Hamburg. Tuğsal Moğul inszeniert Abende über das Gesundheitswesen. Er zeigt, wie zwei Welten voneinander profitieren können.

Er trägt tatsächlich eine weiße Hose – und irgendwie hat das direkt eine beruhigende Wirkung. Tuğsal Moğul ist Arzt. Anästhesist, um genau zu sein. Und er ist Regisseur, nicht nach Feierabend in der Stations-Laienspielgruppe, sondern an einem der größten deutschen Theater. Ein Mann mit zwei Professionen: „Wir haben getan, was wir konnten“ heißt seine „medizinisch-theatrale Recherche über Leben und Tod im deutschen Gesundheitswesen“, es ist am Wochenende die erste Saisonpremiere im Malersaal des Schauspielhauses.

Hamburger Abendblatt: Sie tun etwas, worum Sie viele beneiden dürften: Sie führen ein Doppelleben. Wie ist das passiert?

Tuğsal Moğul: Direkt nach der Schule habe ich mit dem Medizinstudium in Lübeck angefangen, ich war 19, vielleicht auch noch etwas grün hinter den Ohren. Ich wollte etwas Nützliches machen. Mein Vater hat in Istanbul Chemie studiert, hat dann aber in einer Fabrik in Deutschland gearbeitet, meine Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen, meine Mutter ist Hausfrau.

Arzt werden hieß: es geschafft zu haben?

Moğul: Genau, es war damals etwas Besonderes. Ich bin in Deutschland geboren und hatte ein ganz gutes Abitur. Ich hatte aber auch schon früh ein Verhältnis zur Bühne: In der westfälischen Kleinstadt, aus der ich komme, gab es ein kleines Theater, ich bin da anders mit Literatur in Kontakt gekommen, viel spannender als die Interpretationen in der Schule. Ich wollte immer mehr wissen und habe es trotzdem zur Seite gelegt, bis ich mein Physikum hatte – und zum Weiterstudieren bin ich für zwei Semester nach Wien gegangen. Dort war ich dann mehr im Burgtheater oder im Akademietheater als in den Vorlesungen.

Wien verdirbt einen!

Moğul: Absolut. Da waren Regisseure wie George Tabori oder Zadek oder Peymann, das hat mich geflasht. Und ich dachte: Einmal im Leben muss ich es an einer Schauspielschule versuchen. Ich habe mich in Hannover beworben und habe es keinem erzählt.

Was haben Sie denn vorgesprochen? Tschechow? Der war ja auch Arzt.

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Sie beschreiben Ihre Wirkung als Theatermensch auf die Mediziner – wie ist es andersherum? Haben Sie als Mediziner eine andere Wirkung auf den Theaterbetrieb als andere Regisseure? Eine andere Freiheit vielleicht?

Moğul: Ich glaube schon. Natürlich freue ich mich sehr, meine Arbeiten am Theater zeigen zu können, vor allem mit dieser tollen Truppe hier an diesem fantastischen Haus – aber ich kann auch wieder zurück ins Krankenhaus.

Vorteil des Doppellebens. Sind Sie durch die Coronakrise eigentlich doch mal in einen Entscheidungskonflikt geraten? Weil ihr einer Beruf akut lebenswichtig war?

Moğul: Ich habe mich zumindest als Mediziner tatsächlich das erste Mal seit langer Zeit nicht als Dienstleister gefühlt. Dabei war es im Krankenhaus zum Beginn der Pandemie eher ein bisschen wie am Theater - wir haben improvisiert. Die Anästhesisten waren in dieser Krise besonders gefordert – wir sind die Stationsärzte der Intensivstationen. Wenn es den Leuten richtig schlecht geht, kommen wir.