Hamburg. Heute ist das 20. Studioalbum der fröhlichen Radautruppe erschienen, die es sogar mit Chopin aufnehmen kann.
Hyper, Hyper! Am Freitag ist mit „God Save The Rave“ das 20. Album von Hamburgs Parolen-Techno-Stars Scooter erschienen. Wie es klingt, konnten wir uns schon vorher denken: Es wird ballern, es wird den Hörer eine knappe Stunde lang anschreien, und es wird die wichtigsten Fragen des Lebens stellen.
Auf der neuen Platte zum Beispiel „Which Light Switch Is Which?“ – Welcher Lichtschalter ist welcher? Schon dieser Songtitel wäre ein Grund, H.P. Baxxter und seine Band zu knuddeln (und mit dem ersten Album-Intro auf Latein, "Futurum Est Nostrum", machen sie sogar Bildungsbürger glücklich), aber uns sind noch deutlich mehr Begründungen eingefallen, Scooter zu lieben. Eine Hommage.
Weil Scooter ein Gesamtkunstwerk ist:
Hans Peter Geerdes Superstar! Immer junge Frauen an seiner Seite, gerne auch aus Russland; die Autos können aber nicht alt genug sein. H.P. Baxxter, ein Mann von mittlerweile 57 Jahren, sammelt Oldtimer. Er liebt Blondierpulver und ist, seien wir doch mal ehrlich, das einzig wahre ostfriesische Testimonial für Wasserstoffperoxid. Baxxter ist der personifizierte Jungbrunnen, in dem es immer pumpt und plärrt und pfeift: Unsere Weigerung, nicht alt zu werden, lebt dieser Teufelskerl der wirklich irre hintersinnigen Sentenz („It’s nice to be important/But it’s more important to be nice“) in beachtlicher Manier vor. H.P. Baxxter ist das Gesamtkunstwerk des Stars, der seine Rolle in Wort, Bild und Ton so perfekt spielt, dass er selbst ein Markenzeichen ist: des unendlichen, ewigen Spaßes.
Weil Scooter wichtig für die Volkswirtschaft ist:
Die deutsche Pyrotechnik- und Feuerwerksbranche hat mehrere Tausend Menschen beschäftigt, und sie stützt sich eigentlich nur auf zwei Standbeine: Silvester und Scooter. Mit beidem sieht es derzeit düster aus, vor allem die abgesagten Scooter-Tourneen sind ein böser Schlag ins Kontor. Von den Funken, die Baxxters Flying-V-Gitarre bei „Fire“ versprüht bis zu den großen Feuer-Fontänen und Böllern, die gefühlt bei jedem zweiten Lied gezündet werden. Es heißt, dass Scooters Knallbonbons von entbehrlichen Crewmitgliedern in einem Kleintransporter in gebührendem Abstand vom restlichen Tourtross quer durch Europa gekarrt werden.
Weil Scooter Exportschlager ist:
Stichwort quer durch Europa: Hinter Scorpions, Rammstein und Modern Talking kommt nicht mehr viel, wenn es um Export-Erfolge deutscher Rock- und Popbands geht. Aber Scooter sind besonders in Osteuropa Superstars, und auch wo nur hundert Fans leben, fährt Scooter hin. Unvergessen, wie ein Auftritt 2017 auf der von Russland annektierten Krim bei den ukrainischen Behörden für Unmut und diplomatische Verstimmung sorgte. Brüderliche Liebe hingegen gibt es in Philadelphia für Scooters „Maria (I Like It Loud“, das bei Toren des Fußballteams Philadelphia Union eingespielt wird. Auch die Eishockey-Kollegen der Flyers brüllten eine Zeit lang bei jedem Treffer: „Döp-Döp-Döp!“
Weil drei ‘ne Party sind:
Klar, H.P. Baxxter ist optisch und akustisch der Mittelpunkt jeder Show. Aber er hat immer zwei Männer an seiner Seite: 1993 waren es noch Rick J. Jordan und Ferris Bueller, die an Keyboards und Synthesizern die Phon-Orkane entfesselten. Mittlerweile haben Michael Simon und Sebastian Schilde die Tasten an den Flanken übernommen. Insgesamt haben die beiden sechs Vorgänger, der Verschleiß ist demnach beachtlich. Aber das ist auch kein Wunder. Denn auch nach zwei, drei Stunden Gebolze auf der Bühne ist längst nicht Schicht im Schacht. Der Chef ist bei aller eisernen Disziplin eine Nachteule, die jeden Club zwischen Dnjepr und Rio Grande kennt und gern besucht. Baxxter macht das Licht aus.
Weil Scooter überall ist:
Frei nach Hans-Dietrich Genscher begegnete H.P. Baxxter einst im Tourbus einem anderen Tourbus, in dem auch H.P. Baxxter saß. Aber vielleicht waren das auch Die Ärzte, Baxxters Ähnlichkeit (nun ja ...) mit Farin Urlaub ist legendär und wird von allen Beteiligten gern auf die Schippe genommen, zuletzt im Ärzte-Song „True Romance“. Dort singt Farin: „Und mach doch morgen bitte meiner Ex klar, dass sie für mich im Bett ‘ne glatte Sechs war. Und lass mir auch noch ein paar neue Tracks da, von meinem Alter Ego H.P. Baxxter.“ Gastauftritte hatte Baxxter auch im Beginner-Video „Es war einmal“ und im „Großstadtrevier“.
