Hamburg. Die Premiere der Installation „Full Melt Down“ von Claire Lefèvre wird am 19. März beim „Tanz Hoch 3“-Festival stattfinden – digital.

Und fast unbemerkt wird dann doch noch getanzt: unendlich langsam, fließend, zurückgenommen. Zwei Kugeln Eis schmelzen. Ein dumpfer Sound füllt den Raum. Und die Wiener Choreografin Claire Lefèvre bietet Zuschauern an, sie einzunebeln, als ob sie Drinks offerieren würde. Stattdessen gibt es eine kleine Ladung aus der Nebelmaschine.

Lefèvre hat mit „Full Melt Down“ eine choreografische Installation auf Kampnagel entwickelt – einen Raum, der erwandert werden will. Es gibt eine Leseecke mit queeren und feministischen Lektüreempfehlungen, Sitzkissen, in die man sich fallen lassen kann, einen Kopfhörer, über den man die Geräusche des eigenen Körpers verfremdet hört. Der Zuschauer kann passiv bleiben und das Geschehen mit einer Wärmflasche im Arm beobachten – er kann sich allerdings auch einer privaten Führung anschließen.

„Vulnerability“ ist Thema von „Full Melt Down“ auf Kampnagel

Und sich so die Bühnenarchitektur aus Werken Sophie Utikals erschließen: Die Berliner Künstlerin hat großformatige Stoffbahnen im Raum verteilt, die auf Wunden verweisen, auf Schmerz und auf Lust, hier ein Blutstropfen, dort ein Messer, drüben eine Umarmung.

Ein Thema von „Full Melt Down“ ist die Verwundbarkeit, englisch „Vulnerability“. Und der englische Begriff macht aus dem passiven Zustand eine aktive, positive Beschreibung: die Fähigkeit, sich verwunden zu lassen. Und spätestens als die Performerin Caro Ley vorschlägt, einem eine emotionale Botschaft auf die Haut zu tätowieren, hat man verstanden, dass man für dieses Stück tatsächlich eine radikale Bereitschaft zur Verletzung mitbringen muss.

Premiere „Full Melt Down“ beim „Tanz Hoch 3“-Festival

Was in der Bühnenpraxis nicht unproblematisch sein dürfte. Bei der Generalprobe waren Pressevertreter anwesend und konnten sich entsprechend auch auf das Spiel mit der freiwilligen Verletzung einlassen, die Premiere vor Publikum aber wird am 19. März beim „Tanz Hoch 3“-Festival beim K3 – Zen­trum für Choreografie/Tanzplan Hamburg digital stattfinden. Natürlich, noch herrscht die Corona-Pandemie, Publikum ist im Theaterraum nicht zugelassen. Aber wie man eine Installation ins Netz transferieren soll, deren Wesenskern der Abbau von Distanz ist, das ist schon eine spannende Frage.

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„Tanz Hoch 3“ präsentiert während eineinhalb Wochen fünf Arbeiten von K3-Residenz-Choreografinnen seit 2019: nach Lefèvres „Full Melt Down“ „Space Gives Place“ von Maria Zimpel, „Hark!“ von Luísa Saraiva und Senem Gökçe Oğultekin, „Kampung Baru (New Village)“ von Raymond Liew Jin Pin und „Thereafter“ von Przemek Kamiński.

Digitalisierung von „Full Melt Down“ unlösbare Aufgabe

„Space Gives Place“ war dabei im Gegensatz zu den übrigen Arbeiten schon vergangenen Herbst auf Kampnagel zu sehen – ein vergleichsweise traditionelles Bühnenstück, das seinen Reiz auch auf dem Computerbildschirm ausspielen kann. Aber Kunst wächst mit ihren Aufgaben, und da ist eine auf den ersten Blick unlösbare Aufgabe wie die, „Full Melt Down“ zu digitalisieren, vor allem ein Ansporn.

„Tanz Hoch 3“ 19.3. bis 28.3., Infos und Tickets unter www.k3-hamburg.de