Hamburg. Für zwei Brüder aus London und Amerika ist die Hamburger Max-Halberstadt-Schau höchstpersönlich – der Künstler war ihr Großvater.
Peter Rosenthal spürt noch ein wenig Jetlag. Am Morgen erst ist er aus Charleston/USA gelandet. Sein Bruder Mark Spangenthal hatte es aus London nicht ganz so weit. Nun stehen sie in Hamburg, in der Ausstellung „Max Halberstadt“ im Museum für Hamburgische Geschichte, betrachten in aller Ruhe Vitrinen, Fototapeten und Video-Installationen. Fasziniert steht Peter Rosenthal vor einer Fotografie der Seufzerbrücke in Venedig.
„Diese marmorne feine Architektur-Arbeit ist für mich eines seiner schönsten Fotos“, sagt er. Es ist für beide Brüder keine gewöhnliche Ausstellung. Max Halberstadt war ihr Großvater. Die Tatsache, dass sein fotografisches Schaffen hier nun gewürdigt und dem langjährigen Vergessen entrissen wird, bedeutet ihnen unendlich viel.
Nach einer Ausbildung bei Rudolf Dührkoop richtete der 1882 in Hamburg geborene Max Halberstadt 1907 ein Fotostudio am Neuen Wall 54 ein. Hier erwarb er sich rasch einen ausgezeichneten Ruf als Fotograf von Porträts, Architektur und Beobachter des jüdischen Lebens. Doch der Weltenlauf ging über ihn hinweg.
Ausstellung „Max Halberstadt“ im Museum für Hamburgische Geschichte
Den Ersten Weltkrieg und die Depression der 1920er-Jahre hatte er noch überstanden, mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten sah er sich gezwungen, 1936 nach Südafrika zu emigrieren, wo er 1940 mit nur 58 Jahren starb. Seine Kunst geriet in Vergessenheit, bis der Historiker und Kurator Wilfried Weinke Max Halberstadt erstmals 2003 in einer Gruppenschau über vertriebene Fotografen ausstellte. Weinke wurde ein Freund der Familie, insbesondere von Halberstadts Tochter Eva.
Zu dieser nun von Wilfried Weinke kuratierten Einzelausstellung haben Peter Rosenthal und Mark Spangenthal, 1954 beziehungsweise 1957 in Johannesburg geboren, viele Exponate aus Familienbesitz beigesteuert. Neben Fotos auch Geburts- und Heiratsurkunden, ein Anachrom mit einem Bildnis Halberstadts sowie Medaillen. „Wir dachten nicht, dass es einen Markt geben würde oder ein großes Interesse“, erzählt Peter Rosenthal. „Wir hatten Dinge, die für die Familie einen sentimentalen Wert hatten, aber keine Vision, was wir damit tun könnten.“ Ein Glücksfall war es, dass ihre Mutter die Fotografien fein säuberlich aufbewahrt hatte. Sie sind durchnummeriert bis in den fünfstelligen Bereich, was auf einen Werkumfang von rund 40.000 Fotografien schließen lässt.
Neue Verbindungen zu seinem Großvater
Die Ausstellung eröffne ihm neue Verbindungen zu seinem Großvater, so Peter Rosenthal. Er verstehe ihn besser im Kontext, Leerstellen hätten sich geschlossen. „Ich kann mir seine Persönlichkeit besser vorstellen. Er liebte es, selbst fotografiert zu werden. Sein Leben war ein Ringen um Anerkennung, weil er in einer historisch schwierigen Zeit lebte.“ Und Mark Spangenthal ergänzt: „Ich bin sehr dankbar für diese Ausstellung. Sie bringt mir sein Leben näher. Es fühlt sich realer an.“
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In Südafrika ging es der Familie zunächst gar nicht schlecht. „Immigranten hatten es schwer, aber Halberstadt konnte weiterhin arbeiten. Er baute sein Fotostudio wieder auf, erhielt Werbeaufträge. Die Familie fuhr in den Urlaub und konnte sich ein Auto leisten“, erklärt Peter Rosenthal. Doch der Stress der Flucht forderte seinen Tribut. Mit dem Tod des Vaters wurde das Leben auch für Tochter Eva hart. Sie musste die Schule abbrechen, wurde Schneiderin.
Ihren ersten Ehemann verlor sie früh, weshalb die Enkel zwei verschiedene Väter haben. Eine neue Eheschließung ließ beide in Wohlstand aufwachsen. „Wir haben Glück gehabt“, sagt Mark Spangenthal. Allerdings wurde das Leben im Südafrika der Apartheid auf Dauer schwierig. Spangenthal zog nach London und baute sich eine Existenz mit einer Computerfirma auf. Rosenthal ging nach Charleston/USA und machte Karriere als Radiologe. Ihre Mutter lebt mit 96 Jahren noch immer in Johannesburg und erfreut sich bester Gesundheit.
Die Ausstellung ruft bei den Enkeln auch gemischte Gefühle hervor
Als ihr Vater Max Halberstadt starb war sie 15 Jahre alt. Sie habe kaum Erinnerungen an ihn, so Peter Rosenthal, allerdings gab es diesen Sigmund-Freud-Mythos. Es war 1909, als der Wiener Begründer der Psychoanalyse das Studio von Max Halberstadt in Hamburg erstmals aufsuchte, wo dieser mehrere ikonografische Fotografien von ihm anfertigte. 1913 ehelichte er Freuds jüngste Tochter Sophie, die allerdings früh an der Spanischen Grippe starb. Tochter Eva entstammt der zweiten Ehe mit Bertha Katzenstein. „In einem Buch wird Halberstadt als entfernter Cousin von Freud bezeichnet“, sagt Peter Rosenthal. Genau ließ sich die Verwandtschaftsbeziehung bis heute nicht aufklären.
Die Ausstellung ruft bei den Enkeln auch gemischte Gefühle hervor. „Als Fotograf musste er zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Im Leben war er zur falschen Zeit am falschen Ort“, resümiert Peter Rosenthal nachdenklich. „Ich denke mit Traurigkeit an die Dinge, die er durchlitten hat, trotz seines großen Talents.“ Die Ausstellung ist für seine Familie nicht nur eine Rückaneignung, weil Max Halberstadts Fotos von Sigmund Freud nach 1945 weitergedruckt und weitergereicht wurden, ohne dass seine Urheberrechte Berücksichtigung fanden, sie ist eine verdiente, späte Anerkennung seiner Kunst und ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur.
„Max Halberstadt“, bis 3.1.2022, Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, Mo, Mi-Fr 10-17 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr, Di geschlossen