Wolfgang Schorlau überfrachtet seinen neuen Roman „Kreuzberg Blues“ – dabei ist der erste Teil richtig gut.

Denglers zehnter Fall. Ein Jubiläum also für die Reihe des Stuttgarter Kriminalautors Wolfgang Schorlau, dessen Romane stets mehr waren als bloße Spannungslektüre: Schorlau ist ein politischer Schreiber, seine Themen haben gesellschaftliche Relevanz, oft politische Brisanz, er rührt an den Traumata der deutschen Geschichte und lässt hier und da die Demokratie vernehmbar ächzen.

In „Die blaue Liste“, dem Debüt des früheren BKA-Zielfahnders, spielten Wendezeit und Treuhand entscheidende Rollen, in der Folge musste Georg Dengler sich mit Massentierhaltung und dem Leiharbeitergeschäft ebenso beschäftigen wie mit der Pharmaindustrie oder dem Widerstand gegen „Stuttgart 21“. Immer wieder schickt Schorlau seinen Privatermittler ins Fadenkreuz von Macht und Wirtschaftsinteressen.

Wolfgang Schorlau schreibt neuen Krimi: Corona kam dazwischen

Näher an der Gegenwart als im erst vor wenigen Tagen erschienenen Fall „Kreuzberg Blues“ war er indes noch nie. Den sollte der Autor eigentlich an diesem Wochenende beim Hamburger Krimifestival vorstellen – Corona kam dazwischen. Ähnlich wie schon beim Schreiben des Buches: Eigentlich geraten Dengler und seine smarte Freundin Olga mitten in den Häuserkampf von Berlin. Globale Immobilieninteressen, Entmietungsterror und organisiertes Verbrechen, Autonome „der alten Schule“ und Finanzindustrie, Gewalt gegen Frauen, der Aufstieg der AfD und geheimbündlerische Interessen innerhalb deutscher Sicherheitsbehörden – reichlich Stoff.

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Aber offenbar nicht genug: Schorlau arbeitete schon am Manuskript, als weltweit die Corona-Pandemie losbrach. Er integrierte das Virus-Geschehen in die Geschichte, gewissermaßen in Echtzeit. Diesen Wandel, so schreibt es Schorlau selbstkritisch im Nachwort, merkt man dem Buch an. Und gut tut der Kniff ihm eher nicht, auch wenn die Wendung an mancher Stelle verblüffend zur Geschichte passt. Denn eigentlich ist das ja eine der Stärken dieses gut recherchierenden Schriftstellers: dass er offenbart, wie permanent alles mit allem zusammenhängt. Die Welt ist komplex – trotzdem oder gerade deshalb hätte die Handlung, vor allem im hinteren Teil, mehr Distanz zum Geschehen vertragen.

Wolfgang Schorlaus neuer Kriminalroman „Kreuzberg Blues“ – es ist der zehnte Fall seines Ermittlers Dengler.
Wolfgang Schorlaus neuer Kriminalroman „Kreuzberg Blues“ – es ist der zehnte Fall seines Ermittlers Dengler. © Kiepenheuer & Witsch

Thema Corona: Einiges wirkt zu gewollt

Wie Schorlau das strategische Heranwanzen der extremen Rechten an die weltanschaulich bislang ganz anders eingeordneten Impfgegner beschreibt, ist dennoch bemerkenswert. Auch die hochspannende Ausgangsstory um Kreuzberger Mieter, die mit üblen Methoden zum Auszug gezwungen werden, und die unrühmliche Rolle der Hauptstadt in einer verflochtenen Gemengelage hinterlässt beim Lesen bittere Ohnmacht.

Der Corona-Einbruch aber und das Abgleiten eines engen Dengler-Freundes in die Leugner-Szene wirkt gewollt, fast hektisch, stichpunktartig, mehr beschreibend als durchdrungen. Schade. Das Material hätte für zwei Bände gereicht.