Hamburg. Rowohlt-Chefin Nicola Bartels übernahm den Job in der Pandemie. Mit dem Abendblatt spricht sie über das erste Jahr und die Zukunft.

Beim Rowohlt-Verlag sitzt seit Sommer 2020 wieder eine Frau im Chefsessel. Nicola Bartels (51) folgte auf den nur ein Jahr amtierenden Florian Illies. Bartels war vorher für Random House als Verlegerin unter anderem für Blanvalet, Penguin, C. Bertelsmann, DVA und Manesse zuständig. Warum es für sie als gebürtige Niedersächsin grundsätzlich schön war, nach Hamburg zu ziehen, erzählt Bartels im Gespräch mit dem Abendblatt. Dort berichtet sie aber auch, wie schwierig es ist, in Pandemie-Zeiten in der Stadt anzukommen – und von ihrem Blick auf den Geist des Hauses Rowohlt.

Was für ein Haus haben Sie nach Ihrer Übernahme im Sommer vorgefunden?

Nicola Bartl: Ein sehr lebendiges: Auch wenn viele Kolleginnen und Kollegen im Juli, als ich anfing, coronabedingt noch zu Hause gearbeitet haben. Viele meiner neuen Kolleginnen und Kollegen wollten mich persönlich willkommen heißen und bereiteten mir einen freundlichen Empfang. Ich spürte sofort die Verbundenheit, die hier herrscht, aber auch die lange Geschichte des Verlags.

Wie haben Sie Sie in Ihren langen Jahren in der Verlagsbranche das Image von Rowohlt wahrgenommen?

Bartl: Rowohlt erschien immer als ein Autorinnen- und Autorenverlag mit großer Tradition und einem Programm von ganz ausgezeichneter Qualität und Stärke mit einer außerordentlichen Bandbreite. Man wusste vom leidenschaftlichen Lektorat und spürte das Know-how und das Engagement der Verantwortlichen in den unterschiedlichen Programmbereichen. Sei es Literatur, das Sachbuch oder die Unterhaltung. Die Rowohlt-Familie gibt es wirklich. Wir sind als Verlag immer nur so gut, wie die Bücher unserer Autorinnen und Autoren, und diese Wertschätzung spürt man hier überall.

Hatten Sie zu Barbara Laugwitz und Florian Illies Kontakt, Ihren Vorgängern?

Bartl: Barbara Laugwitz kenne ich von Treffen auf den Buchmessen, zu Florian Illies hatte ich während der Übergabe regelmäßig Kontakt.

Spüren Sie nach der Unruhe an der Spitze des Verlags die Hoffnungen, die auf Ihnen liegen?

Bartl: Ich kann die Vergangenheit nicht bewerten, aber der Verlag braucht in der Tat ruhigere Fahrwasser. Wir befinden uns ohnehin in einer turbulenten Zeit voller Veränderungen. Um kreativ zu sein und Bücher zu entdecken und zu machen, brauchen wir jedoch alle Kontinuität und Zuversicht. Ich sehe es klar als meine Aufgabe an, dieses Arbeitsumfeld zu schaffen.

Für was steht Rowohlt in Ihren Augen?

Bartl: Für Literatur mit einem besonderen Schwerpunkt auf zeitgenössische und US-amerikanische Literatur. Für ein profiliertes Sachbuchprogramm. Für populäre Unterhaltungsstoffe. Zudem haben wir mit Rotfuchs ein attraktives Segment für Kinder- und Jugendbücher. Das möchte ich weiter ausbauen. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, Kinder auch außerhalb der Schule für das Lesen zu begeistern.

Vor einem Jahr schrieb der „Spiegel“, mit Ihrer Personalie drohe Rowohlt und dem Verlagseigner Holtzbrinck die „Randomhousesierung“. Was sagen Sie dazu?

