Hamburg. Enttäuschung bei der Veranstaltung “Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“: Der Wissenschaftler war nur über Laptop dabei.

Christian Drosten ist nicht da. Und auch wenn man nicht promisüchtig ist, darf man sich verschaukelt vorkommen: Hatte Kampnagel den Virologen doch als Stargast beim Diskursformat „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ angekündigt, und dann schaut der Star nur per Videochat vorbei! Immerhin, noch viel verschaukelter dürften sich die selbsternannten Querdenker vorkommen, die vor der Halle mit Slogans wie „Drosten, der Pfosten!“ gegen die ihrer Meinung nach überzogenen Corona-Schutzmaßnahmen protestieren und für die Drosten ein persönliches Feindbild darstellt. Trotzdem schade.

Der „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ will das Publikum ins Gespräch mit Experten bringen. Bei der vorliegenden siebten Ausgabe werden „Coronäische Zeiten“ verhandelt, „Zustände, Strategien und Körper in der Krise“. Hierzu sind in der großen Kampnagel-Halle insgesamt 28 Zweiertische aufgebaut, an jedem nehmen eine Expertin und ein Zuschauer Platz und diskutieren, während das restliche Publikum über Kopfhörer zuhören kann. Immer genau eine halbe Stunde lang, dann ertönt ein Gong, und neue Paare finden sich zusammen, insgesamt sechsmal an diesem langen Abend. Die Idee ist: ehrliches Interesse zeigen, einander zuhören, ins Gespräch kommen. Und wenn das gut funktioniert, dann steht am Ende eine Erkenntnis.

Gespräch mit Drosten über einen Laptop

An Christian Drostens Platz steht dann eben ein aufgeklappter Laptop, über den der an der Berliner Charité lehrende Virologe kommuniziert. In diesem Fall mit einem extrem gut vorbereiteten Gegenüber: einem Bio- und Geschichtslehrer, der seine Teilnahme augenscheinlich schon länger geplant hatte und mit seinen Schülern einen Fragenkatalog ausgearbeitet hat. Das Gespräch verläuft entsprechend auf hohem Niveau, als Zuhörer kann man sich des Gefühls aber nicht erwehren, dass man es hier mit zwei Experten zu tun hat und man selbst irgendwie das fünfte Rad am Wagen ist. Immerhin, eine Schülerfrage stellt dann die Diskussion vom Kopf auf die Füße: „Wie lange schlafen Sie eigentlich jede Nacht?“, wird der vielbeschäftigte Mediziner gefragt, dann ertönt der Gong, und die nächste Fragerunde beginnt. (Drosten bemüht sich, auf mindestens sechs Stunden Schlaf pro Nacht zu kommen.)

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Plauderei mit dem Kultursenator

Übermäßige Vorbereitung ist also nicht optimal beim „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“. Zu wenig sollte es aber auch nicht sein. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda etwa steht für ein Gespräch über sein Buch „Ausnahme/Zustand“ zur Verfügung, bekennt aber schon zu Beginn leutselig: „Vorbereitet bin ich überhaupt nicht. Das passt aber zur Corona-Situation – auf die war auch niemand vorbereitet.“ Weil jedoch sein Gegenüber auch nicht so recht weiß, was er fragen soll, geraten die Beiden ins Plaudern – und das Publikum hat praktisch keine Erkenntnis.

Medizinstudentin beschreibt Rassismus im Krankenhaus

Gut, dass man den Kanal der Live-Übertragung wechseln kann. Also schaltet man zu Clara Schlaich, einer auf Schifffahrtsmedizin spezialisierten Ärztin, die darüber spricht, wie Seeleute in Corona-Zeiten durch alle Raster fallen (und darüber, dass die Kreuzfahrtbranche nicht so schlecht ist wie ihr Ruf). Und hier wird deutlich, was die eigentliche Qualität der Veranstaltung ausmacht: nicht, dass man Promis zuhören kann, sondern dass echte Menschen aus ihrem Berufsalltag erzählen. Zum Beispiel: wenn der einst aus Afghanistan nach Hamburg geflohene Rafi Barekzai von seiner Ausbildung zum Pflegefachmann erzählt und dabei den Bereich der kultursensiblen Pflege mit echten Erfahrungen verdeutlicht. Oder wenn die ehemalige Schauspielerin und heutige Medizinstudentin Ansiré Sissoko den Rassismus in der Krankenhausrealität beschreibt.

Der „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ ähnelt dem dokumentarischen Theater von Gruppen wie Rimini Protokoll. Auch dort stehen keine Schauspieler sondern Experten auf der Bühne, aber anders als bei Rimini Protokoll gibt es hier keine Künstler-Autorität, die den Abend gestaltet: Die inhaltliche Verantwortung für das Geschehen liegt bei den Zuschauern, die sich auf die Zweiergespräche einlassen. Dass nicht jedes der Gespräch dabei wirklich weiterführt: Sei es drum.

Nicht jedes Gespräch führt zum Ziel

Das Thema „Verschwörungstheorien“ bleibt bei dem Bamberger Psychologen Marius Raab allgemein, die Ex-Sexarbeiterin und Aktivistin Susanne Bleier-Wilp umkreist das Thema „Sexwork“ allzu lange, und als sie endlich den Corona-Bezug hergestellt hat, ertönt schon wieder der Gong. Und vielleicht gehört auch das zum Erkenntnisgewinn: das Wissen, das nicht jedes Gespräch zum Ziel führen wird, dass Erkenntnis keine Maschine ist, die auf Knopfdruck funktioniert.

Ein bisschen läuft der Abend wie eine gelungene Party, bei der einen der Smalltalk durch die Räume ziehen lässt. In der Küche ist es ganz nett, im Wohnzimmer klappt der Kontakt irgendwie nicht, aber auf dem Balkon, da nimmt man wirklich was vom Gespräch mit. Anders ausgedrückt: Eigentlich wollte man auf die Party, weil Christian Drosten sich angekündigt hatte. Der hatte dann zwar doch Besseres zu tun, aber am Ende lohnt der Besuch trotzdem, überraschenderweise.