Hamburg. Der neue “Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring, ein durchaus überzeugender Thriller. Ein desaströs verlaufender Einsatz und ein Todesfall.

Die Männer oben, bei den Entscheidern, brauchen manchmal länger, bis sie Frauen befördern. „Ich bin sicher, das wird sich jetzt ändern“, glaubt die Kriminaldirektorin (Judith Rosmair) und gibt Julia Grosz (Franziska Weisz) den dritten Stern. Die ist jetzt Hauptkommissarin. Druck von oben kommt, Zeitenwandel hin oder her, aber nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen. Auf die zwei Millionen, die ein Undercover-Beamter (zwecks Geschäftsabwicklung mit dem Waffendealer) mit sich trägt, solle sie gut aufpassen, als Einsatzleiterin sei sie verantwortlich, sagt die Ranghöhere.

Aber dann sind nach einem desas­trös verlaufenden Einsatz nicht nur die Millionen futsch. Der Kollege (Ercan Karacayli) ist tot, der Waffenhändler weiter auf freiem Fuß. Dass Grosz nach der Nachricht vom Ableben des eingeschleusten Beamten ohnmächtig wird, ist übrigens eine zweifelhafte Volte im Themenbereich „Spitzenjob und Geschlecht“.

Hamburger „Tatort“-Folge von Wotan Wilke Möhring

Man selbst würde ja zu gerne mal Falke K. O. gehen sehen oder, noch besser, Nick Tschiller. Aber Til Schweiger ist hier nicht dabei, denn die „Tatort“-Folge „Die Macht der Familie“ ist die Show von Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz.

Beziehungsweise die von Tatiana Nekrasov: Als LKA-Beamtin Marija Timofejew ist sie ebenfalls als verdeckte Ermittlerin unterwegs und außerdem die abtrünnige Ziehtochter des Bad Oldesloer Waffenhändlers. Ja, dieser „Tatort“ (Buch und Regie: Niki Stein) legt es konsequent auf Versteckspiele und doppelte Identitäten an. Nur Falke ist, wie immer, eins zu eins. Und hängt – das dürfte manch einen zwar stören, gibt den ARD-Krimis aber grundsätzlich ihre emotionale Ebene – wieder mal persönlich mit drin.

Falke flucht sich durch Szenerie

Der tote Kollege war sein Freund, und Marija („Jetzt bist du ja doch ein Spießer geworden“) kennt er von früher, als er selbst noch beim LKA war, aber egal, lange her. Dennoch flucht sich Falke erst mal unnachahmlich durch die Szenerie, weil die Kolleginnen Marija beschatten lassen. Sie trauen ihr nicht, Blut ist dicker als Wasser und so.

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Dabei soll nun über Marija der Großkriminelle drangekriegt werden. Victor Timofejew (Wladimir Tarasjanz) handelt mit altem russischem Kriegsgerät. Nach dem Suizid des Bruders nahm er sich zudem der Familie an, seiner Schwägerin also und deren Kindern. Marija wechselte auf die andere Seite, Nicolai (Jakub Gierszal) aber ist der vom Paten ausersehene Nachfolger im weltumspannenden Business, das von der Villa in Norddeutschland aus gesteuert wird. Pech nur, dass der Erbe ebenfalls beim Einsatz der Strafverfolgungsbehörden zu Tode kommt. Hat die Familie etwas damit zu tun? Die Konkurrenz aus dem Osten?

Hamburger „Tatort“: Ohne Klischees geht’s nicht

Marija Timofejew, die Schöne mit den blauen Augen zwischen den Fronten: Ihr anarchisches Agieren ist im Fortgang der Thriller-Handlung, in der mehr als einmal scharf geschossen wird, noch besser anzuschauen als Grosz’ Versuche, beim ersten Fall nach der Beförderung die Fäden in der Hand zu behalten. Ohne Klischees geht’s jedoch nicht, und deshalb muss die Tiefe der russischen Seele ausgestellt werden. Der Alte klimpert russische Weisen am Klavier, und auch sonst geht es im Familienclan kultiviert zu.

Wer Tolstoi nicht korrekt zitieren kann, verliert. Schade nur, dass es auch hier nur der erste Satz von „Anna Karenina“ ist, der mal wieder aufgetischt wird. Wobei die Timofejews ganz sicher auf ihre Weise unglücklich sind. Dass der Krimi im Sommer 2020 unter Corona-Bedingungen gedreht wurde, ist übrigens klar ersichtlich: So leer wir hier sind S-Bahn-Stationen am helllichten Tag normalerweise nicht.

„Tatort: Macht der Familie“: Sonntag, 20.15 Uhr, ARD