Bartl: Ich habe mich damals durchaus etwas gewundert. In meiner Laufbahn habe ich mich grundsätzlich darum bemüht, die bestmöglichen Stoffe zu entdecken und Autorinnen und Autoren eine Heimat zu geben. Das gleiche Ziel haben auch meine Verleger-Kolleginnen und -Kollegen bei Penguin Random House. Sie sind allesamt leidenschaftliche Programmmachende. Da geht es nicht allein um kommerziell oder nicht kommerziell bei der Auswahl. Als Verlegerin muss man zwar auch aus Überzeugung Dinge tun, die wirtschaftlich nicht erfolgreich sind, gleichzeitig aber das Ziel haben, insgesamt wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Gutes Wirtschaften steht keineswegs im Widerspruch zu guten Inhalten.

Müssen sich Schreibende in der Nische also keine Sorgen machen, auch wenn Sie als publikumszugewandte, auf kommerziell erfolgreiche Bücher spezialisierte Verlagsmanagerin gelten?

Bartl: So ist es. Wir alle wollen besondere Bücher machen. Aber dafür müssen wir, ich erlaube mir einmal diese Formulierung, die gesamte Management-Klaviatur einsetzen. Nur wer erfolgreiche Bücher verlegt, kann auch die weniger gut verkäuflichen ins Programm aufnehmen. Eine Herausforderung für die Zukunft wird es übrigens sein, die Leserinnen und Leser von anspruchsvoller Literatur tatsächlich zu erreichen. In der Unterhaltung fällt das anhand klarer Genres etwas leichter als in der Literatur. Bei der anspruchsvollen Literatur stehen wir vor einem Generationswechsel. Wo holen wir neue Leserinnen und Leser ab, wo und wie sprechen wir sie gezielt an? Wir müssen die Aufmerksamkeit derer gewinnen, die auch viele andere Medien- und Freizeitangebote nutzen, die auch Netflix schauen, aber nach der 18. Serie auch genug Ablenkung hatten, klar machen: Das ist das Buch, das ihr lesen wollt. Diese Vermittlung funktioniert noch immer sehr gut über Lesungen oder das Feuilleton, aber zunehmend eben auch über Leseransprache in Communities, auf Youtube und in den Sozialen Netzwerken. Letztlich hängt Erfolg davon ab, dass die Bücher sichtbar sind, und so wird das richtige Marketing zunehmend differenzierter und digitaler.

Manche in der Branche sagen, bei Rowohlt, einem der größten deutschen Verlage, müsse man viel falsch machen, um wirtschaftlich total zu scheitern, zu groß sei der Stamm mit Bestsellerautoren.

Bartl: Trotz starker Hausautorinnen und -autoren können wir uns nie auf unseren Lorbeeren ausruhen. Eine Garantie für einen dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg gibt es nicht. Man muss bei jedem einzelnen Buch bei Null anfangen und darauf zielen, die Leserinnen und Leser zu begeistern. Ohne verlegerisches Können und ohne ein gewisses Maß an Fortune geht es sonst schnell in die falsche Richtung.

Es gibt derzeit wesentlich mehr Frauen an den Spitzen namhafter Verlage – Siv Bublitz bei Fischer, Barbara Laugwitz bei dtv, Felicitas von Lovenberg bei Piper – als früher. Der Generationswechsel – siehe auch Kerstin Gleba, die bei Kiepenheuer & Witsch in Köln auf Helge Malchow folgte – war oft auch ein Geschlechterwechsel. Ist die Verlagsbranche ein vergleichsweise guter Ort für weibliche Spitzenkräfte?

Bartl: Das ist so. Und diese Entwicklung ist längst überfällig.

Was muss noch besser werden etwa im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Bartl: Wir sehen jetzt in der Corona-Gegenwart, wie flexibel Arbeit durch die Digitalisierung gestaltet werden kann. Viele Menschen, nicht nur bei Rowohlt, arbeiten jetzt praktisch seit einem Jahr zu Hause. Um Karrieremöglichkeiten zu haben, muss man nicht mehr mindestens von neun bis 17 Uhr anwesend sein. Das müssen wir auch in der Nach-Pandemie-Zeit beibehalten. Und natürlich dürfen weder Frauen noch Männer beruflich ausgebremst werden, weil sie Kinder haben.

