Hamburg. Den Psychothriller „Cortex“ hat der Hamburger geschrieben, inszeniert, produziert, und er spielt die Hauptrolle.
Moritz Bleibtreu geht ans Eingemachte. „Cortex“ nennt er seinen Psychothriller nach dem lateinischen Fachbegriff für Großhirnrinde. Es geht um die verschlungenen Wege zwischen Traum und Realität. Fast zehn Jahre hat der Hamburger Schauspieler an seinem Regiedebüt gefeilt. Nun hat der 49-Jährige Blut geleckt und will auf jeden Fall vor und hinter der Kamera weitermachen.
Hamburger Abendblatt: Wir haben uns in den vergangenen Jahren häufiger darüber unterhalten, dass Sie gern mal Regie führen würden. Ging es dabei immer um diesen Film?
Moritz Bleibtreu: Jetzt habe ich es doch noch gemacht. Ich habe aber immer an mehreren Sachen gleichzeitig geschrieben, natürlich auch weiterhin als Schauspieler gearbeitet und dabei gemerkt: Wenn ich schreibe, kann ich nicht so gut gleichzeitig spielen. Wenn man als junger Filmemacher zum ersten Mal Regie führt, knallt man wahrscheinlich alles, was man in seinem jungen Leben aufgesogen hat, in den ersten Film hinein. Ich musste mir die Frage beantworten: Was will ich wirklich erzählen? Dabei habe ich mich immer mehr in „Cortex“ verbissen.
Es geht in Ihrem Film um das Klarträumen, also eine Schlafform, in der man die Handlung aktiv steuern kann. Haben Sie damit eigene Erfahrungen?
Bleibtreu: Nein, obwohl ich mich damit viel auseinandergesetzt habe. Für mich als Geschichtenerzähler ist das Thema faszinierend. Wir machen die Augen zu, der Vorhang geht auf, und wir haben unser eigenes Kino. Man kann das schulen und ein Traumtagebuch führen, denn normalerweise ist ein Traum zehn Sekunden nach dem Aufwachen weg. Fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es darüber eigentlich gar nicht.
Wie viele Filmzitate haben Sie eingebaut?
Bleibtreu: Bewusst ein paar, unterbewusst wahrscheinlich einige mehr. Der Film ist natürlich auch eine Hommage an eine bestimmte Art von Kino. Ich habe einmal Christopher Nolan zitiert, denn sein Film „Memento“ war für mich eine Erfahrung, die das Schreiben für den Film noch mal in ein neues Licht gerückt hat. Vorher kannte ich so komplexe Erzählsituationen eigentlich nur aus der Literatur. Als ich das damals gesehen habe, dachte ich: So etwas würde ich gern mal machen. Nolan ist für mich ein ganz besonderer Filmemacher. Ich habe mir natürlich auch seinen „Tenet“ angesehen und die eine oder andere Parallele entdeckt. Es hat mich gefreut, dass die Zuschauer darauf positiv reagieren. Man wird dabei aufgefordert, aktiv mitzumachen. Es gibt Leute, die glauben, ein Film müsse sich aus sich selbst erklären. Zu denen gehöre ich aber nicht. Ich mag es, wenn ein Film mich auf eine falsche Fährte führt. Es war schön zu sehen, dass Nolan das immer noch in Perfektion macht.
Hatten Sie keine Sorge, dass man Zuschauer bei so einer verschlungenen Handlung auch verlieren kann?
Bleibtreu: Klar. Natürlich versuche ich meine Zuschauer nicht aus dem Auge zu verlieren, was den Respekt angeht. Ich will sie auch nicht mit Kompliziertheit oder Ambivalenz schocken. Ich habe einfach nur eine Geschichte gemacht, die ich gern im deutschen Kino sehen würde. Insofern schützt mich das auch vor Kritik. Es kann natürlich sein, dass einige sagen: Das ist mir jetzt ein bisschen zu viel. Aber das geht Christopher Nolan auch so. Mein Anspruch war nicht der, es allen recht zu machen.
