Hamburg. Das Philharmonische Staatsorchester spielt im Großen Saal aufbrausend und sehnsuchtsvoll. Der Klang überraschte Zuhörer. Die Kritik.

Die Protagonisten der historischen Aufführungspraxis haben ja schon immer den Standpunkt vertreten, Beethovens Sinfonien seien in kleineren Orchesterbesetzungen zu spielen wie zur Zeit des Komponisten. Durch die gegenwärtige Lage sind die großen Orchester wie das Philharmonische Staatsorchester Hamburg nun tatsächlich gezwungen, das auch einmal auszuprobieren.

Im „Sonderkonzert Beethoven“ am Freitagabend in der Elbphilharmonie waren die Streicher der Philharmoniker mit nur sechs Geigen pro Gruppe, fünf Bratschen, vier Celli und drei Bässen besetzt und Klassiker des Konzertprogramms wie die Coriolan-Ouvertüre oder die 2. Sinfonie des Jubilars klangen überraschend anders.

Das lag aber auch an der wegen der Abstandsregeln verordneten kreisförmigen Sitzordnung des Orchesters. Die Bässe standen ganz hinten, davor waren die übrigen Streicher wie gewohnt um den Dirigenten herum gruppiert. Die Holzbläser aber saßen hinter ihrem Chef Kent Nagano mit dem Rücken zum Großteil des Publikums. Das hatte Folgen, denn die Orchesterregister mischten sich anders, als wir es gewohnt sind.

Hervorragend spielende Holzbläser in der Elbphilharmonie

Der berühmten Ouvertüre „Coriolan“ op. 62 zu Heinrich Joseph von Collins Tragödie um den aufständischen römischen Patrizier Coriolanus fehlte es schon ein wenig an Wucht bei den Tuttischlägen zu Beginn, die den aufbegehrenden Charakter des Helden charakterisieren sollen. Nagano und seinem Orchester gelang es aber trotzdem, das Aufbrausende, Trotzige, aber auch Sehnsuchtsvolle in Coriolans Wesen, das Beethoven in vieler Hinsicht ja nahe stand, musikalisch zu entwickeln.

Nagano war dabei gezwungen, sich quasi im Kreise zu drehen, um auch mal Blickkontakt zu seinen hervorragend spielenden Holzbläsern aufzunehmen. Bei all der Transparenz nahm man die lange Bratschen-Passage in in dieser Ouvertüre einmal viel deutlicher wahr als bei einer großen Orchesterbesetzung.

Nagano achtet bis zum Schluss auf die Corona-Regeln

Mit Spannung wurde der Auftritt der südafrikanischen Sopranistin Pretty Yende in Beethovens Szene und Arie „Ah! perfido“ op. 65 erwartet. Beethoven hatte hier einen Text aus dem Opernlibretto Pietro Metastasios vertont, das vom Aufbruch des jungen griechischen Helden Achille in den Krieg und der Enttäuschung seiner Geliebten darüber handelt. Über nervösen Streichertremoli formte die junge Sängerin ihr Flehen um himmlischen Beistand in ergreifenden melodischen Bögen.

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Dann aber kippte die musikalische Stimmung, bittere Vorwürfe wurden vorgetragen. Trotz mitreißender Spitzentöne und Glanz in der Stimme war Yendes Ausdruck bei diesen Ausbrüchen angestauter Aggression doch zu zurückhaltend. Sie selbst war beim Schlussapplaus noch immer ganz ergriffen und wollte Naganos Hand ergreifen, der wegen der Corona-Regeln entschuldigend auswich.

Am Ende dann Beethovens 2. Sinfonie op. 36, bei der die Holzbläser in der langsamen Einleitung hervorragend mit den weit entfernten Blechbläsern rechts außen kooperierten. Es war ein oft federnd leichter Eindruck, den Nagano im Ausbalancieren der Klangregister bei diesem frischen Werk erzielte. Lebendig und dramatisch trotz aller ungewohnten Bedingungen.