Hamburg. Nach dem Ausnahmefestival 2020 sind Intendant Christian Kuhnt und sein Team auch 2021 auf mehrere Szenarien vorbereitet.
Vergangenen Frühsommer, als die Kulturszene von einer bis dahin für unvorstellbar gehaltenen Absage nach der anderen erschüttert wurde, beschlossen Intendant Christian Kuhnt und sein Team vom Schleswig-Holstein Musik Festival, dranzubleiben. Statt das gesamte Programm zu streichen, planten sie von Tag zu Tag. Machten Präsenzkonzerte möglich, wo es ging, probierten neue kleine Formate aus, veranstalteten viel an der frischen Luft und manches rein Digitale. Gut ein halbes Jahr wäre nun normalerweise Zeit, nach vorn zu blicken.
Hamburger Abendblatt: Traditionell steht bei Ihnen Anfang des Jahres die Programmvorstellung für den kommenden Sommer an. Und 2021?
Christian Kuhnt: Unsere Programmvorstellung ist am 25. Februar.
Also business as usual?
Kuhnt: Ganz und gar nicht. Wir haben ein Ausnahmejahr zu verarbeiten. 2020 war eine besondere Herausforderung für die Psyche. Wir waren ja alle nicht vorbereitet. Wir entschieden uns gegen eine Komplettabsage, bei allen Unsicherheiten. Dabei haben wir viel gelernt und auch Mut gefasst. 2021 werden wir wieder Gas geben.
Der Blick in die berühmte Glaskugel ist nichts dagegen, jetzt ein Programm zu machen. Es könnte ein Impfwunder geschehen und uns eine Art Normalität bescheren, andererseits sind wir im schärfsten Lockdown seit Beginn der Pandemie. Planen Sie für mehrere Szenarien?
Kuhnt: Niemand weiß, wie die Einschränkungen aussehen werden, welche Hygienevorschriften gelten werden. Wir rechnen mit dem, was im vergangenen Sommer erlaubt war. Unser großer Vorteil als Sommerfestival ist, dass vieles draußen sein kann. Etwa zwei Drittel soll unter freiem Himmel stattfinden.
Also legen Sie die Programme fest und nehmen die Besucherzahl als Stellschraube?
Kuhnt: Bei der Programmplanung arbeiten wir mit unseren Erfahrungen aus dem letzten Jahr. Damals durften wir 500 Gäste willkommen heißen und konnten zeigen, dass von Konzertbesuchen keine Gefahr ausgeht. Dass man Hygieneabstände einhalten kann, ohne sich im Raum verloren zu fühlen. Damit haben wir uns das Vertrauen des Publikums, aber auch der Politik erworben. Wir können noch nicht abschließend beurteilen, wie viele Leute wir nun in diesem Sommer empfangen dürfen.
Und wenn sich plötzlich Lockerungen ergäben…
Kuhnt: …würden wir mehr Leute reinlassen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, mit den Regelungen umzugehen. Ich habe mir genau angesehen, wie die Salzburger Festspiele mit dem Schachbrettmuster gearbeitet haben. Sobald man die Kapazitäten erweitern kann, tun wir das. Sowohl drinnen als auch draußen. Draußen ist das natürlich einfacher, weil wir das selbst gestalten können. Es ist ein schöner Nebeneffekt unserer Arbeit, dass wir immer wieder Tipps für neue Spielstätten bekommen, seit vergangenem Sommer insbesondere Tipps für Open- Air-Spielstätten. In Elmshorn, wo wir normalerweise in der Reithalle sind, gehen wir nun auf die Trabrennbahn. Das ist ein riesiges Gelände. Wichtig dabei sind immer die Zuwegungen – die gewährleisten, dass etwa keine Schlangen vor den Toiletten entstehen.
Die Komponisten-Retrospektive widmen Sie in diesem Jahr Franz Schubert, dessen Tonsprache oft sehr intim ist. Einen Liederabend kann ich mir auf einer Rennbahn eher nicht vorstellen.