Wird es ein Corona-Loch in der Rowohlt-Kasse geben?

Bartl: Wir stehen insgesamt gut da. Trotzdem gab es wegen des erneuten Shutdown in den letzten Tagen vor Weihnachten eine kleine Delle. Wir wissen natürlich auch in unserer Branche nicht, wie es die nächsten Monate weiter geht. Das ist beunruhigend, aber mit Blick auf die noch schwierigere Situation bei anderen kulturellen Einrichtungen wie Theatern und Konzerthäusern wollen wir uns nicht beklagen. Der Buchhandel schlägt sich trotz Lockdown wacker und ist erfindungsreich. Dennoch ist es derzeit schwieriger, unbekannte Autorinnen und Autoren zu etablieren. Es ist keine gute Zeit für Debüts, wenn es keinen Kontakt zu den Leserinnen und Lesern, wenn es keine Öffentlichkeit gibt.

Sollen etwa Museen und Literaturhäuser – auch dort sind Abstandsregeln trotz eng bemessenem Raum, aber auch nicht allzu großen Veranstaltungen vergleichsweise gut umsetzbar – schnell wieder öffnen?

Bartl: Würde ich mir natürlich privat und beruflich wünschen. Es ist aber eine schwierige und kräftezehrende Diskussion, und ich maße mir kein Urteil an. Sollen die einen dies dürfen, die anderen jenes aber nicht? Ich akzeptiere wie die meisten das, was die Politik zusammen mit den Expertinnen und Experten entscheidet. Wir alle müssen da durch. Lockerungen wird es meiner Meinung nach geben müssen, wir können nicht bis Mai so weitermachen wie derzeit. Wichtig ist dann, dass die Lockerungen nachvollziehbar sind und die Kultur nicht hintanstehen muss.

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Ihr Start bei Rowohlt war Pandemie-bedingt undankbar. Auch die Kulturveranstaltungslandschaft lag überwiegend brach. Wie gut kennen Sie Stadt und Kulturszene schon?

Bartl: Nicht so gut, wie ich sie gerne kennen möchte, das muss ich ganz klar sagen. Ich finde das ausgesprochen bedauerlich. Ich nehme mir jedes Wochenende einen Stadtteil vor und versuche, diesen zu Fuß zu erkunden. Wobei ich Hamburg natürlich auch von früher her ein wenig kenne. Es kann auch manchmal reizvoll sein, dass sich die Stadt bei diesen Erkundungen leerer zeigt als sonst. Aber klar: Was das kulturelle Eintauchen angeht, hoffe ich wie alle anderen sehr auf dieses Jahr, das irgendwann anders werden muss als das letzte.

Wie präsent wollen Sie im Stadtleben sein? Wie definieren Sie die öffentliche Rolle des Verlegers, der Verlegerin?

Bartl: Auf jeden Fall will ich bei literarischen und kulturellen Ereignissen präsent sein, in Hamburg und anderswo, zum Beispiel bei den Buchmessen. Das Zusammentreffen im Literaturbetrieb hat mich immer mit Glück erfüllt. Ich möchte unsere Autorinnen und Autoren besser kennenlernen, die Telefonkontakte reichen auf die Dauer nicht. Aber jede Woche Interviews geben will ich eher nicht, dafür bin ich vielleicht zu schüchtern (lacht).

Vor Hamburg waren Sie in Köln und München. Kann Hamburg, oft als kulturferne Stadt der Pfeffersäcke verschrien, den ersten wenn auch spärlichen Eindrücken nach mit diesen Kulturmetropolen mithalten?

Bartl: Hamburg hat eine lebendige Kulturszene mit Menschen, die die Stadt kulturell immer weiter stärken wollen. Außerdem ist Hamburg wirklich die schönste Stadt Deutschlands, auch deswegen habe ich mich über die Möglichkeit gefreut, zu Rowohlt gehen zu können. Ich mag das Wasser lieber als die Berge, da hat es München bei aller Attraktivität immer etwas schwerer gehabt.