Hamburg. Die Hamburger Schriftstellerin Stefanie Taschinski arbeitet mit Insassen der JVA Hahnöfersand an einem Roman. Wie das funktioniert.
Die jungen Männer sind konzentriert, sehr konzentriert. Zwischenbemerkungen, Lachen, Stühlerücken – Geräusche, die in wohl fast allen Klassenzimmern üblich sind, gibt es in diesem Raum nicht. Stattdessen besprechen die Schüler mit größter Ruhe und Sachlichkeit eine Szene des Liebesromans, an dem sie gerade gemeinsam arbeiten. „Ich muss mit jemandem reden. Mein Kopf ist voll. Ich brauche einen Rat“, liest einer der Schüler einen Textauszug vor, der aus Sicht der weiblichen Hauptfigur geschrieben ist. Die Fenster sind vergittert, dahinter ist eine Sportanlage zu sehen.
Wir befinden uns auf Hahnöfersand, jener Elbinsel bei Jork, die seit über 100 Jahren als Gefängnisinsel genutzt wird. Das Klassenzimmer ist Teil der Justizvollzugsanstalt (JVA), in der junge Männer ihre Haftstrafen verbüßen – so wie die sechs Mitglieder dieser Schreibklasse. Sie sind zwischen 18 und 22 Jahren alt, das Angebot haben sie freiwillig gewählt. Mit ihnen am Tisch sitzt die Hamburger Schriftstellerin Stefanie Taschinski, die diese Schreibklasse leitet.
Junges Literaturhaus Hamburg organisiert Projekt
Wenn sie spricht, sind die Blicke auf sie gerichtet, ihr wird respektvoll zugehört. „Die Idee für die Handlung kam aus der Klasse. Ich habe ihnen dann dabei geholfen, ein Drei-Akt-Schema zu entwerfen. Derzeit suchen wir noch nach einem dramaturgischen Twist für das Ende“, erzählt sie. Es ist das vierte von insgesamt acht Treffen mit der Klasse, an dessen Ende ein fertiger Roman stehen wird, der dann auch gedruckt wird.
„Schulhausroman“ heißt das Projekt, das das Junge Literaturhaus Hamburg organisiert (siehe Infokasten). Normalerweise arbeiten Schriftsteller für einen „Schulhausroman“ mit Klassen aus Hamburger Stadtteilschulen zusammen. Stefanie Taschinski, die seit Jahren in dem Projekt mitarbeitet, hatte die Idee, das Projekt auch in der JVA Hahnöfersand zu realisieren. Im vergangenen Jahr leitete sie dort die erste Schreibklasse, diese ist ihre zweite.
Taschinski: "Ich war positiv überrascht"
Ob sie vor ihrer ersten Schreibklasse auf Hahnhöfersand ein wenig Angst gehabt habe? „Angst nicht“, antwortet Stefanie Taschinski. „Aber ich war schon unsicher, ob es klappen wird, ob wirklich jeder auf das Projekt Lust hat. Aber dann war ich sehr positiv überrascht.“ Das ist sie auch von ihrer derzeitigen Schreibklasse, die Zusammenarbeit mit ihr lobt sie in den höchsten Tönen. „Die Jungs hier arbeiten super mit, sie haben ein ungeheures Bedürfnis, ihre Erfahrungen mitzuteilen.“ Was der jeweilige Haftgrund ist, möchte Stefanie Taschinski nicht erfahren. „Ich will die Jungs als die Jungs sehen, die mir da im Raum gegenübersitzen, ihnen unvoreingenommen eine Chance geben.“
Antonia Schallehn, Schulleiterin in der JVA, sieht großes Potenzial in dem Projekt. „Es ist eine Möglichkeit für die Teilnehmer, Lob und Anerkennung zu bekommen. Das sind viele gar nicht gewohnt. Daraus resultiert, dass sie sich im Habitus ändern. Ruhe kehrt ein.“ Zudem könne durch das Schreiben eine „abstrakte Form der Tataufarbeitung“ geschehen.
Schreiben dient als willkommene Abwechslung
Und dann ist die Arbeit am Schulhausroman natürlich eine willkommene Abwechslung vom Haftalltag – das betonen die Mitglieder des Schreibkursus. Weil sie alle bereits Schulabschlüsse haben, gehen sie in der JVA zur Arbeit, etwa in der Küche, zusätzlich können sie Sportangebote nutzen. Internet gibt es nicht, Handys sind auch nicht erlaubt.
Das Projekt |
Schulhausroman ist ein Projekt des Jungen Literaturhauses Hamburg. Eine Schulklasse entwickelt ein halbes Jahr lang einen Roman, dabei unterstützt sie eine professionelle Autorin oder ein Autor. Pro Jahr werden sechs bis acht Projekte realisiert. Zu den Förderern zählen die Bürgerstiftung Hamburg, die Hamburger Literaturstiftung und die Hanns R. Neumann-Stiftung. Die fertigen Romane können auf der Webseite des Literaturhauses heruntergeladen oder auch als Buch bestellt werden: schulhausroman.literaturhaus.hamburg.de |
Und worum geht es in dem Text? „Wir haben uns für eine Liebesgeschichte im Stil von Romeo und Julia entschieden und versucht, die in die heutige Zeit zu übertragen“, berichtet ein Schreibkursmitglied, 20 Jahre alt, der sich Arnold nennt und, wie die anderen, seinen richtigen Namen nicht verraten möchte. In dem Roman ist Romeo ein junger Mann aus einer jüdischen Familie, Julia wiederum ist Muslimin. Und auch Drogen und Kriminalität spielen eine Rolle.
Eigene Erfahrungen gingen in die Romanhandlung mit ein
Ob die Handlung auf eigenen Erfahrungen basiere? „Klar, auf jeden Fall“, sagt Arnold. Schreibkursmitglied Isi (22) pflichtet bei: „Natürlich, die eine oder andere Sache hat man selbst erlebt oder gesehen.“ Laut Arnold gehe es um einen allen bekannten Konflikt, die Heldin wolle „aus dem patriarchalischen System herauskommen, ein selbstbestimmtes Leben führen“. Auf die Frage, warum die Geschichte aus weiblicher Sicht geschrieben ist, sagt er: „Wir wollen zeigen, wie Frauen darunter leiden, wenn Männer kriminell sind.“
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Im Januar wird der fertige Text bei einer kleinen Lesung in der JVA präsentiert. Am 7. Februar dann wird der Text wie jeder neue Schulhausroman im Literaturhaus an der Alster präsentiert. In diesem Fall wird dann ein Film gezeigt, in dem die jungen JVA-Insassen ihr Romanprojekt präsentieren. Angesprochen auf Wünsche für die Zukunft, sagt Arnold: „Resozialisiert sein. Nicht wieder in den Knast gehen. Spaß am Leben haben.“ Isi möchte sich das Schreiben „definitiv“ für die Zeit nach der Haft bewahren, er könnte sich vorstellen, auch einmal die eigene Geschichte aufzuschreiben. Erst einmal hofft er, dass der Schulhausroman eine gewisse Resonanz haben wird. Dazu Arnold: „Wenn das verfilmt wird, das wär schon geil …“