Hamburg. Der Alltagsabstand ist bei Chorproben zu gering. Wichtig ist außerdem ein guter Luftaustausch im Raum.

Wie lassen sich Chorsängerinnen und -sänger am besten vor Infektionen schützen? Diese Frage brennt rund vier Millionen Menschen in Deutschland auf den Nägeln, seit sich das Coronavirus vor allem zu Beginn der Pandemie beängstigend schnell und heftig in einigen Chören verbreitet hat – und sie rückt jetzt nach Ende der Schulferien wieder umso stärker ins Zentrum, wenn die normale Probenzeit beginnt.

Nach einer Reihe von unvollständigen oder fehlerhaften Experimenten, gibt es mittlerweile seriöse Untersuchungen, die zuverlässige Daten liefern. Eine stammt vom renommierten Stimmfacharzt Matthias Echternach, Professor am LMU Klinikum München. Gemeinsam mit dem Strömungsmechaniker Stefan Kniesburges von der Universität Erlangen hat er die Ausbreitung von Tröpfchen und Aerosolen im Moment des Singens selbst untersucht.

Abstand von mindestens zwei Metern nach vorne wird empfohlen

„Hier haben wir einen Mittelwert von ungefähr einem Meter gehabt“, sagt Echternach. „Man muss aber in der Risikobeurteilung sagen, dass es auch Sängerinnen und Sänger gab, die darüber gekommen sind, bis zu eineinhalb Metern. Das bedeutet, der klassische Abstand, wie wir ihn aus dem Alltag kennen, ist nach vorne hin beim Singen zu gering! Bei der Ausbreitung zur Seite haben wir deutlich geringere Abstände nachweisen können.“

Deshalb empfiehlt Echternach beim Singen grundsätzlich, ob drinnen oder draußen, einen Abstand von mindestens zwei Metern nach vorne. Mit den in der Hamburger Verordnung vom 15. Juli vorgeschriebenen 2,50 m sind Sängerinnen und Sänger also auf der sicheren Seite.

Große Streuung der Partikel

Die Distanz schützt aber nur vor den Luftbewegungen und Partikeln, die Sängerinnen und Sänger im kurzen Moment der Tonproduktion selbst an- und ausstoßen. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Frage, was sich auf Dauer einer längeren Probe oder eines Konzerts in der Raumluft ansammelt. Dazu hat Martin Kriegel, Professor für Energietechnik an der TU Berlin, in Zusammenarbeit mit der Charité, die absolute Menge der Schwebeteilchen untersucht, die wir beim Atmen, beim Sprechen und beim Singen absondern.

Anwohner  der Tegetthoffstraße in  Eimsbüttel singen spontan auf der Straße – mit sehr geringem Infektionsrisiko.
Anwohner der Tegetthoffstraße in Eimsbüttel singen spontan auf der Straße – mit sehr geringem Infektionsrisiko. © Michael Rauhe

Das für Chorfans wichtigste und leider nicht erfreuliche Resultat formuliert Kriegel so: „Beim Singen werden generell deutlich mehr Partikel emittiert als beim Atmen und Sprechen. Da gibt es eine große Streuung von Person zu Person, aus der man aber einen Mittelwert ableiten kann. Der Faktor ist mindestens zehnmal mehr beim Singen als beim Sprechen, das geht aber hoch bis zu 50- bis 60-mal mehr Partikel, die beim Singen ausgestoßen werden.“

Aerosolkonzentration möglichst niedrig halten

Das heißt: Wenn eine einzige infizierte Person singt, verteilt sie wahrscheinlich dieselbe Menge an belastetem Material in der Luft, wie zehn bis 60 infizierte Personen, die nur sprechen. Dieser Befund liefert eine schlüssige Erklärungsmöglichkeit dafür, weshalb im März einzelne Chöre, etwa in Berlin und Amsterdam, erschreckend hohe Infektionszahlen aufwiesen – auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung des Coronavirus durch Aerosole nach wie vor wissenschaftlich umstritten ist.

Das sind die Corona-Regeln für Hamburg:

  • Privat können bis zu 25 Personen zu Feiern zusammenkommen, egal aus wie vielen Haushalten. Treffen in der Öffentlichkeit sind auf 10 Personen aus beliebig vielen Haushalten begrenzt.
  • Alle Kinder dürfen in einem eingeschränkten Regelbetrieb wieder die Kitas besuchen.
  • Nach dem Ende der Sommerferien am 6. August können wieder alle Schüler einer Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Dennoch sollen Einschränkungen wie die bisherigen Abstandsgebote vorsichtshalber erhalten bleiben.
  • Unter Auflagen sind wieder Veranstaltungen mit bis zu 1000 Teilnehmern im Freien und 650 Teilnehmern in geschlossenen Räumen zulässig.
  • Für größere Versammlungen gibt es keine Teilnehmerbegrenzung mehr. Es wird jeweils der Einzelfall mit Blick auf Hygiene- und Abstandsregeln geprüft.

Da die unsichtbaren Schwebeteilchen potenziell Viren tragen und sich im Raum anreichern können, ist es beim gemeinsamen Singen ganz besonders wichtig, die Aerosolkonzentration möglichst niedrig zu halten, sprich: für eine gute Durchlüftung zu sorgen. Und das ist gar nicht so einfach, wie Martin Kriegel erklärt. „Fensterlüftung allein ist noch kein Garant dafür, dass ich einen guten Luftaustausch bekomme – gerade im Sommer, bei geringer Windgeschwindigkeit, wenn die Innen- und die Außentemperatur nahezu gleich ist.“

Kontrolle des CO-Gehalts

Was dabei helfen kann, den Luftaustausch zu messen, ist laut Kriegel die Kontrolle des CO2-Gehalts. „Es gibt sogenannte CO2-Ampeln, die zeigen Grün, Gelb und Rot, und immer wenn sie Grün zeigen, ist die Luftqualität bezogen auf das CO2 in Ordnung, sobald sie Gelb zeigen, muss man mehr lüften.“ Mit solchen preislich erschwinglichen Geräten lässt sich also zwar nicht die Aerosolmenge, wohl aber die generelle Luftqualität messen – ein wichtiges Hilfsmittel zu Corona-Zeiten, gerade in einem Raum, in dem gesungen wird. Zusätzlich empfiehlt Kriegel, die Aufenthaltsdauer zu begrenzen und allerspätestens nach einer Stunde eine längere Pause einzulegen, bei der alle Sängerinnen und Sänger den Raum verlassen.

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Beim Draußensingen ist das Pro­blem einer hohen Aerosolkonzentration buchstäblich in Luft ausgelöst, es bleibt die sicherste Variante. Und auch Räume mit einer maschinellen Lüftungsanlage bergen laut Kriegel in dieser Hinsicht ein überschaubares Risiko: „Wenn wir die Abstandsregeln einhalten, dann sind die klassischen Konzertsäle, Opernhäuser und Kinosäle unproblematisch – denn die Luftmenge ist so groß, dass wir ein, zwei Stunden mit einer sehr niedrigen Aerosolkonzentration verbringen.“