Hamburg. Was geht, wenn eigentlich nichts mehr geht? Musiker und Club-Betreiber erzählen, wie sie der Krise begegnen.

„Jazz ist nicht tot, er riecht nur komisch.“ Das legendäre Zitat von Frank Zappa bietet sich ja fast immer an, wenn es um die improvisierte Musik und die Frage nach ihrer Zukunftsperspektive geht. Ob künstlerische Entwicklung oder prekäre Arbeitsverhältnisse, mit dem Zappa-Spruch lässt sich manches so augenzwinkernd wie letztlich nichtssagend kommentieren.

Doch wie steht es jetzt tatsächlich um den Jazz, um den in Hamburg, angesichts der Corona-Pandemie? Wie hat sich die Schließung sämtlicher Live-Spielstätten, etwa des Birdland und Cotton Club, ausgewirkt? Wie ist es um die Psychohygiene der ausgebremsten Musikerinnen und Musiker bestellt? Wolf Kerschek begegnet diesen Fragen mit einem Lächeln.

Wolf Kerschek ist eine zentrale Figur der Hamburger Jazzszene

Der Musiker, Dirigent und Komponist, der als Professor an der Hochschule für Musik und Theater lehrt und „nebenbei“ Orchesterarrangements für Stars wie Helene Fischer oder Rammstein schreibt, ist eine zentrale Figur der Hamburger Jazzszene. Das zeigt sich jetzt auch für Außenstehende ganz deutlich.

Bereits Mitte April hat er zusammen mit Clemens Seemann, Christophe Schweizer als künstlerischem Leiter und der Jazz Federation als Träger eine Internetkonzertreihe auf hamburg.stream ins Leben gerufen, die zu einem Fixpunkt der Szene geworden ist. Aus Kerscheks Studio in Neuwiedenthal wird jede Woche mehrfach live gesendet, finanziell unterstützt von Jazz Federation und Jazzbüro, von Kulturbehörde und verschiedenen Stiftungen.

Mehr als 1000 Euro an Spenden pro Abend

Auf diese Weise werden die laufenden Kosten getragen, die Musiker erhalten das, was während ihrer Auftritte online gespendet wird. „Wir hatten zu Beginn an manchen Abenden weit über 1000 Euro an Spenden“, erinnert sich Kerschek. „Da sind die Musiker mit mehr Geld nach Hause gefahren als sie sonst bei Clubkonzerten verdienen würden.“ Auch wenn der Euro inzwischen nicht mehr ganz so üppig fließt: Die Künstler kommen immer noch auf ihre Kosten und die Bewerbungen reißen nicht ab.

Doch hier geht es nicht in erster Linie ums Geld, sondern vor allem um Gemeinschaft. „In Hamburg gibt es eine große Kollegialität“, sagt Kerschek, „nicht das Konkurrenzdenken, das in anderen Städten vorherrscht.“ In der Jazzszene sei man einfach glücklich darüber, geradezu euphorisch gar, wieder zusammen spielen zu können – auch wenn es erst einmal nur für ein Publikum an den PCs und Tablets ist.

Jazzmusiker sind geübt im Improvisieren

Euphorie in der Coronakrise? Ja, sagt Kerschek, er finde das nicht sonderlich überraschend. „Jazzmusiker sind darin geübt, mit Unvorhersehbarem umzugehen, zu improvisieren.“ Diese Fähigkeit zur Flexibilität erweise sich jetzt als äußerst hilfreich. Auch sei man es als Jazzer gewohnt, nicht allein von dieser Musik leben zu können.

In der Regel brauche es mehrere Standbeine, etwa Unterricht, Gala-Auftritte mit Coverbands oder das Engagement in einem Musicalorchester. Brotjobs, die die wahre große Liebe erst möglich machen. „Die Situation war für Jazzmusiker eigentlich immer schon prekär, nun ist sie eben noch ein bisschen prekärer geworden.“

Natürlich seien Einnahmen weggebrochen und mancher leide unter der sozialen Isolation, doch ein Blick etwa in die USA setze die hiesige Situation sofort in Relation. Ein Kollege am Berklee College in Boston habe ihm unlängst von den Auswirkungen der Coronakrise erzählt: Musiker, die dort unterrichtet hatten, wurden schlicht entlassen. „Das sind Weltklassekünstler, die jetzt als Kurierfahrer arbeiten, damit ihr Haus nicht gepfändet wird.“

Kein Ende der Pandemie in Sicht – es braucht Konzepte

So dramatisch ist die Situation in Deutschland dank der sozialen Sicherungssysteme nicht, dennoch braucht es Konzepte für die Zukunft, ist doch ein Ende der Pandemie nicht absehbar. Auch da hat Wolf Kerschek eine Idee: In seinem Studio möchte er „Hybrid-Konzerte“ veranstalten, zu denen etwa 40 Besucher kommen können, die dafür auch zahlen („Eine Größenordnung von 20 Euro wäre denkbar.“)

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Außerdem wird der Auftritt auf Spendenbasis für alle jene gestreamt, die lieber zuhause bleiben, etwa weil sie zu einer Risikogruppe gehören. Mit den Einnahmen wären sämtliche Produktionskosten bezahlt, die Band erhielte im Anschluss kostenlos High-End-Audio- und Videomitschnitte, zum Beispiel für eine CD-Produktion und die eigenen Social-Media-Kanäle.

Corona-Pandemie: Innovation statt Routine

Ein Konzept, dem auch Wolff Reichert einiges abgewinnen kann. Der Schlagzeuger und Betreiber des Birdland an der Gärtnerstraße ist ebenfalls nicht in eine Krisenstarre verfallen. Zweimal die Woche gibt es Streams aus seinem Club. „Wir waren baff, wie viele das schauen und auch spenden“, sagt er. Corona habe für eine Zäsur gesorgt, dafür, dass Innovation an die Stelle von Routine getreten ist. „Jeder Musiker, den ich kenne, überlegt sich was, einige treffen sich im Stadtpark, um open air und mit Abstand zusammen spielen zu können.“

Gerade ist er dabei, professionelles Videoequipment anzuschaffen und hat erkannt: „Die Streams nehmen alle ernst, auch weil sie damit viel mehr Reichweite haben als mit ihren Clubkonzerten.“ Selbst ein Rohrbruch, durch den das Birdland Anfang der Woche 25 Zentimeter unter Wasser stand, hat Reichert nicht ausgebremst. Auch hier gilt: Irgendwie geht es immer weiter, es wird halt improvisiert.

Spagat ja – Katastrophenszenarien nein

Eine Lockerheit, die sich ebenso bei Dieter Roloff zeigt, seit fast 60 Jahren Besitzer des Cotton Club in der Altstadt. „Ich hatte noch nie so lange Urlaub“, sagt er mit schicksalsergebener Gelassenheit. Als Rentner sei er finanziell abgesichert, ein großer Vorteil, klar, aber ohnehin blicke er eher optimistisch in die Zukunft. „Ich nehme an, dass man uns irgendwie entgegenkommt und wir ab September wieder öffnen dürfen.“

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

Das Programm stehe jedenfalls schon bis Jahresende, fünf Musiker könne er auf der Bühne abstandsgemäß unterbringen, auf größere Ensembles müsse eben erstmal verzichtet werden.

Ein Spagat ist es derzeit für alle Hamburger Jazzmusikerinnen und -musiker, Katastrophenszenarien haben dennoch keine Konjunktur. Der Jazz mag manchmal etwas komisch riechen, tot ist er gewiss nicht.