Der Film überzeugt optisch. Stand das schon so im Drehbuch?
Bleibtreu: Das ist vor allem meinem genialen Kameramann Thomas W. Kiennast zu verdanken. Er hat von Anfang an einen ganz starken visuellen Eindruck vom Film gehabt. Uns war schon bei der Vorbereitung klar, dass wir nicht mit einem Pseudorealismus arbeiten wollten. Das Drama sollte mit Überhöhung, Entfremdung und atmosphärischer Dichte inszeniert werden. Als ich die ersten Entwürfe gesehen habe, dachte ich noch: Das ist jetzt aber nicht wie im echten Leben. Aber am Ende ist es sehr homogen geworden, obwohl der Film stark stilisiert ist. Ich mag Filme, die sich trauen, ein eigenes Universum zu schaffen, und Kunst, wenn sie von mir verlangt, mitzumachen.
Der Film: „Cortex“
- Hagen (gespielt von Bleibtreu) hat Schlafstörungen und kann bald zwischen Traum und Realität nicht mehr unterscheiden. Seine Frau (Nadja Uhl) ist verzweifelt und betrügt ihn mit einem Gangster (Jannis Niewöhner). Danach wird es ein wenig unübersichtlich, denn die Männer werden einander immer ähnlicher.
- „Cortex“ läuft ab morgen im Cinemaxx Dammtor, Studio-Kino, UCI Mundsburg; 96 Minuten, ab 16 Jahre.
Wie ist es, wenn der Regisseur etwas will, was der Schauspieler nicht will?
Bleibtreu: Am besten ist es, wenn man eine Symbiose findet. Was ich als Regisseur gelernt habe, ist, loslassen zu können – wie im Leben. Ich werde wohl immer ein Regisseur sein, der die Dinge nicht auf Teufel komm raus so haben will, wie ich sie mir im stillen Kämmerlein vorgestellt habe. Ich bin jemand, der offen für das ist, was man mir zuträgt. Ich hatte sehr gute Leute, aber ich profitiere auch davon, dass ich seit mehr als 20 Jahren Filme mache. Ich bin ein großer Zweifler und habe immer etwas an mir selbst zu meckern. Trotzdem glaube ich, dass der Film gerade auf zwei Beinen steht.
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Sie haben das Drehbuch geschrieben, den Film inszeniert, produziert und die Hauptrolle gespielt. Welche Erfahrungen haben Sie mit der „Ämterhäufung“ gemacht?
Bleibtreu: Spielen wollte ich gar nicht. Ich habe den Film leider ohne Schauspieler im Kopf geschrieben. Das hat sich gerächt. Als Warner den Film dann machen wollte, habe ich gedacht: Bevor ich jetzt jemand nehme und hinterher denke, das war falsch, werfe ich mir lieber vor, dass ich mich fehlbesetzt habe. Umso mehr habe ich Thomas Kiennast gebraucht, der viel mehr ist als ein Kameramann, er ist ein Allround-Filmemacher. Immer wenn ich vor der Kamera stand, haben wir abgemacht: Du entscheidest. Er hat mindestens genauso viel Regie geführt wie ich.
Eigentlich stimmt die Einblendung „Ein Moritz-Bleibtreu-Film“ also gar nicht?
Bleibtreu: Alle, die mit dabei waren, haben genauso viel beigetragen wie ich.
Der Film spielt in Hamburg, aber warum kann man die Stadt kaum erkennen?
Bleibtreu: Wir erzählen Hamburg nicht, es lässt sich aber sehr gut in ein stilisiertes Universum verwandeln. Ich habe bei der Motivbegehung die Stadt auf eine Art kennengelernt, wie ich sie noch gar nicht kannte. Wir wollten gern einen Film haben, der überall hätte spielen können. Er hat keinen lokalen Fingerabdruck. Mein nächster Film wird dann vielleicht ein richtiger Hamburg-Film.