Hamburg. Die Corona-Krise trifft auch Hamburger Indie-Labels hart. Sie verkaufen weniger Alben, hoffen aber auf einen Neustart ab Herbst.

Was machen Musikfans, die nicht auf Konzerte gehen können? Mehr Platten kaufen, Songs streamen. Was soll man auch sonst tun. Aber spüren das auch Hamburgs große und kleine Independent-Plattenfirmen? Wie kommen sie durch die Krise und ist der Himmel für sie grau mit einem Regenbogen am Horizont, worauf die im Dezember vom Kettcar-Label Grand Hotel van Cleef im Fanshop vorgestellte „rainbow gray“-Seife anspielte?

Lockdowns und Konzertverbote wirken sich auch auf Plattenverkäufe aus

Viel einfacher als für Clubs und Musikschaffende ist die Lage auch für Hamburgs Plattenfirmen nicht, den Alltag bestimmen „Kurzarbeit, Homeoffice, Umsatzeinbußen“, wie GHvC-Bookerin Alina Wefringhaus schreibt. Denn für Label wie Grand Hotel van Cleef, Tapete Records, Audiolith oder Buback ist das Konzert-Booking und das Tournee-Geschäft in vielen Fällen noch wichtiger als der Umsatz mit den Tonträgern der unter Vertrag stehenden Bands: „Der Umsatz unserer kleinen Firma besteht ungefähr zu 80 Prozent aus den Einnahmen des Live-Geschäfts“, schreibt Buback-Mitgeschäftsführer Thorsten Seif.

Und Lockdowns und Konzertverbote wirken sich auch auf Tonträger-Verkäufe aus, wie Gunther Buskies (Tapete) und Carsten Friedrichs (Bureau B) erklären: „Allein der Wegfall der Konzerte zieht einen Rattenschwanz nach sich. Bands können sich und ihre Musik nicht vorstellen, bekommen natürlich auch keine Gagen, haben keine GEMA-Einnahmen, keine Presse und können auf Tour keine Alben und Fanartikel verkaufen. Das ist für alle Beteiligten katastrophal. Schlimm war und ist es natürlich auch, dass in den diversen Lockdowns weltweit auch die Plattenläden geschlossen sind. Unsere Platten werden nämlich sehr gerne im Laden und weniger bei den großen Onlinehändlern gekauft.“

Steigende Streamingzahlen können Verluste nicht ausgleichen

Die Einbußen durch die stillgelegte Veranstaltungsbranche treffen auch die Labels. Steigende Streamingzahlen können das nicht ansatzweise ausgleichen, auch nicht bei einem sehr kleinen, aber besonders in Skandinavien und Nordamerika gut vernetzen Label wie DevilDuck.

Das generiert laut Betreiber Jörg Tresp zwar einen großen Teil des Umsatzes aus Streams, aber „das liegt sicher auch daran, dass unsere Struktur recht überschaubar und auf Bonsai-Format ist.“ Der Kreislauf aus der Verpflichtung von talentierten Newcomern, die durch Konzerte bekannter werden und dann zu größeren Labels wechseln wie einst Friska Viljor oder Miss Li ist unterbrochen und bleibt es vielleicht auf lange Sicht: „Neue Künstler haben es derzeit natürlich doppelt schwer. Selbst wenn Konzerte ab Herbst einigermaßen normal stattfinden würden, sind die Veranstalter sicher nicht an Newcomern interessiert, sondern buchen erst mal Künstler, die eine bestimmte Zahl an Tickets garantieren“, fürchtet Jörg Tresp.

Auch Alina Welfringhaus sieht noch keine absehbare Rückkehr zur Normalität: „Sicherlich werden wir es sehr zu schätzen wissen, eines Tages wieder ,normal’ arbeiten und planen zu können, komplette Normalität wird aber sicher noch lange auf sich warten lassen. Bei der fehlenden Planungssicherheit der letzten zehn Monate rattern die kreativen Räder in unseren Köpfen jetzt umso mehr, ganz einfach, weil sie es müssen. Das wollen wir auf alle Fälle beibehalten.“

Die Summe der kleinen Gewinne wird in neue Projekte investiert

Finanzielle Engpässe sind im Tagesgeschäft von Independent-Labels schon vor der Corona-Krise Teil der Unternehmenskultur gewesen. Wer Kreativität und aufregende neue Musik sucht und fördert, kann und will nicht auf Nummer sicher gehen, sondern hat anderes als die Charts im Blick.

