Hamburg. Eine digitale Sonderausstellung im MARKK zeigt Handelsrouten von Ost nach West und die Menschen, die sie miteinander verbinden.

Wie groß die Lust auf Kunst und Kultur ist, das zeigte sich an den guten Besucherzahlen, die quasi alle Hamburger Museen während ihrer kurzen Wieder-Wieder-Eröffnung zwischen dem 12. und 19. März hatten. Auch das Team vom MARKK freute sich über 1500 Besucherinnen und Besucher, die sich die aktuelle Sonderausstellung „Steppen & Seidenstraßen“ ansahen. Wobei diese Schau noch ein anderes Bedürfnis befriedigt: dem nach Weite, nach fernen Ländern und fremden Kulturen, nach der gerade schier undenkbar erscheinenden Möglichkeit zu reisen.

Die Wiener Kuratoren Maria-Katharina Lang und Christian Sturminger haben sich für ein Forschungsprojekt an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf die Spuren mythenumwobener Handelsrouten begeben.

Nicht nur Waren wurden auf diesen Wegen transportiert

Ihre Reise führte sie entlang der „Alten Seidenstraße“ durch Wüsten, Steppen und Gebirge von China über Zentralasien bis nach Europa und an Schauplätze der künftigen „Neuen Seidenstraße“, dem viel kritisierten Megaprojekt, an dem die chinesische Regierung unter Beteiligung von 100 Ländern baut und die ihren Endpunkt im Hamburger Hafen finden wird.

Nicht nur Waren wurden seit der Antike auf diesen Wegen transportiert, auch Wissen, Religionen, Kulturgüter und natürlich auch Krankheiten fanden so ihren Weg von Ost nach West. Entlang von Objekten der Begierde und der Begegnung, die aus dem Weltmuseum Wien, dem MARKK, dem Museum für Kunst und Gewerbe sowie von anderen Leihgebern stammen, wird die Geschichte dieser Jahrhunderte alten Verbindungen erzählt; Filme und Fotografien aus dem Heute treten in einen Dialog mit historischen Dokumenten und Gegenständen. Die Faszination von Steppen und Seidenstraßen wird perspektivisch breit aufgefächert.

Reisen gen Osten mit Pferdekutsche und Eisenbahn

Nun ist die Ausstellung momentan für Publikum geschlossen; digital ist sie aber dennoch zu erleben. So enthält der 360-Grad-Rundgang Videobeiträge der Kuratorinnen Maria-Katharina Lang und Rahel Wille (MARKK) zu einzelnen Objekten, während in der Ausstellung zahlreiche Interviews mit lokalen Akteurinnen und Akteuren entlang der Steppen und Seidenstraßen gezeigt werden. Über 300 Exponate lassen sich von 170 Standpunkten aus betrachten. Videos und Kurztexte öffnen sich zu ausgewählten Objekten.

Einführend wird das beeindruckende Werk „Westbound 190621“ des Künstlers Paul Kolling gezeigt, für das er Satellitenbilder von der Bahnstrecke zwischen dem chinesischen Xi’an und Hamburg, der neuen Seidenstraßen-Verbindung, auf 35 Millimeter Filmstreifen übertrug. Die geografischen Panoramaminiaturen zeugen von der unglaublichen Dimension und Vielfältigkeit dieser 16 Tage dauernden Distanz und werfen beim Betrachten mehr Fragen auf, als dass sie Antworten liefern.

Eine Prise Abenteuer

Die Geschichten von früheren Reisen gen Osten geben der Schau ihre Prise Abenteuer. So sind handgefertigte Mützen und Kappen aus Zentralasien ausgestellt, die beliebte Mitbringsel waren. Einige Modelle stammen aus der Sammlung von Erdwin und Antonie Amsinck.

Das kunstinteressierte Hamburger Kaufmannspaar begab sich Ende des 19. Jahrhunderts auf die beschwerliche Reise per Eisenbahn und Pferdekutsche ins georgische Tiflis und nach Buchara in Usbekistan. Ihre „Reiseerinnerungen“ vermachten sie nach ihrem Tod dem Museum am Rothenbaum.

Wilde kasachische Äpfel und Götter im Selfie-Wahn

Neben Lebensmitteln wie Tee und Gewürzen waren und sind auch Früchte wichtige Exportgüter. Dass die Ursprünge unserer Speiseäpfel in den Wäldern wilder Äpfel im heutigen Kasachstan liegen, darüber berichtet der Apfelbauer Eckart Brandt aus dem Alten Land, der sich für die Erhaltung der Artenvielfalt einsetzt und sie auf seinem Hof kultiviert.

Wie die Herstellung von traditionellen indischen Ikatmänteln nach Asien kam, zeigen Besuche bei usbekischen Webern. Dem Film gegenüber gestellt ist ein zeitgenössisches Werk der Künstlerin Dilyara Kaipova aus Taschkent: Ihr an die Wand genagelter Ikatmantel zeigt das signifikante Motiv aus dem berühmten Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch. Die Künstlerin will damit einerseits die Folklorisierung und andererseits die Industrialisierung dieses Kulturguts kritisieren.

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Der mongolische Künstler Khosbayar Narankhuu liefert mit seiner Arbeit „Zehn Gramm“ einen Beitrag zur aktuellen Pandemiesituation; er thematisiert darin politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb, Rassendiskriminierung und die Übermacht sozialer Medien – dargestellt an einem Gott, der ein Selfie von sich macht.

Leben in der Steppe zwischen dem Kaukasus und China

Ein Höhepunkt der Ausstellung ist das monumentale Bild „Die Schlacht von Qurman“: Es zeigt detailliert, wie muslimische und chinesische Truppen 1759 in der Region der heutigen Stadt Yarkant aufeinandertreffen. Die Schlacht war Teil des letzten von drei Feldzügen, mit denen die Region Xinjiang (chin. „Neue Grenze“) in das chinesische Kaiserreich eingegliedert wurde.

Laut Rahel Wille „ein Indiz für Austausch und Auseinandersetzung, Vielfalt und Verflechtungen in der kulturell reichen und multiethnischen Region, in der die chinesische Regierung heute neben dem Ausbau der Infrastruktur eine gewaltsame Homogenisierungspolitik betreibt“.

Im Zentrum der analogen wie digitalen Ausstellung stehen Teile einer kasachischen Jurte, die mobile Behausung von Steppenbewohnern, bestehend aus einem Dachkranz und einer Bettstelle. Das Objekt stammt von einer sogenannten Völkerschau bei Hagenbecks Tierpark und gelangte anschließend in die Sammlung des einstigen Völkerkundemuseums.

Austausch von Ideen und Fertigkeiten

Die Jurte veranschaulicht, dass in den gemeinhin als karg und unbewohnbar geltenden Steppen zwischen dem Kaukasus und China, durch die Handelswege führen, sehr wohl Menschen leben. Dies unterstützen die ausgestellten Fotografien von Samuil Dudin, der den Alltag von Viehzüchtern während seiner Reisen dokumentierte.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

„Wir können die Dinge, die in vielen Museumssammlungen erhalten blieben, in Hinblick auf kulturelle Verbindungen, den Austausch von Ideen und Fertigkeiten lesen“, sagt Direktorin Barbara Plankensteiner über die Faszination Seidenstraße. „Diese spiegeln sich in der Formensprache, Materialität oder in den Darstellungsinhalten, die zeigen, wie eng vernetzt die Menschen dieses weitläufigen geografischen Raumes durch die sie verbindenden Handelsrouten waren.“

360-Grad-Rundgang zur Ausstellung „Steppen & Seidenstraßen“ online auf www.markk-hamburg.de