Weil überall Scooter ist:
Glauben Sie nicht? Stimmen Sie doch mal beim dörflichen Zeltfest, auf dem Wacken Open Air und im Stadion (ein klarer Fall für die postpandemische Zu-erledigen-Liste) das bereits zitierte „Maria (I Like It Loud)“ an: „Döp-döp-döp, dö-dö döp-döp-döp“. Ja, das ist irgendwie ein Teil des „Textes“, nein, wir wissen auch nicht, warum. Sie werden überrascht sein, aus wie vielen Ecken – und in welcher Lautstärke – Ihnen die einzig richtige Antwort entgegenschallt: „Dö-döp-döp-döp, dö-dö-döp-döp-döp“. Der dadaistische Wechselgesangsspaß mit dem Songfragment funktioniert überall, jederzeit. Probieren Sie es aus.
Weil Scooter für immer die Neunziger im Herzen trägt:
Wenn H.P. Baxxter schreit, ist alles wieder quietschbunt und in feierwütiger Ekstase. Für immer Bratwurst-Kirmes mit Rumms, Bumms und Beat. Über diesem gesamten Jahrzehnt, als die Mauer endlich weg war und das Ende der Geschichte erklärte, als die ganze Welt in den Tiergarten pinkelte und in Berlin die Liebe paradierte, strahlt die Sonne so grell, dass man sich nur beim Gedanken an jene Tage der totalen Ausgelassenheit UV-Schutz auf den leider mittlerweile nicht mehr ganz gestählten Partyleib klatschen möchte. Techno waren Scooter natürlich nie, sie waren eher die populärdekadente Ausformung der Idee, die Menschen nonstop im Stroboskoplicht zappeln zu lassen. Und Scooter war (und ist) einzigartig genial darin, in dieser hyperironischen Dekade alles so aussehen zu lassen, als meinten sie das wirklich ernst.
Weil Scooter laut ist:
Sehr laut. Noch ein wenig lauter. Tatsächlich waren Scooter-Konzerte früher, als die Behörden noch nicht so genau hingehört haben, so laut, dass ich diese Zeilen besonders laut schreibe, weil Sie sonst nichts verstehen. Als Scooter 2006 in der heutigen Barclaycard Arena die Regler hochriss, klappten in den WCs die Toilettendeckel runter, während die Tierwelt im benachbarten Volkspark in alle Richtungen auseinanderstob, ein Erdbeben vermutend. Klar, auch Metallica oder Rammstein sind nicht leise, aber die haben auch mal ‘ne Ballade zwischendrin. Scooter nicht. Doch mittlerweile kann man sich bei Scooter-Konzerten sogar zumindest in der letzten Reihe mit der Nachbarin oder dem Nachbarn unterhalten – aus vollem Hals schreiend oder mit Gebärdensprache.
Weil Scooter auch ein Herz für die leiseren Töne hat:
Eigentlich braucht man, um Scooter adäquat zu beschreiben, nur drei Komparative: schneller, greller, lauter. Als was? Als so ziemlich alles andere. Dass die Herren auch selbstironischer als gedacht sind, stellten sie bereits 2011 im Volksparkstadion unter Beweis: Da begleitete den Song gewordenen Zen-Koan „How Much Is the Fish?“ (Denken Sie da mal drüber nach, und werden Sie eins mit Ihrem inneren Fisch) kein Geringerer als Heinz Strunk – an der Querflöte. Den Fans mag der Gastauftritt egal gewesen sein, der geneigte Feuilletonist hingegen zupfte sich beruhigt die Flicken auf dem Tweed-Sakko zurecht und postulierte salbungsvoll: „Erbauung! Unterhaltung! Happy Hardcore!” Und selbst Jazz lässt Scooter nicht aus, auch wenn man davon nichts hört: Gaststar des Scooter-Songs „Aiii Shot The DJ“ war kein Geringerer als Helge Schneider.
Weil Scooter selbst Chopin ersetzen kann:
Eigentlich ist Olga Scheps ein echter Klassik-Star, spielt Liszt und Mozart, Rachmaninow und Skrjabin. Natürlich zählt auch Chopin zu den Favoriten der Pianistin, seine Ballades und Nocturnes, hach … Doch um zu absoluter Hochform aufzulaufen, braucht es, na klar, H.P. Baxxter. „100% Scooter - Piano Only“ heißt das Album, auf dem die Echo-Klassik-Preisträgerin „How Much Is The Fish?“, „Nessaja“, „Weekend!“ und Co. so klingen lässt, wie diese Nummern vermutlich immer gemeint waren: als schwelgerisches Bekenntnis zum ganz großen Gefühl, als Klang gewordener Tolstoi-Roman. Unwiderstehlich.
Weil Scooter für Tradition steht:
Viele Hamburger haben vergessen, dass die Hansestadt eigentlich die größte britische Metropole auf dem Festland ist. H.P. Baxxter nicht. Er lebt in seiner Villa in Duvenstedt wie ein Landlord, umgeben von ausgesuchten Gemälden und Antiquitäten im englischen Stil. Und in der Garage hat man die Wahl zwischen Oldtimern aus dem Hause Bentley, Rolls-Royce oder wenn es mal bescheidener sein soll Jaguar – sofern das Rücklicht funktioniert. Baxxter ist trotz mehr als 30 Millionen verkaufter Tonträger nämlich sparsam. Bühnentechnik, Instrumente und Keyboarder werden so lange benutzt, bis sie kaputtgehen.