Hamburg. Eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe entdeckt die Lübecker Künstlerin Hildegard Heise neu.
Eine Inderin, die an Deck eines Dampfers sitzt, die Augen stolz auf ihre Tochter gerichtet. Ein selbstbewusst in die Kamera blickender Junge namens Arnold Küstermann. Oder ein überrascht scheinender Oskar Kokoschka. Ganz gleich, ob Hildegard Heise (1897-1979) eine Künstlerpersönlichkeit, ein Kind aus ihrem privaten Umfeld oder völlig Fremde porträtierte – die Bilder, die sie in aufwendigem Verfahren der Glasplattenfotografie schuf, strahlen eine ganz besondere Anmut aus. Sie zeugen von einer aufmerksamen, aber unaufdringlichen Beobachterin.
Was war das für eine Frau, als Hildegard Neumann in Lübeck geboren, die aus großbürgerlichem Hause stammend sich zunächst zur Kindergärtnerin und Säuglingsschwester ausbilden ließ – das schon mal ungewöhnlich – und wenig später – noch ungewöhnlicher – auf den Fotografenberuf umschwenkte? Diese Frage stellte sich Esther Ruelfs, Kuratorin am Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G), als sie sich durch deren Nachlass aus 3000 Fotografien und 2500 Negativen arbeitete, übergeben 1982 von der Patentochter Heilwig Weitz.
Viel gereist, gut vernetzt und doch weitgehend vergessen
1928 war für die junge Frau ein entscheidendes Jahr: Sie begegnete ihrem Mentor, kein geringerer als der renommierte Fotograf Albert Renger-Patzsch, der zu der Zeit das stilprägende Buch „Die Welt ist schön“ herausgebracht hatte. Sie wurde seine Assistentin auf Fotoreisen und avancierte selbst zur Fotokünstlerin. 1930 zeigte sie ihre Arbeiten zusammen mit Avantgarde-Künstlern wie Andreas Feininger und Max Burcharz bei der „Internationalen Ausstellung – Das Lichtbild“ in München. Es folgten Ausstellungen im Hamburger Kunstverein und am Mills College in Oakland, Kalifornien.
„Sie war eine spannende Frau, die professionell als Fotografin arbeitete, von Agenturen vertreten wurde, viel reiste und gut vernetzt war“, sagt Esther Ruelfs. Umso erstaunlicher sei es, dass sie in der Nachkriegszeit völlig in Vergessenheit geriet. In der aktuellen Schau am MK&G „Hildegard Heise: Fotografin“, die eine Auswahl an Bildern präsentiert, ist diese Künstlerin neu- beziehungsweise wiederzuentdecken.
Einen Schwerpunkt bilden ihre Kinderporträts, die sie in den 1930er-Jahren an Magazine wie das „Deutsche Familienblatt“ verkaufte. Sie lichtete befreundete Künstler wie Alfred Mahlau und Rolf Nesch ab; die Hamburger Malerin Anita Rée widmete ihr wiederum ein beeindruckendes Porträt. Auf Reisen an die Ostsee, nach Frankreich, Italien oder später, mit ihrem Mann Carl Georg Heise, in die Karibik, USA oder nach Westindien interessierten sie die sozialen Umfelder der Menschen: Fischer, die ihre Netze flicken, spielende Kinder im Central Park.
Nach 1945 fotografierte Hildegard Heise nur noch privat
Ihre Naturaufnahmen sind geprägt von der Kunstströmung der Zeit, dem Neuen Sehen und der Neuen Sachlichkeit: Ungewöhnliche Bildausschnitte und Perspektiven dominieren Bilder vom Emdener Deich ebenso wie von den Rathaustürmen in Lübeck oder Badekarren am Strand von Carolles.
Mit dem Umzug 1945 nach Hamburg, wo ihr Mann Direktor der Kunsthalle wurde, fotografierte Hildegard Heise nur noch privat. Warum? Darauf hat Esther Ruelfs bei ihren Recherchen keine Antwort gefunden. Dafür eine Leidenschaft für Landschaften, die die Fotografin ein Leben lang begleitete. Ihnen ist ein ganzer Trakt gewidmet, darunter viele Impressionen aus Hamburg: „Weiden an der Alster im Frühling“ von 1950 oder die Serie „Elbe im Winter“ mit Schiffen am nebligen Horizont (1954-58) „wirken fast meditativ“, so die Kuratorin.
„Hildegard Heise: Fotografin“ bis 20.3.2022, MK&G (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, Di-So 10.00-18.00, Eintritt 12,-/8,- (erm.)