Kuhnt: Es gibt Genres, die nicht nach draußen passen, wie Sinfoniekonzerte oder Kammermusikabende. Deshalb planen wir natürlich auch Veranstaltungen in klassischen Konzertsälen oder Hallen, obwohl das schwieriger ist.
Wie bekommen Sie denn den Ur-Wiener Schubert nach Norddeutschland?
Kuhnt: Wir haben lange gerungen: Wann rücken wir endlich Schubert ins Zentrum unseres Festivals? Der Norddeutschlandbezug ist uns sehr wichtig. Wir möchten Unbekanntes zutage fördern, selbst wenn das manchmal ein bisschen um die Ecke gedacht ist. Schubert war nie hier, das ist klar. Aber immerhin sind drei seiner Textautoren im Norden geboren: Matthias Claudius hat das „Abendlied“ und „Tod und das Mädchen“ gedichtet, von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg stammt „Auf den Wassern zu singen“, Georg Philipp Schmidt von Lübeck hat den „Wanderer“ geschrieben. So haben Bad Bramstedt, Lübeck und Reinfeld plötzlich einen Bezug zu Franz Schubert.
Wie funktioniert der Vorverkauf?
Kuhnt: Der läuft seit letztem Jahr verstärkt über die Website. Das sind Dinge, die sich verändern. Für die Rückverfolgbarkeit ist es sinnvoll, die Karten online zu kaufen.
Sie haben im vergangenen Sommer mit Mut zur Improvisation gerettet, was zu retten war. Wie sind Sie aus Ihrem Veranstaltungsmix finanziell herausgekommen?
Kuhnt: Hier zählen verschiedene Faktoren. Wir waren überwältigt von der Solidarität unseres Publikums. Was über den Verzicht auf Erstattung zusammengekommen ist, ist deutlich mehr, als wir erwartet haben. Auch die Sponsoren sind uns treu geblieben. Mit Spenden in dieser Größenordnung haben wir nicht gerechnet. Wir haben ungefähr ein Fünftel von dem ausgegeben, was geplant war. Außerdem hatten wir in den vorigen Jahren Rücklagen für eine Ausnahmesituation erwirtschaftet. Die ist nun eingetreten.
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Gerade haben die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern eine Pressemeldung herausgegeben, der private Rettungsschirm sei erfolgreich gewesen. Klingt wie: nochmal davongekommen. Wie oft können Sie sich ein Verlustgeschäft leisten?
Kuhnt: Es muss in der Form eine Ausnahme bleiben. Wir sind mit dem Land und dem Bund im Gespräch. Sonst haben wir eine Eigenfinanzierungsquote von 90 Prozent. Wenn wir die nicht erreichen, müssen wir alternative Einnahmen generieren. Und inhaltlich steht fest: Das Digitale ist eine wertvolle Ergänzung, aber es kann kein Substitut sein. Ein Liveerlebnis hat einen unmittelbaren Wert, der durch nichts zu ersetzen ist.
Das Festival
- Unter dem Motto „Sommer der Möglichkeiten“ fand vergangenes Jahr ein eingedampftes Schleswig-Holstein Musik Festival statt. Mit Erfolg: 96 Prozent der Karten wurden verkauft, 21.000 Besucher und rund 400 Künstler kamen. Das SHMF 2021 soll vom 3.7. bis 29.8. stattfinden. Der promovierte Musikwissenschaftler Christian Kuhnt (53) leitet das Festival seit 2013.
Wie geht es Ihnen mit diesen Anstrengungen?
Kuhnt: Man wächst mit seinen Aufgaben. Aber ich komme durch Corona persönlich an meine Grenzen. Ich bin ein kommunikativer Mensch. Unsere Gesellschaft steuert auf eine große Depression zu, wenn dieser Zustand noch lange anhält. Es ist gut, dass wir auch vernunftbegabt sind und um unsere Verantwortung wissen. Dank des Impfstoffes haben wir die Hoffnung, dass wir nur einmal noch die Zähne zusammenbeißen müssen. So oder so, 2021 wird uns ein freudvolles, vollgültiges SHMF bringen.