Hamburg. Der NDR hat den Auftritt des Weltstars 1959 in der Musikhalle online gestellt – und es gibt noch mehr zu entdecken.

Maria Callas, die „Göttliche“, in Hamburg: Die Nachricht elektrisierte im Mai 1959 die ganze Stadt. Schon Wochen vorher waren sämtliche Karten für das Konzert in der Musikhalle ausverkauft, Schwarzhändler verlangten bisweilen das Hundertfache des aufgedruckten Preises.

Von „Callas-Fieber am Karl-Muck-Platz“, heute Johannes-Brahms-Platz, berichtete das Abendblatt damals, von „Tausenden von Zaungästen“, die zwar kein Ticket ergattert hatten, aber zumindest einen kurzen Blick auf den Weltstar werfen wollten. Dass „La Divina“ das Gebäude durch einen Seiteneingang betrat – Pech für Schaulustige und Autogrammjäger.

Grandiose Sängerdarstellerin

Was sich danach auf der Bühne der Musikhalle abspielte, zeigt der 90-minütige Mitschnitt, der jetzt (kostenfrei) auf dem YouTube-Kanal des NDR Elbphilharmonie Orchesters (NDR.de/eo und youtube.com/ndrklassik) zu sehen ist. Maria Callas, die im Hotel Atlantic logierte und natürlich in Hamburg ihren schwarzen Pudel Toy dabeihatte, sang, begleitet vom NDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Nicolo Rescigno, insgesamt fünf Arien – aus „La Vestale“ (Spontini), „Macbeth“ (Verdi), „Il Barbiere di Siviglia“ (Rossini), „Don Carlos“ (Verdi) und „La Pirata“ (Bellini).

Wer die Schwarz-Weiß-Aufnahmen heute ansieht, erlebt eine grandiose Sängerdarstellerin, die auch beim aufbrandenden Applaus nach jeder Arie wie entrückt wirkt. Die kleinen, geradezu zarten Gesten, mit denen sie sich an Publikum wie Musiker wendet, unterstreichen den Eindruck noch. Von „südländischer Begeisterung“ ihrer Fans, zu denen an diesem denkwürdigen Abend des 15. Mai auch Zarah Leander und Bürgermeister Max Brauer gehörten, war im Abendblatt die Rede, von einem „Blitzlichtfeuerwerk, Trampeln und Bravo-Rufen“.

Nach dem Konzert wurde im Hotel Atlantic gefeiert

Zu sehen ist, dass die Callas die Blumenbouquets, die ihr nach der letzten Arie überreicht wurden, kaum tragen kann, der Abendblatt-Kritiker beobachtete gar, dass Besucher die Blumendekoration
der Bühne plünderten, um der Sängerin die Blüten zuzuwerfen. Einen solchen Applaus habe sie bisher selbst in Italien nicht erlebt, wird der überwältigte Star zitiert, der erst nach halbstündigen Standing Ovations und bestürmt von Autogrammjägern zurück ins Atlantic fahren konnte, um den Triumph im kleinen Kreis zu feiern.

So berichtete das Hamburger Abendblatt im Mai 1959.
So berichtete das Hamburger Abendblatt im Mai 1959. © HA Werbemittel

Auch wenn Maria Callas 1962 noch einmal in die Musikhalle zurückkehrte und 1973 im CCH sang, zur Legende geworden ist ihr erster Hamburg-Besuch 1959, bei dem manches so war, wie es auch heute noch bei hochpreisigen Konzerten bisweilen ist: „Im zweiten Rang drängten sich auf den billigen Plätzen [...] die wirklichen Kunst­enthusiasten. Musikstudenten, die sich das Geld für die Karte wacker abgerungen hatten“, so das Abendblatt.

Zahlreiche Videoschnitte

Der NDR hat dieses Konzert aus Anlass der 75. Jubiläums seines Sinfonie­orchesters online gestellt, und das Heben von Archivschätzen geht weiter: Demnächst – der genaue Termin steht noch nicht fest – soll auch das 62er-Callas-Konzert frei zugänglich gemacht werden. Damals war die Stimme nach Ansicht einflussreicher Kritiker zwar nicht mehr über jeden Zweifel erhaben, doch schrieb etwa Joachim Kaiser über das Münchner Konzert: „Keine Sängerin versteht es wie sie, sich zum durchglühten Objekt eines Gefühls zu machen. Es ehrt die Welt, dass sie sich davor verbeugt und nicht nur nach Perfektion fragt.“ Da steigt die Vorfreude auf die anstehende NDR-Veröffentlichung.

Was bereits jetzt vorliegt, sind zahlreiche Videoschnitte von Auftritten des langjährigen NDR-Chefdirigenten Günter Wand (1912–2002), der schon zu Lebzeiten eine Legende war und vor allem in seinen späten Jahren geradezu kultische Verehrung erfuhr. Unvergessen etwa seine Bruckner-Dirigate beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Die sind zwar einst auf DVD erschienen, inzwischen aber entweder komplett vergriffen oder antiquarisch nur zu Preisen zwischen 20 und 50 Euro (pro Sinfonie!) zu bekommen.

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Da ist der YouTube-Kanal des Orchesters dann doch der Weg der Wahl – zumal es hier zusätzlich interessante Probeneinblicke gibt. Dass allein Wands Deutung von Anton Bruckners 8. Sinfonie auch ohne große Werbung für diesen Kanal bereits mehr als 53.000-mal angesehen wurde, ist ein klares Indiz für die enorme Qualität der versammelten Aufnahmen. Ein Fest auch für alle Fans, die einst regelmäßig im zweiten Rang der Musikhalle (so hieß sie damals noch) mit billigsten Karten (sichtbehindert!) das komplette Konzert lang an einem der Pfeiler standen und sich von den magischen Klängen davontragen ließen.

Der Maria-Callas-Auftritt dürfte momentan zwar das größte Interesse auf sich ziehen, aber es gibt noch viel mehr zu entdecken.

Die Videos: abrufbar unter NDR.de/eo und youtube.com/ndrklassik