Die Summe der kleinen Gewinne wird in neue Projekte investiert: viel Excel, wenig Rock’n’Roll. „Es ist ja schon so schwierig genug mit großartiger Musik genug Geld zu verdienen, um die Miete zu bezahlen, da hat so was wie Corona gerade noch gefehlt“, schreiben Buskies und Friedrichs. Es ist das große Ganze, die komplette Musikszene nicht nur an der Elbe, um die man nicht nur bei Tapete und Bureau B fürchtet.

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Schließlich gehören Bands, Labels, Clubs, Konzertagenturen, Technik, Trucks zusammen wie Gitarre, Kabel und Verstärker. Nur zusammen klingt es fett. Jeder kennt jeden, alle werden gebraucht im Mikrokosmos Musik - vor, hinter und neben den Bühnen und Büros. „Wir machen uns nicht nur Sorgen um uns, sondern genauso um diese Menschen, die es zum Teil noch härter trifft. Das nagt an einem“. Auch Thorsten Seif schaut weit über das Buback-Label hinaus und blickt auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge: „Wie schaffen die sozial Benachteiligten, die kleinen Firmen ohne Rücklagen, die einsamen Menschen das alles? Das ist emotional sehr aufwühlend.“

Alle hoffen, dass ein Neustart Erfolg haben wird

Vor diesem Hintergrund fällt der Ausblick auf die Zukunft, auf einen vielleicht wieder lauten Herbst, bei Tapete und Bureau B verhalten aus: „Das Risiko ist natürlich, dass den tollen Clubs die Luft ausgeht und sie schließen müssen. Die trifft es ja wirklich am härtesten. Und wenn in einer Stadt die Lichter in den Clubs ausgehen, werden über kurz oder lang die Gitarren, die Mikros und die Drumcomputer an den Nagel gehängt, und dann wird es richtig öde.

Eine Chance sehen wir darin, dass die Politik sieht, wie wichtig Musik für die Stadt ist. Als Wirtschaftsfaktor aber auch für das Wohlbefinden der Menschen. Das scheint die Stadt Hamburg immerhin im Ansatz erkannt zu haben.“ Auch bei Buback, GHvC und DevilDuck ist die Hoffnung da, dass das Zusammenrücken der Musikszene und die von vielen Seiten gezeigte Solidarität und Loyalität den schwierigen Neustart einfacher macht.

Hamburgs Indie-Plattenfirmen bringen neue Musik raus

Bis dahin erfüllen Hamburgs Indie-Plattenfirmen weiterhin den Wunsch nach neuer Musik. Grand Hotel van Cleef bereitet derzeit mit Chaoze One die erste Hip-Hop-Veröffentlichung in der langen Labelhistorie vor. Bei Tapete und Bureau B erscheinen demnächst neue Alben von The Telescopes (5.2.), Camera (19.2.), Mapstation (26.2.), PeterLicht (5.3.) und Ja Panik (30.4.). DevilDuck veröffentlicht Ende Januar das neue Live-Album von The Dead South sowie im April neue Songs von Barbarisms und im Mai das Debüt der Hamburger Scotch & Water.

Buback bringt im Frühjahr Alben von Main Concept und Sookee heraus sowie eine Kollaboration von Techno-Meister DJ und Künstler Jonathan Meese: „Meese als genialer Sprachperformer spricht, rappt und singt über Beats von DJ Hell, mit zeitweiser Unterstützung seiner Mama“, freut sich Thorsten Seif und zitiert Jonathan Meeses Leitmotiv, das trotz der gegenwärtigen Krise nie aus den Augen verloren werden darf: „Kunst ist Chef“.

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