Hamburg. Der Musiker legt seine Autobiografie vor. „Spiel doch mal leiser!“ gewährt manche Einsichten – auch in Streits zwischen Kollegen.
Am Anfang steht ein schwerer Schock. „Das war’s für ihn. Der ist raus“, hört Joja Wendt durch den Nebel starker Schmerzmittel Musikerkollegen flüstern, die ihn im Krankenhaus besuchen. Hier liegt er nach einem Autounfall mit Todesfolge, an dem ihn keine Schuld trifft, der ihn jedoch aus der Bahn zu werfen droht. 27 Jahre ist er da alt und lebt für das Klavierspiel.
Aber nun sind große Teile seiner linken Hand zerquetscht oder zertrümmert. Wie er sich aus der Schockstarre an der Grenze zur Depression befreit und mit eiserner Disziplin den Weg zurück ans Klavier findet, auch davon erzählt seine gerade erschienene Biografie „Spiel doch mal leiser!“.
Auch der Konflikt mit Pianist Vince Weber ist Thema
Die schlägt den Bogen von der Kindheit im ostanatolischen Erzurum bis zur Corona-Gegenwart in Hamburg, und nach 247 Seiten ist man durchaus geneigt, Wendt zuzustimmen, wenn er bilanziert, dass er kaum glauben könne „was für ein aufregendes Leben ich bereits geführt habe“. Dabei ist der Start in dieses Leben eher ungewöhnlich und keineswegs nur sonnig.
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Mit seinen Eltern und Schwester Kerstin lebt der kleine Joja in den ausgehenden 1960er-Jahren in der Türkei, weil dem Vater eine Chefarztstelle im Deutschen Krankenhaus in Istanbul angeboten worden ist. Die Mutter hat dafür ihren Traum von einem Gesangsstudium hintangestellt, fühlt sich aber zunehmend „wie in einem goldenen Käfig“. Schließlich zerbricht die Ehe. Die Schwester bleibt beim Vater, Joja zieht zur Mutter nach Deutschland. „Es war die Vertreibung aus dem Paradies und verursachte eine schmerzhafte Erschütterung meiner bis dahin heilen Kinderwelt“, schreibt er rückblickend.
Doch er entdeckt das Klavier und dann auch den Jazz, kauft sich mit 18 ein Fender Rhodes Piano, wird Mitglied einer Schulband und kommt – inzwischen nach Hamburg umgezogen – in Kontakt mit der Blues- und Boogie-Szene, die sich allabendlich im Sperl an der Wexstraße trifft. Pianist Vince Weber ist sein großer Held, dem er mit gehörigem Respekt begegnet, an das eigentlich geplante Studium ist nicht mehr zu denken. „Das Sperl war meine Schule“, schreibt Wendt.
Eine Entdeckung Joe Cockers
Was dann folgt, ist eine Reihe von Ereignissen, die den weiteren Lebensweg maßgeblich prägen: das unerwartete Engagement für ein Konzert von Chuck Berry, die Begegnung mit Joe Cocker, der ihn im Sperl hört und erst für seinen Hamburg-Auftritt, dann für eine komplette Deutschland-Tour als Vorprogramm verpflichtet, das Treffen mit dem mächtigen Plattenlabel-Manager Heinz Canibol, der in ihm Star-Potenzial sieht. Doch dass er einfach Glück gehabt habe, mag Joja Wendt so nicht stehen lassen: „Wenn einem das Glück begegnet, muss man auch vorbereitet sein, um überhaupt etwas daraus machen zu können“, ist er überzeugt, „Glück allein reicht selten“.
Wie gut er stets vorbereitet war, manchmal an der Grenze zum Workaholic agierend, auch davon erzählt dieses kurzweilige Buch. Ebenso wie von seinen zahlreichen Auslandsreisen, die ihn häufig nach China führen, wo er durch Fernsehshows ein riesiges Publikum erreicht. Oder nach Afrika, wo er immer wieder in offizieller Mission als Botschafter für die deutsche Kultur unterwegs ist. Gerade hier wird er mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert, etwa wenn er staunt, wie gut ein Konzert organisiert ist, hatte er doch eher mit afrikanischem Chaos gerechnet.
Überhaupt ist „Spiel doch mal leiser!“ keine reine Selbstbejubelung, sondern reflektiert immer wieder das Erlebte – von der Begegnung mit einem sibirischen Nomadenvolk, das weder Stress noch Konsumrausch kennt, bis zu beklemmenden Überwachungsszenarien bei Touren durch China. Der bewusste Bruch mit der Szene im Sperl, von der er sich emanzipieren muss, um musikalisch voran zu kommen, ist ebenso Thema wie der Konflikt mit Vince Weber, der ihn harsch für seine Hinwendung zum Mainstream kritisiert („Was soll das werden: Musik, die nicht beim Bügeln stört?!“).
Corona bescherte auch ihm den Blues
Doch auch wenn es bisweilen Gegenwind gibt: Am Ende ist dies eine Erfolgsgeschichte, in der Joja Wendt früh seine eigene Produktionsfirma gründet, um sich von den Fesseln und Zwängen der Musikindustrie zu befreien. Den Coronablues bekommt er trotzdem, bringt monatelang „kaum etwas künstlerisch Substanzielles zustande“ – bis ihm beim Aufräumen des Kellers alte Fotos in die Hände fallen. Warum nicht die Zeit nutzen und das eigene Leben in Buchform Revue passieren lassen?
Und nun ist das fertige Buch auch schon da – leider ohne Fotos, aber natürlich veröffentlicht im Eigenverlag. Wer Joja Wendt kennt, weiß: Dies ist nur ein Zwischenbericht, da wird gewiss noch einiges kommen.
Lesung und Gespräch per Stream Mi 7.7., 19.30, Tickets zu 10,- unter www.heymann-buecher.de
Konzerte: 1.8., 18.30 + 21.00, Elbphilharmonie; 17.9., Norderstedt, Tribüne, 18.9., Laeiszhalle;
Infos: www.jojawendt.com
Joja Wendt: „Spiel doch mal leiser!“, Nullviernull, 247 Seiten, 20 Euro