämmt, alte Tagebücher gelesen und in Fotoalben geblättert. Viele Bilder aber fand er nicht – denn fotografiert wird fast nur im Sonnenschein.

Christian Sauers neues Buch: Eine Liebeserklärung an Hamburgs Schietwetter

Wir leben in einer Gutwetter-Gesellschaft. Seine privaten Erinnerungen – an Wanderungen im Regen in seiner norddeutschen Wahlheimat, deutschen Mittelgebirgen und den Alpen, aber auch bei Fernreisen nach Ghana oder Brasilien – durchziehen sein Buch, das in weiten Teilen so unterhaltsam wie lehrreich ist.

„Hamburger Wetter konnte mich nie schrecken“, sagt Autor Christian Sauer.
„Hamburger Wetter konnte mich nie schrecken“, sagt Autor Christian Sauer. © nn | NN

Sauer unternimmt Ausflüge in die Wissenschaft, wonach der erste Regen ungefähr vor 4,2 Milliarden Jahren fiel. Er beschreibt den Einfluss des Wetters auf die Weltgeschichte, warum die Hochkultur der Sumerer auch an der Dürre zerbrach oder wie es den D-Day, die Landung der Alliierten in der Normandie, beeinflusst hat. Und die Leser erfahren, warum Regen sogar Wahlen entscheiden kann – weil Konservative auch bei schlechtem Wetter wählen gehen, so die These, habe George Bush 2000 die Wahl in Florida gegen Al Gore gewonnen.

Eine ganze Playlist voller Regenlieder

Wenn Sauer, langjähriger stellvertretender Chefredakteur von „Chrismon“ und heute Coach, sich einer Sache nähert, macht er es gründlich. Fast zwei Jahre hat er an seinem Regenbuch gearbeitet – sich durch Sekundärliteratur und Kunst gewühlt. Er geht der Frage nach, wie man eigentlich Wolken malt, und stellt die These auf, dass Regen Kreativität freisetzt: Weder der Klassiker „Frankenstein“ noch die Bands Nirvana oder The Smiths hätte es ohne Wolkenbrüche gegeben.

Er hat eine ganze Liste von Regenliedern gesammelt und eine Song-Liste für Spotify erstellt, von Dalidas „Am Tag, als der Regen kam“ bis zur Regentropfen-Prélude von Frédéric Chopin, von Rudi Schuricke bis Franz Liszt, von Drafi Deutscher bis Richard Wagner. „Praktisch alle, denen ich von meinem Regen-Buch erzähle, geben mir Songs mit auf den Weg“, schreibt er. Hier kommt noch einer: In der Liste fehlt „A-N-N-A“ von Freundeskreis.

Sauer wirbt dafür, Regen nicht so negativ zu sehen

Sauer bricht eine Lanze für das Regenwetter, den „Paria unserer Alltagskultur“, wie er sagt. Und er kann sich beim Spaziergang im Regen rund um die Alster wie ein kleiner Junge begeistern. Er schwärmt, wie das Sprühwasser der Alsterfontäne mit dem Regen vor dem grauen Himmel verschwimmt, welche Farbkombination Wasser und Blätter ergeben und wie sich die Welt in den Pfützen spiegelt. Kinder, so schreibt er, reagierten wohlwollend auf Regen, erst bei Jugendlichen kippt das Gefühl. „Das Wetter meiner Kindheit: temperamentvoll, vielfältig, Sonne, Regen, Schnee, egal. Das Wetter meiner Jugend: uniform, langweilig, einheitsgrau. Viel kalter Regen, immer mindestens ein Hauch davon in der Luft.“

Der Bergedorfer wirbt dafür, dem Regen auch in der Sprache mehr Raum zu geben. „Wie wir von der Welt reden, so gehen wir mit ihr um“, sagt er. Deshalb wirbt er für einen freundlicheren Blick auf den Regen. „Schauen Sie hinter die Grauschleier unserer kulturellen Prägung, denn er verbirgt die Reize des Regens“, schreibt er in seinem Buch. Während viele Komposita mit „Regen“ negativ besetzt sind (Regenblues) gibt es kaum positive wie „Regeneuphorie“. Er träumt von einem deutschen Wörterbuch des Regens – und legt mit einer kleinen Regenkunde von feuchter Luft bis Wolkenbruch selbst einen kleinen Grundstein. „Dinge, für die man eine Sprache hat, achtet man mehr“, sagt Sauer. Eine präzise Sprache könnte zum „Mitweltschutz“ beitragen. Er selbst besingt das Nieseln und Pladdern: „Regen schwingt, glänzt, fließt, gluckst.“

Eine „sprachliche Regensinfonie“ im Buch verpackt

Das Buch lebt von seinen feinen Beobachtungen: „Auf Planen und Dächern markiert Regen den starken Kerl, schon rein akustisch – draußen wird er mit jedem meiner Schritte schwächer und verliert bald jeden Schrecken.“ Sauer hat durchaus eine Mission: „Geht raus! Guckt genauer hin! Schaut euch die Wolken an! Nehmt mehr wahr!“ Künstlerisch illustriert hat das Buch Franca Neuburg, die schon sein letztes Buch gestaltete, das zu einem der schönsten Bücher des Jahres 2020 geadelt wurde.

Herausgebracht hat „Regen“ der kleine Verlag Hermann Schmidt, der so besondere und skurrile Titel veröffentlicht wie den Abreißkalender „Die 365 allerschönsten alten Apfelsorten“ oder „Spitzfederkalligrafie“. In ihrem Vorwort schreibt die Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: „Kosten Sie die sprachliche Regensinfonie bis zum letzten Tropfen aus.“

Christian Sauer: „Regen: Eine Liebeserklärung an das Wetter wie es ist“ Verlag Hermann Schmidt;, 168 S., 29,80 Euro